Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
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Die Vollendung des Doms, den er sich und seinen Nachfolgern, die diesseits der Alpen sterben würden, zur Begräbnisstätte geweiht hatte, erlebte Konrad nicht, aber er und Gisela sind darin beerdigt. Ihr Sohn, Kaiser Heinrich III., folgte ihnen zwar im Reich, ganz jedoch hatte der Zorn des Himmels nicht beschwichtigt werden können, denn diesen kraftvollen Fürsten riß ein frühzeitiger Tod plötzlich hinweg, und sein kaum sechsjähriger Sohn, Heinrich IV., wurde durch die Verirrungen seiner Minderjährigkeit an dem meisten Unglück schuld, das Deutschland in den folgenden Jahrhunderten betraf.
Auch Heinrich III. ist in Speyer beerdigt, aber seinem Sohn schien in dem Dom, den er ausgebaut hatte, keine Ruhestätte beschieden. Mitten in die Kämpfe zwischen Kirche und Staat, in die eifersüchtigen Reibungen der fränkischen und sächsischen Völker hineingeworfen, die zu schlichten kaum ein Kaiser mit eisernem Sinn und Willen vermocht hätte, wurde er das Opfer verwahrloster Erziehung und ungezügelter Begierden. Was der Jüngling leichtsinnig verbrochen hatte, mußte der Greis jammervoll büßen. Nach so vielen Demütigungen, von denen die bekannte im Schnee von Canossa eine welthistorisch-symbolische Bedeutung erlangte, traf ihn in den Empörungen seiner Söhne der härteste Schlag. Der Krone beraubt, seiner Ehren und Würden entkleidet, bat er den Bischof von Speyer, den er erhoben hatte, um eine Pfründe an seinem Münster, damit er in grauen Tagen nicht Hungers sterbe. Und doch tat er eine Fehlbitte. Nicht einmal sein Tod konnte seine Feinde versöhnen. Der Bischof von Lüttich, der ihn mit kaiserlichen Ehren bestattet hatte, mußte seine Leiche mit eigenen Händen ausgraben, weil ihr der Bannfluch geweihte Erde verbiete. Auf einer einsamen Insel der Maas ohne Sang und Klang niedergestellt, erbarmte sich ihrer nur ein zufällig vorüberkommender Mönch, der, dem barmherzigen Samariter gleich, durch eine schöne menschliche Tat die ganze Christenheit beschämte. Er weilte bei dem Sarg und sang Tag und Nacht über ihm Bußpsalmen und Totengebete. Als Heinrich V. endlich in sich ging und den Leichnam des Vaters nach Speyer bringen ließ, war die Kirche, die unzärtliche Mutter, noch nicht versöhnt und verbot, den Kaiser im Königschor beizusetzen, bis der Heilige Vater den Bann gelöst habe. Fünf Jahre standen Heinrichs irdische Reste unbeerdigt in der von ihm erbauten St.-Afra-Kapelle, und nur die getreuen Speyerer schreckte der Bann nicht, seiner Seele Gebetsopfer darzubringen.
Endlich brachte Heinrich V. dem verratenen Vater die Lossprechung aus Italien mit, bestattete ihn feierlich in der Kaisergruft und erteilte den Speyerern für ihre unverbrüchliche Treue die erste Urkunde ihrer Freiheit. Einigermaßen mildert dies seine Schuld, aber noch hing sie schwer und unheilbringend über seinem Haupt, und als auch er mit Helm und Schild in die Gruft zu Speyer getragen wurde, da weinte kein Sohn am Sarg des letzten Kaisers vom salischen Stamm. Der Vaterfluch hatte seine Lenden unfruchtbar gemacht, und die Krone ging, nach einem kurzen sächsischen Zwischenreich, auf die Hohenstaufen über, die durch eine Tochter Heinrichs IV. von den Saliern stammten. Hier ist der Ort, eine rührende speyerische Volkssage einzuschalten, die, wenn sie auch nicht buchstäblich mit der Geschichte übereinstimmt, ihre Bedeutung als »Das Weltgericht« desto schöner hervorhebt. Wir berichten sie mit den Worten eines talentvollen jungen Dichters, Max von Oër.
Die Glocken zu Speyer
Zu Speyer im letzten Häuselein,
Da liegt ein Greis in Todespein,
Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,
Viel Tränen rinnen in seinen Bart.
Es hilft ihm keiner in seiner Not,
Es hilft ihm nur der bittre Tod.
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt’s auf einmal wundersam.
Die Kaiserglocke, die lange verstummt,
Von selber dumpf und langsam summt,
Und alle Glocken, groß und klein,
Mit vollem Klange fallen ein.
Da heißt’s in Speyer weit und breit:
Der Kaiser ist gestorben heut!
Der Kaiser starb, der Kaiser starb:
Weiß keiner, wo der Kaiser starb?
Zu Speyer, der alten Kaiserstadt,
Da liegt auf goldner Lagerstatt
Mit mattem Aug’ und matter Hand
Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt.
Die Diener laufen hin und her,
Der Kaiser röchelt tief und schwer,
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt’s auf einmal wundersam.
Die kleine Glocke, die lange verstummt –
Die Armesünderglocke – summt,
Und keine Glocke stimmt mit ein,
Sie summt so fort und fort allein.
Da heißt’s in Speyer und weit und breit,
Wer wird denn wohl gerichtet heut?
Wer mag der arme Sünder sein?
Sagt an, wo ist der Rabenstein?
Mit Heinrich V. schließt die erste Reihe der zu Speyer begrabenen Kaiser. Sie ruhen nebeneinander, nur bei Konrad seine Gemahlin, die fromme Gisela, bei dem vierten Heinrich seine vielgetreue, von ihm so oft bitter gekränkte Bertha, dieselbe, von der das italienische Sprichwort redet: »Non è più il tempo che Berta filava.« Über den Gräbern erhoben sich Sarkophage von rotem Marmor, in die bezeichnende Worte eingehauen waren, die, wenn man von Sarg zu Sarg hinüberlas, die Verse bildeten:
Filius Hic – Pater Hic – Avus Hic – Proavus jacet istic,
Hic Proavi Conjunx – Hic Henrici Senioris.
Von den Hohenstaufen liegen nur König Philipp, der Ermordete, und des Rotbarts Gemahlin Beatrix nebst ihrer Tochter Agnes zu Speyer begraben, von den Habsburgern Rudolf und sein ungleicher Sohn Albrecht. Kaiser Rudolfs Ritt zum Kaisergrab – er war in dem benachbarten Germersheim, seinem Königssitz, erkrankt und ritt im Vorgefühl des Todes nach Speyer, um seinen Leib in die Gruft seiner Vorfahren zu tragen – ist von mehreren deutschen Dichtern besungen worden. In meinen »Rheinsagen« habe ich Wilhelm Wackernagels Behandlung vorgezogen, welcher folgenden schönen, von dem gleichzeitigen Chronisten Ottokar von Horneck und erhaltenen, ohne Zweifel historischen Zug einzuflechten gewußt hat. Ein Steinmetz, wie Ottokar bescheiden meldet, hatte noch bei Rudolfs Lebzeiten sein lebensgroßes Bild auf einem Stein ausgehauen, und zwar so getreu, daß auch die Falten seiner Stirn nicht vergessen waren. Als der Kaiser nun zum Grab ritt, reiste er ihm nach, um auch die letzten Furchen, die das Alter noch in das Antlitz des nun Heimgegangenen gegraben hatte, auf seinem Bild nachzutragen. Und damit verstieß er nicht gegen die Regeln seiner Kunst, denn:
»Wer so in Sorgen war des Reichs Erhalter,
Auf dessen Stirn ist jede Falte heilig.«
Dieser Stein wurde nun sein Dach, singt Ottokar. Vermutlich