Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 32
Die Stimme der Greisin zitterte plötzlich.
»Oder ob sie doch eine Krankheit in mir entdeckt haben? Was meinen Sie dazu, Herzogin?«
»Das ist unwahrscheinlich, bei Ihrer Lebenskraft.«
»Nicht wahr? Ach was, ich bin ja gesünder als Sie! Mit Seiner Hilfe!«
Sie schielte nach oben und murmelte, sich bekreuzigend, etwas Unverständliches.
Die Pensionäre, die den Salon betreten wollten, wichen beim Anblick der fürstlichen Gesellschaft scheu von der Schwelle zurück. Nur ein junger Mann drang, zwischen den Zähnen pfeifend, ein und verbeugte sich leicht. Vinon hob unverschämt ihr Lorgnon vor die Augen, Lilian übersah ihn, und die Cucuru rief schallend: »Guten Tag, mein Sohn!« Darauf nahm er drüben Platz und langte nach einer Zeitung. Zwei Finger am Bärtchen, sah er mit einem zerstreuten Senkblick seiner weichen, schwarzen Augen nach der Herzogin aus; dann nach der Blà, und dann unentschieden hin und her zwischen beiden Damen. Schließlich überzeugte er sich, prüfend geneigten Hauptes, von der Lage seiner übergeschlagenen Beine und dem Sitz seiner zur Hälfte mattgelben, zur anderen Hälfte schwarz lackierten Schuhe. Er war der elegante Herr der Pension, der im Klub speiste und mit dem wohlfeilen Frühstück des Hauses Dominici nur nach Nächten vorliebnahm, in denen er schlechte Karten gehabt hatte. Er ward von den Gästen bewundert, die allein reisenden Engländerinnen schwärmten für ihn. Vinon Cucuru behandelte ihn mit gewollter Verachtung, doch gelang es ihr nicht, über ihn zu lachen.
Ihre Mutter schlug die Herzogin auf die Knie.
»Übrigens, Herzogin, haben wir zwei sehr viel Ähnlichkeit miteinander! Beide kein Geld, und beide aus den höchsten Kreisen. Mein Vermögen hat der Fürst, mein armer Mann, an die Komödianten verschenkt, na und auch mit Ihnen ist Komödie gespielt worden. Eine Revolution, ist das keine Komödie? Haha! Wie sind Sie nur darauf verfallen? Wozu dient so etwas?«
»Zur geselligen Unterhaltung, Fürstin«, sagte die Herzogin und lächelte der Blà zu, die es nicht bemerkte. Ihre Lippen waren leise geöffnet, sie hing mit fieberndem Ausdruck an der Gestalt des Fremden. Er wandte ihr zu bequemer Betrachtung sein Profil zu. Es war ein griechisches Profil, mit bläulich schwarzen, seidenen Haaren auf Wangen und Kinn. Auch die Herzogin hielt ihn für einen schönen Mann, einen von den sehr südlichen, auf deren Händen und Gesicht trotz aller Beräucherung durch Zigarettendampf, Absinthdünste und heiße menschliche Ausströmungen in Spiel- und Weiberhäusern doch unverwüstlich ein Rest liegenbleibt von dem durchsichtigen Marmorglanz der auf ihrer Heimaterde erwachsenen Götter. Aber konnte solche bezaubernde und leere Maske, dargeboten in selbstgefälligen Allerweltsposen, eine Frau, klug, fein und spöttisch wie die Blà, in krampfhaftes Schweigen versenken?
»Eine teure Unterhaltung!« schrie die Cucuru. »Endet damit, daß Ihre Partner Ihnen alle Taschen ausleeren und Ihnen die Tür vor der Nase zumachen. Plötzlich sehen Sie sich im Freien – und lachen noch?«
Die alte Dame ward von Wut bemeistert.
»Wie können Sie noch lachen bei solchen Schurkenstreichen. Ah! Die Schurken! Mit mir sollten sie's zu tun haben, anstatt mit einem Dämchen! Was ich für einen Lärm machen wollte und was für ein Leben! Leben! Bewegung! Hetzen wollte ich sie, die Diebe meines Geldes! Der Himmel sollte sie verschütten und die Erde sie verschlingen! Ich werde es nicht dulden, Herzogin, daß Sie sich beruhigen! Statt Ihrer werde ich selbst den Räubern auf den Buckel springen, sie kratzen und ihren Klauen entreißen, was ich bekommen kann. Haha, verlassen Sie sich darauf, ich werde etwas bekommen! Ich werde ...«
Plötzlich stürzte Pavic ins Zimmer, rosig gefärbt und fast verjüngt. Er rief aufgeregt:
»Etwas Wichtiges, Hoheit. Endlich finde ich Sie. Ein großes Glück für uns, eine sichere Aussicht ... Ja so, Piselli, woher kommen denn Sie?«
Der elegante junge Mann trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Pavic hatte ihn auf dem Korso kennengelernt, in irgendeinem Kaffeehause, unter den Genossen des müßigen Lebens, zu dem er jetzt selber verurteilt war. Er stellte ihn der Herzogin vor:
»Herr Orfeo Piselli, ein Kollege, ein ausgezeichneter Advokat ... und auch ein Patriot.«
Während Piselli seine geschmeidigen Verbeugungen machte, überstürzte Pavic seine Worte.
»Ich komme nämlich von San Bacco, ich habe mit ihm eine Konferenz gehabt, er läßt Ihnen offiziell sagen, Frau Herzogin, daß er bereit ist, mit tausend Garibaldianern in Dalmatien einzufallen. Der Erfolg ist gar nicht zweifelhaft. Alles ist gerüstet, die Tausend warten bloß auf das Zeichen. Wir müssen noch Schiffe mieten, dann kann es losgehen. Nehmen Sie an, Hoheit, nehmen Sie an! Diesmal ist der Sieg unser ... Lauter erprobte Helden ...«
Er redete um so nachdrücklicher, je ungläubiger die Mienen seiner Hörerinnen wurden. Noch stand er unter dem Sturzbad von Begeisterung, das erst eben, ganz frisch, von einem ritterlichen Schwärmer über ihn ausgeschüttet war. Er fühlte es noch sprudeln, er wollte begeistert sein – und insgeheim bangte ihm dennoch schon vor der Ernüchterung. Piselli fiel ihm ins Wort, säuselnd, mit einschmeichelndem Bariton.
»Diesmal, Herzogin, gehört der Sieg Ihnen! Nehmen Sie an, ich kann es kaum erwarten, – ah, was spreche ich von mir; die ganze idealistische Jugend kann es kaum erwarten. Wir alle wollen den großen Kampf mitkämpfen, Herzogin, für ein Lächeln von Ihnen. Wenn Sie wüßten, wie unser aller Herzen für Sie schlagen, und wie sie geblutet haben bei Ihrem Unglück! Jetzt endlich naht die große Stunde, jetzt endlich verbündet sich Ihre Hoheit und Anmut mit unserer Begeisterung und unserer Kraft. Der unwiderstehliche Zauber des Namens der Tausend von Marsala wird vor Ihren Fahnen hergehen, als ein Schicksal, dem alle sich beugen. Sie siegen ... und wir ... wir ...«
Er ließ seinen glücklichen Blick unter den Damen kreisen. Es lag ihm fern, sein Organ anzustrengen. Nur ganz oberflächlich spielte er mit dem ausschweifenden Gefühl, das in des Tribunen Stimme sich überschlagen hatte, und ließ ruhigen Mutes merken, es sei ein Spiel. »Ich führe mich Ihnen vor«, schien er zu sagen. »Meine Damen, ist das nicht genug?«
Die Herzogin erlaubte ihm, mit seinen Wohlklängen fertig zu werden; sie fand ihn angenehm vor Augen zu haben. ›Er ist ein wohlgeratener Mensch‹, dachte sie, ›und hat recht, wenn er mit sich zufrieden ist.‹ Wegen des Planes, den man ihr vortrug, hatte sie keine Bedenken. Sie fragte achselzuckend die Blà um Rat. Doch ihre Freundin kam nicht los von Piselli. Sie sah aus, als verursache sein Anblick ihr einen körperlichen Schmerz, der sie beselige.
Aber die Cucuru brach los; ihre Stirn war schon lange gerötet.
»Hört ihr endlich auf mit eurem Unsinn? Mit euren tausend lächerlichen roten Hemden wollt ihr ein Königreich erobern, das Soldaten hat? Ihr meint wohl, es gehe überall wie in Neapel: alle Welt bestochen und alles im voraus abgemacht, Kanonen mit Blumen gefüllt und mit Knallbonbons, und von den Mauern reichen schöne Mädchen den Stürmenden die Hände. Nicht wahr, so denkt ihr's euch? So denkt ein Narr wie San Bacco sich das Leben. Auch einer, den die Komödie all sein Geld gekostet hat. Patriotismus und Freiheit, welch alberne Komödientitel!«
Sie stieß, außer sich bei dem Gedanken an all das für Ideale verschwendete Geld, mit der Krücke nach der Herzogin, die zusammenschrak.
»Geht ihr nur mit euren tausend Hampelmännern nach Dalmatien! Nichts wird dabei herauskommen, nichts, als daß man euch auch nur noch euer letztes Geld wegnimmt, falls ihr noch ein letztes habt! Und nichts werdet ihr wiederbekommen, gar nichts, gar nichts, gar nichts!«
Plötzlich