Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
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Aus dem Orleansschen Mordbrand hat Worms wenig mehr als seinen herrlichen Dom gerettet, dessen festes Mauerwerk die Franzosen vergebens zu zertrümmern suchten. Das hohe, schmale Langhaus mit einem östlichen und westlichen Chor, vier schlanken Türmen und zwei turmähnlichen Kuppeln an den Chören erinnert an den Dom zu Mainz, nur daß dort die Verhältnisse größer sind und die Kuppel über die Türme emporragt. In den ersten Jahren des Jahrtausends erbaut, ist es eins der ältesten und schönsten Denkmäler des Rundbogenstils, jener am Rhein so viel gepflegten Baukunst, von der die Gelehrten nicht wissen, ob sie byzantinisch oder lombardisch heißen müsse. Uns scheint sie weder griechischen noch italischen Geist zu atmen, sondern aus dem starren und strengen Sinn des Nordens hervorgegangen zu sein, dem sich die Milde des Christentums und die üppige Blüte der Romantik noch nicht erschlossen hatten. Von dem östlichen Chor und der nördlichen Langseite blicken scheußliche Larven, grimmige Tiergestalten auf uns herab, gleichsam Ausgeburten des finsteren Heidentums, welche die christliche Kirche des elften Jahrhunderts noch nicht alle auszuscheiden und zu bewältigen gewußt hatte. Der westliche Chor zeigt etwas spätere Formen und Übergänge in den Spitzbogen. Man erklärt: dies durch die im fünfzehnten Jahrhundert notwendig gewordene Wiederherstellung des einen westlichen Turms. Allein schwerlich lag ein westlicher Chor im Plan des ersten Baumeisters. Hier, dem östlichen Chor gegenüber, mußte sich, nach einem durchgreifenden Gesetz, ursprünglich der Haupteingang befinden. Das jetzige, schon ganz gotische Hauptportal auf der Südseite kann erst drei Jahrhunderte später angefügt worden sein. Auf seiner Spitze reitet ein gekröntes Weib auf einem vierfüßigen, seltsamen Tier. Man hat gefragt, ob es die triumphierende Kirche, die Stadt Worms oder die babylonische Hure vorstelle. Auch auf die Frauen des Heldenlieds, die sich vor dieser Kirche schalten, hat man geraten. Und wirklich hat die Deutung auf Brunhilde, aber nicht die mythische, sondern die historische, des austrasischen Siegberts Gemahlin, viel für sich, denn Worms, wohin sie sich geflüchtet hatte, war es nach einigen Annalen, wo jenes grauenvolle Gericht über die fast achtzigjährige, herrschsüchtige Frau erging:
Der Hengst riß wiehernd aus, die Hinterhufe schlugen
Das nachgeschleppte Weib; verrenkt in seinen Fugen
Ward jedes Glied an ihr; um ihr entstellt Gesicht
Flog ihr gebleichtes Haar; die spitzen Steine tranken
Ihr königliches Blut, und schaudernd sahn die Franken
Chlotars, des Zürnenden, entsetzlich Strafgericht.
Ferdinand von Freiligrath
Vorher war sie drei Tage lang mannigfach gemartert und auf einem Kamel sitzend dem Hohn des Heeres preisgegeben worden. Für ein Kamel könnte auch das rätselhafte Tier des Wormser Portals gelten, das freilich zu späten Ursprungs ist, als daß die historische Brunhilde damals im Andenken gewesen wäre. Näherer Betrachtung soll sich auch jenes Tier durch die Attribute der vier Evangelisten, die an dem viergestaltigen Haupt und den unten nicht erkennbaren Füßen zum Vorschein kommen, als ein apokalyptisches ausweisen, so daß die Deutung auf die triumphierende Kirche doch zuletzt triumphiert.
Zwischen Worms und Speyer hätten wir Oggersheim und Frankenthal erwähnen können, beide der Mündung des Neckars fast gegenüber; dieses berühmt durch die überprächtige Hochzeit jenes Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, der unter dem Namen »Winterkönig« im böhmischen Krieg einen so tragischen Ausgang nahm; jenes durch seine seltsame Rettung, als in demselben Krieg Hans Warsch, der Viehhirt, mit dem spanischen Feldherrn Don Corduba auf eigene Faust unterhandelte und seiner ganz verlassenen Vaterstadt eine günstige Kapitulation, seinem neugeborenen Kind aber einen Paten erwarb. Der aus Langbeins Gedichten bekannten Anekdote sind wir nicht gesonnen, ihre historische Glaubwürdigkeit anzufechten; der Name des Hirten klingt aber bedenklich. Das digammatisch vorgesetzte W scheint einen der derbsten deutschen Spottnamen verbergen zu wollen.
Auf einem weinreichen Hügel, der in guten Jahren ein Gewächs liefert, dem der Johannisberg nichts entgegenzustellen hat, liegt Oppenheim zu den Füßen der herrlichen Katharinenkirche und der einst stolzen Reichsfeste Landskron. Jene, aus dem Schutt des Orleansschen Brandes noch nicht ganz erstanden, hat mein Landsmann Dr. Franz Hubert Müller wegen ihrer Schönheit zum Gegenstand eines eigenen kostbaren Werkes gemacht. Das Wahrzeichen Oppenheims ist die Schwedensäule, ein obeliskenartiges, 56 Fuß hohes Ehrendenkmal Gustav Adolfs, der hier, wie die Sage geht, auf einem Scheuertor über den Rhein setzte. Oppenheim und Landskron nahm er im Sturm. Von zehntausend damals gefallenen Schweden und Spaniern werden in der Katharinenkirche die wohlaufgeschichteten Gebeine gezeigt.
Von der Schwedensäule erzählt A.L. Grimm: »Ein Löwe mit einer Helmkrone und einem Schwert saß auf der Spitze des Obelisken. Dieses Schwert nahm in der Folge des Dreißigjährigen Krieges ein kaiserlicher Offizier aus den Klauen des nordischen Löwen und überbrachte es dem Kaiser Ferdinand. Seine Hoffnung versprach ihm dafür große kaiserliche Gnade und reiche Geschenke. Statt der goldenen Ketten aber, von welchen ihm schon geträumt, hätte ihn der Kaiser beinahe an einer eisernen aufhängen lassen, ›weil er eines so tapfern Helden aufgerichtete Flammsäule durch Raub also verunehrt‹.«
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