Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann

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Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann

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von Radichiosalat. Haben Sie bemerkt, Frau Herzogin, wie er seine Medaillen und Gemmen anschaut? Mit tief beunruhigter Liebe, nicht wahr, und fast mit Neid.«

      »Mit Neid?«

      »Weil sie ihn überleben werden.«

      Nach einer Pause setzte die Blà etwas leiser hinzu:

      »Schließlich ist er von uns allen, die heute abend beisammen waren, doch vielleicht der einzige, den man glücklich nennen kann.«

      »Sie vergessen Vinon Cucuru!« meinte die Herzogin.

      »Oh, Vinon: ein Mädel, ahnungslos und hochgemut. Bei Tische, in der Pension zu sechs Lire, wo die fürstliche Familie Cucuru der Reklame wegen für fünf Lire wohnen darf, macht sie sich lustig über die Deutschen.«

      »Aber San Bacco?«

      »Ganz glücklich ist er wahrscheinlich nur bei den parlamentarischen Duellen, von denen er allerdings jährlich zwei oder drei hat. Seine geredete Begeisterung, die Sie kennen, dient ihm nur als Ersatz für die gehauene und gestochene. Zwar liebt er die hohen Ideen und glaubt an sie, denn er ist ja Christ und Ritter. Aber sie müssen ihm auch die Berechtigung geben zu Handlungen, denen es einigermaßen an ... wie soll ich sagen, an bürgerlicher Solidität gebricht.«

      »Er ist arm. Wie lebt er eigentlich?«

      »Er lebt von Freiheit und Patriotismus. Da er sein Vermögen dem Lande geschenkt hat, so hält er jeden Landsmann für seinen Schuldner. Seit Jahren wohnt er im Hotel Roma, beim Essen umringt ihn immer ein Schwarm von Deputierten, Journalisten, Neugierigen und Leuten, die es nötig haben, sich von dem alten Kämpen ihre Vaterlandsliebe oder ihren Radikalismus bescheinigen zu lassen. Ein einziges Mal hat der Wirt es gewagt, ihm eine Rechnung zu schicken. San Bacco hat ihn rufen lassen. ›Ist das für mich?‹ hat er stirnrunzelnd gefragt. ›Wie, Sie wollen Geld haben von mir ... von mir? Verlange ich denn Geld von Ihnen dafür, daß täglich eine Menge Leute Ihr schlechtes Diner hinunterschluckt, die es nur mir zuliebe tun?‹ Und zorngerötet ist er hinausgegangen, mit Hinterlassung von fünf Lire für den Kellner.«

      Die Herzogin sagte, ohne zu lachen:

      »Seine Ehre hängt ihm von Gesinnungen ab, nicht von Handlungen. Das ist das Vorrecht einiger.«

      »Einiger ... die keine Bürger sind«, sagte die Blà.

      Die Umgebung des Forums schlief lichtlos und ohne Geräusche. Die langen Zeiten entrückten diese Steine um Welten aus dem Dasein des ehrsamen Volkes bei Wein und Morraspiel, der schleichenden Geächteten in den Neubauten, der blassen Genießer vor den Kaffeehäusern. Zuweilen wandelte über schattenhafte Tempelstufen eine hagere Säule, in Mondstrahlen gekleidet, dicht vorüber an den Wagenfenstern der Frauen. Am dunkel starrenden Mauerwall des Kolosseums, unter dem Konstantinbogen, weckten die Hufe und die Räder einen Widerhall, so mühsam, als sei er von einem längst verschollenen Echo der verspätete Rest. Dann erstieg der Weg, weiß zwischen den schwarzen Wänden von Klöstern und Zypressen, den Caelius. Die Herzogin lehnte sich tiefer zurück.

      »Und Sie selbst? Alles, was ich von Ihnen erfahre, klingt mir offen und vertraulich wie ein Selbstgespräch. Aber wie wollen Sie, daß ich über Sie selbst denke? Was sind Sie, Contessa?«

      »Keine Contessa. Mein Vater war ein Franzose und Kapitän bei den päpstlichen Zuaven. Noch nach seinem Tode litt meine Mutter unter seiner verjährten Untreue. Sie war schwach und launisch, und ich ertrug ihre Launen mit einer krankhaften Bereitwilligkeit. Kaum war sie gestorben, so heiratete ich einen schwindsüchtigen Engländer, ich hätte sonst das Leiden in meiner Nähe entbehrt.«

      »So gerne leiden Sie?«

      »Für jemand zu sorgen und zu dulden, ist mir unglücklicherweise ein Bedürfnis, dessen ich mich schäme.«

      »Und Sie selbst, Contessa, Sie möchten nicht in die Arme genommen und getröstet werden?«

      »Wenn ich mich nach einer Vergeltung meines Mitleids sehnte, wäre es dann noch etwas wert?«

      »Sie haben recht. Und so haben Sie also gelebt?«

      »Mein Mann, der Schriftsteller war, konnte wenig mehr arbeiten. Er lehrte mich diesen Erwerb, und ich schrieb als Contessa Blà anfangs Modebriefe, dann Plaudereien, schließlich sogar Politik, ich weiß nicht, warum mit katholischem Anstrich. Man sucht sich seinen Geist nicht immer selbst aus. Der Kardinal fördert gern Talente, er gibt mir jeden Mittwoch eine Portion Gefrorenes oder eine Tasse Tee, und wenn ich darum bäte, würde er mir anstandslos beides gleichzeitig verabfolgen.«

      Wie sie ankamen, äußerte die Herzogin lächelnd:

      »Wir sprechen miteinander, als ob wir uns liebhätten.«

      »Gleich in den ersten Minuten unseres heutigen Abends sind Sie mir lieb geworden«, erwiderte die Blà.

      »Wie ist es gekommen?«

      »Weil Sie lachten, Herzogin, weil Sie nach allem, was Ihnen begegnet ist, noch lachen konnten über die heuchlerischen, wichtigen Gebärden und Mienen der Bürger.«

      »Jetzt verraten Sie mir noch, was Sie mit ›Bürgern‹ meinen.«

      »So nenne ich alle, die häßlich empfinden und ihre häßlichen Empfindungen obendrein lügenhaft ausdrücken.«

      »Sie wollen mich liebhaben, das macht mir wahre Freude.«

      »Hoffentlich wird es Ihnen niemals Kummer machen. Von mir geliebt zu werden, ist ein fragwürdiger Vorzug. Bis jetzt haben eine leidende Grillenfängerin ihn genossen und ein englischer Phthisiker.«

      Noch in ihrer Gartenpforte, zwischen den beiden zueinander geneigten Zypressen, wiederholte die Herzogin:

      »Wir wollen recht oft einander sehen.«

      Sie empfing den Besuch des Monsignor Tamburini, der ihr sagte:

      »Der Kardinal ist von der Ankunft Eurer Hoheit ganz entzückt.«

      »Ich danke Seiner Eminenz aufrichtig.«

      »Er unterhält jeden, der zu ihm kommt, von der berückenden Persönlichkeit der Herzogin von Assy. Ja, Herzogin, er ist begeistert von Ihnen und Ihrer Sache.«

      »Begeistert?«

      »Und wie sollte er es nicht sein? Eine so edle Frau und eine so große Angelegenheit! Die Freiheit eines Volkes! Dafür hegt der Kardinal das wärmste Mitgefühl. Er betet für Sie.«

      »Betet?«

      »Und auch ich bete«, fügte er hinzu und gab sich Mühe, sein Organ des weltlichen Fettes zu entkleiden.

      Sie verstummte. ›Er sagt stärkere Unwahrheiten‹, dachte sie, ›als die Höflichkeit ihm vorschreibt. Warum?‹ Er rechtfertigte sich:

      »Die Kirche begünstigt bekanntlich jede Art werktätiger Liebe, und wie viele schöne Gesinnungen treten hier in den Dienst eines unglücklichen, von Tyrannei und Armut darniedergedrückten Volkes. Sie, Frau Herzogin, sind die hehre Liebe selbst. Uneigennützige Gotteskämpfer wie der Marquis von San Bacco tragen das Feuer ihres Mutes herzu. Und darf der christliche Priester fehlen, wo Staatsmänner wie Pavic und Finanzleute wie Rustschuk eine wahrhaft biblische Gesinnung hegen? Sind sie doch klug wie die

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