Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
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»Grüß Gott, grüß Gott, mein Schwesterlein,
Dein Vater ist König an dem Rhein.«
Die Rheinpfalz wird von dem Hardtgebirge, einer Fortsetzung der Vogesen, durchzogen, an dessen Fuß jene fruchtbaren, weintriefenden Höhen sich wölben, die der Gott der Reben zu Lieblingssitzen erkoren hat. Die Reise über Landau, Edenkoben, Neustadt, Deidesheim, Forst, Dürkheim, Ungstein und Grünstadt, lauter dem Önologen wie dem Weintrinker wohltönende Namen, gehört zu den schönsten, die man am Rhein machen könnte. Für diesmal liegt sie nicht in unserem Plan; jedoch gedenken wir in die höheren Gegenden Rheinbayerns vom Nahegau aus zurückzukehren. Wir erwähnen nur einzelne hervorragende Punkte. Fast an der Grenze des Elsaß und Rheinbayerns liegt die Kaiserburg Trifels (im Annweiler Tal bei Landau), wo einst die Reichskleinodien verwahrt wurden und Richard Löwenherz eine Zeitlang gefangen saß, bis ihn sein getreuer Blondel auffand und seine Freigebung bewirkte. Die Sage meldet, Blondel habe den Aufenthalt des Königs in den dunklen Verliesen der Reichsburg durch Gesang entdeckt. Das Nähere wird verschieden angegeben. Nach einigen hatte der König die Weise des Liedes, das die Entdeckung herbeiführte, in den Tagen seiner Heldenjugend selber erfunden. Zum Verständnis der nachstehenden Behandlung der Sage erinnern wir an die Sitte des Mittelalters, die in den Liedern jener Zeit so häufig benutzt wird, wonach der Wächter von den Zinnen des Turms, wie sich bei unseren Nachtwächtern noch ein schwacher Überrest davon erhalten hat, ihre Meldungen singend zu verrichten pflegten und daher wohl für gesangliebende und gesangkundige Leute gelten mochten. Die unteren Räume des Turms aber wurden gewöhnlich zu Gefängnissen benutzt.
Richard Löwenherz
Der Wächter an der Zinne
Diese Weis und immer diese,
Tag und Nacht,
Singt der König im Verliese,
Bis der Morgen lacht.
Sieh, schon durch des Schwarzwalds Forellen
Blickt sein Strahl,
Seinem Winke zu gehorchen
Eilen Berg und Tal.
Möcht’ er dem die Freiheit bringen,
Der mit schwindem Schwertesschwang
Weiß die Heiden zu bezwingen
Und die Herzen mit Gesang.
Blondel
Löwenherz, von dir erfundnen
Liedeston
Sing’ ich nun am vielgewundnen
Rheine lange schon.
Dich mit Liedern auszuforschen
Nicht gelang,
Nie erwidern mir die morschen
Türme den Gesang.
Horch doch, ist es nicht die Weise,
Die von jener Zinne dringt?
Fiel sie hier so tief im Preise,
Daß sie schon der Wächter singt?
Wächter
Der da unten mit der Zither
Schleicht einher,
Mehr ein Sänger als ein Ritter,
Was ist sein Begehr?
Horch, die Töne sind es wieder,
Täuscht mich’s nicht,
Die so gern in seine Lieder
Der Gefangne flicht.
Im Verständnis mit dem Helden
Mag der schlaue Fremdling sein:
Soll ich ihn mit Blasen melden?
Pflicht wohl wär’s, doch herbe Pein.
Richard
Singen lehrt’ ich Wand und Spache
Dieses Lied,
Seit des Österreichers Rache
Mich von Menschen schied.
Nach von unten, nach von oben
Klingt es hold,
Wie zum Wettgesang erhoben
Um den Ehrensold.
Dort der Wächter; wär’s mein treuer
Blondel, der mir unten sang.
Klang’ es wohl mit anderm Feuer!
Freiheit ist der schönste Klang.
Blondel
Bist du’s, Richard, Herz des Leuen?
Heil dir, Held!
England ließ sich nicht gereuen
Schweres Lösegeld.
Immer konnte man dich milde,
Gütig schaun:
Männer boten Helm und Schilde,
Ring und Schmuck die Fraun.
Sieh, des Reiches Brief und Siegel
Gab mir Kaiser Heinrichs Macht,
Ungewiß, wo Östreichs Riegel
Dich verborgen hielt in Nacht.
Richard
Blondel, Bruder! Reich und Krone
Dank ich dir;
Aller Frauen Schönste lohne,
Was du tust an mir.
Blondel
Deines Volkes Lieb und Treue
Dankst du sie,
Deiner Milde, die ihr neue
Kraft und Fülle lieh.
Wächter
Und mich dünkt, des Lobs gebührte
Auch der Weise wohl ein Korn,
Die euch hier zusammenführte:
Fröhlich stoß’ ich nun ins Horn.