Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland - Karl Simrock страница 4
Eingang
Ein Strom ist wie ein Baum, seine Quellen gleichen Wurzeln und Fasern, seine Mündungen Ästen und Zweigen. Aber den Zuflüssen, die der Strom empfängt, nachdem er durch das Zusammenrinnen seiner Quellbäche Namen und Dasein empfangen hat, entspricht am Baum nichts. Wie sehr lahmt also das Gleichnis! Denn die Wasser, die ihm noch späterhin zueilen, sind gerade die beträchtlichsten.
Doch hier hat Willkür geschaltet. Jene Namengebung ist nur eine Übereinkunft. Was man sich gewöhnt hat, die Quellen des Rheins zu nennen, entspringt nur in Graubünden; aber alle anderen Kantone der deutschen Schweiz senden ihm ihre Gewässer zu. Er empfängt sie meist durch den herrschenden Strom der deutschen Schweiz, die Aar, welche als die Hauptquelle des Rheins gelten würde, wenn er nicht schon vor ihrer Einmündung diesen Namen führte.
Auf seinem weiteren Lauf zollt dem Rhein der größte und älteste Teil Deutschlands. Alles ihm links liegende deutsche Land erkennt seine Herrschaft und sendet ihm durch Ill, Nahe, Mosel und Maas den schuldigen Tribut. Rechts huldigt ihm Schwaben durch Kinzig und Neckar, Ostfranken durch den Main, Hessen durch die Lahn, Altsachsen durch Ruhr und Lippe. Mittels des Mains reicht sein Flußgebiet durch das östliche Deutschland bis an die Grenze Böhmens.
Wie die Schweiz das Quellenland des Rheins ist, das den Strom bildet, so ist Holland das Land der Mündungen, das der in der Schweiz wurzelnde Baum durch seine Äste und Verzweigungen seinerseits eigentlich erst hervorgebracht hat. Aber auch hier begegnet uns die Willkür der Benennungen. Waal, Ijssel und Lek, was sind sie anderes als Äste, Arme des Rheins? Und gerade das Land, das der Rhein geschaffen hat, das aus seinen allmählichen Anschwemmungen entstanden ist, bewies sich so undankbar gegen ihn, daß es den Namen des herrlichen Stroms seinem schwächsten Zweig beilegte und ihn so in den Ruf brachte, als versiege er im Sand. Doch vielleicht ist der Holländer von dieser Anklage des Undanks freizusprechen. Gerade der achtbare Sinn des Volks, der, Neuerungen abhold, den Überlieferungen der Väter getreu bleibt, ist es vermutlich, welchem der unbedeutendste Sprößling des Stroms den stolzen Namen schuldig war. Was jetzt in jenen Niederungen wie zum Spott der Rhein, auch der Alte Rhein heißt, war einst wirklich das Bett des Stroms, durch das er, wenn nicht alle, doch die größte Masse seiner Gewässer dem Ozean zuführte. Als diese sich andere Wege suchten, blieb dem verlassenen Bett ein spärliches Wässerchen und ein anspruchsvoller Name.
Erster Teil: Von den Quellen bis Mainz
Quellen des Rheins
Bekannt ist, daß edle Weine nur auf Bergen gewonnen werden. Aber viel höher müssen die Gebirge sein, welchen schiffreiche Wasser entspringen sollen. Ihr Scheitel pflegt den Himmel zu berühren, von dem der Strom, wie ein unmittelbares Geschenk der Gottheit, sich herabzusenken scheint. Schon die alte Großmutter Edda sagt: »Heilige Wasser rinnen von Himmelsbergen.« So hat auch der Rhein, wie alles, was den Menschen frommt, a Jove principium. Die Rheinquellen sind der Welt weder so entrückt noch so unzugänglich wie die des Nils. Dennoch bleiben seine ersten Ursprünge in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt. Viele hundert Reisende besuchen jährlich die Quellen des Rheins; aber ihre Beobachtungen kommen der Welt nicht zugute, während eine Reise nach den Nilquellen nicht leicht unbeschrieben bleibt. Die Natur selbst war beflissen, ihre innerste Werkstätte dem Blick der Menschen zu entziehen. Wir klettern über die schlüpfrige Eisdecke der Gletscher, uns schrecken ihre klaffenden, gähnenden Schrunde nicht; aber was sich da unten in der inneren Halle begibt, über deren Eisgewölbe wir unser Leben in Gefahr setzen, das können wir nur vermuten und ahnen.
Doch sind es nicht immer die höchsten Gebirge, welche die größten Ströme in die Welt schicken. Der Montblanc, der höchste Berg Europas, gibt keinem namhaften Fluß den Ursprung, während der größte europäische Strom, die Donau, einem vergleichsweise unbedeutenden Gebirge entspringt. Auch in der Schweiz kommen nur Nebenflüsse des Rheins von den höchsten Alpen, da doch die viel niedrigere Kette, die vom Gotthardpaß über den Splügen hinaus bis zum Juliergebirge reicht, bedeutende Ströme nach allen vier Gegenden der Welt entläßt. Die höchsten und niedrigsten Bergzüge scheinen gleich ungeeignet, großen Strömen das Dasein zu verleihen. Gebirge mittlerer Höhe, deren Schnee bei mäßiger Wärme zerrinnt, sind die wasserreichsten: sie können die Flüsse, die an ihren milchweißen Brüsten saugen, den größten Teil des Jahres überflüssig tränken, während die höchsten, mit ewigem Schnee bedeckten Firne selbst bei der glühendsten Sonnenhitze kaum zu schmelzen beginnen. In ihnen hat die Natur unerschöpfliche Vorratskammern angelegt, die dann am ergiebigsten spenden, wenn alles umher vor Durst verschmachten will. In trockenen Sommern würde die Donau versiegen, wenn ihr nicht aus Gebirgsgegenden Zuwüchse kämen, die höher liegen als der Fels, wo ihre Quelle entspringt. Umgekehrt hat der Rhein an den Eisgebirgen seiner Heimat einen Rückhalt, wenn seinen niedrig geborenen deutschen Tributären das Wasser ausgeht.
Jene Alpenkette mittlerer Höhe, welche außer dem Rhein noch drei andere Ströme entsendet, nämlich die Rhône, den Inn und den Tessin, hieß den Alten Adula; uns heißt sie St. Gotthard, obwohl gewöhnlich nur ihr westlichster Paß so genannt wird. Da Hart (Hard) Gebirge heißt, so bleibt unentschieden, ob sie diesen Namen zu Ehren des höchsten Gottes oder des heiligen Gotthard führt, dem an der Quelle des Vorderrheins, also weit oben vom Gotthardpaß, eine Kapelle erbaut war. Wer von dem Gipfel dieses Gotthard die übrigen, viel höheren Gebirgsspitzen erblickt, dem scheint es, als ob sie sich alle gegen ihn verneigten wie gegen Josefs Garbe die Garben seiner Brüder. Und wohl verdient diese Verehrung das Gebirge, welches als die eigentliche Wasserscheide zwischen der Nordsee und dem Mittelländischen Meer zu betrachten ist, denn jener schickt es den Rhein, diesem die Rhône, den Tessin und mittels der Donau den Inn zu.
Doch nicht bloß die Wasser scheidet der Adula, auch das Wetter, und was wichtiger ist: die Völker. Aus dem Livinental, das der Tessin gebildet hat, kam ich nach Airolo, um über den breiten Rücken des Gotthard in die deutsche Schweiz zurückzuwandern. Der Wirt, Herr Camossi, bei dem wir uns zu dem großen Übergang stärkten, wünschte uns in der welschen Sprache seines Landes zu der heiteren Witterung Glück, mit welcher der Himmel unser Unternehmen sichtbar begünstigte. Wirklich blieb uns diese bis auf das Hospiz treu, das auf dem Gipfel liegt, wo wir die letzten Laute italienischer Zunge vernahmen. Doch waren die Vorgänger unserer tessinischen Wirte Deutsche gewesen. Gleich hinter dem Hospiz, wo der Weg sich nördlich senkt, sahen wir einen dichten deutschen Nebel liegen, unter den wir schlüpfen mußten. Da war der heitere Himmel Welschlands verscherzt, der Regen goß in Strömen nieder, und als wir unten das Dorf Hospental erreichten, empfing uns der treuherzige Wirt mit den allzu deutschen Worten: »Was habt ihr für schlechtes Wetter!«
Nicht überall freilich scheidet der Rücken des Adula Deutsche und Welsche so scharf wie am Gotthardpaß. Weiter rechts, wo der Rhein in drei Bächen seinen nordöstlichen Abhängen entspringt, und tiefer in Graubünden wohnen Deutsche und Churwelsche in wunderlicher