Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
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Zwischen Dürkheim und Grünstadt liegen die Trümmer der Schlösser Alt-und Neuleiningen, aus denen das gräfliche, dann das fürstliche Geschlecht hervorging, das noch jetzt im Rhein-und im Maintal mittelbare Herrschaften besitzt. Weiterhin, am Fuß des Donnersbergs, liegt Göllheim, wo König Adolf von der Lanze seines Gegners Albrecht tödlich getroffen niedersank. Mehrere Steine und ein Denkmal, in der Volkssprache Des Königs Kreuz genannt, bezeichnen das Schlachtfeld. Die nächste bedeutende Stadt in dieser Richtung ist die ehemals kurpfälzische Amtsstadt Alzey, die uns wieder an die Nibelungen erinnert, wo Volker der Fiedler von Alzeye zu Hause sein soll. Wirklich führte Alzey die Fiedel im Wappen, und die Alzeyer werden in der Umgegend spottweise die Fiedler genannt; auch gedenkt das »Alzeyer Weistum« der verschiedenen Völker. Überhaupt sind diese Gegenden an Beziehungen auf unsere Heldenlieder reich. Wir schweigen von Worms, weil wir nur das minder Bekannte anführen wollen. Ungefähr Schröck gegenüber liegt Jockgrim, ein unbedeutender Ort, wo aber nach dem Lied von »Eckens Ausfahrt« die drei Königinnen wohnten, welche Herrn Eck gegen Dietrich von Bern reizten. Nach der »Wilkinasage« waren der Königstöchter neun, und ihre Wohnung hatten sie auf dem Drachenfels, womit aber nicht der eben erwähnte im Speyergau, sondern der niederrheinische bei Bonn gemeint scheint. Bei dem jenseitigen Philippsburg, das einst Udenheim hieß, oder bei Oggersheim – darüber schwanken die Angaben – gewann einer der ältesten Pfalzgrafen, jener Ezzo von Aachen, der Schwager Kaiser Ottos III., eine Schlacht gegen Dietrich, Herzog von Lothringen. Spätere Geschichtsschreiber vermuteten, ein bei dieser Gelegenheit erst zum Vorschein kommender sprichwörtlicher Segenswunsch: »Möchtest du nie nach Odenheim gelangen«, sei von dieser Zeit an gebräuchlich geworden. Da aber nach der bekannten Strophe der letzten Überarbeitung Siegfried bei Odenheim erschlagen sein soll, so ist es viel glaublicher, daß jenes Sprichwort sich auf den im Volksgesang berühmten Tod dieses Helden, als auf eine längst vergessene Schlacht bei Udenheim oder Oggersheim, welche Orte das Sprichwort nicht einmal nannte, bezogen habe. Bisher hat sich aber ein solches Odenheim nicht auffinden lassen. Den Ort bestimmen zu wollen, wo Siegfried erschlagen worden sei, wie es so vielfach, auch von rheinischen Gelehrten, versucht worden ist, wird überhaupt ein vergebliches Bestreben bleiben, da die verschiedenen Lieder, aus denen das Gedicht zusammengesetzt ist, darüber unvereinbare Angaben enthalten. In einer Abhandlung des verdienten Herrn Domkapitulars Dahl zu Mainz (»Quartalblätter II«, 3.) bemühte sich derselbe, darzutun, daß jene Ermordung nirgendwo anders stattgefunden haben könne als in dem Teil des großen Lorscher Waldes, welcher der Wildbann hieß. Ich bedauere, daß der würdige Mann zu dieser ganz unhaltbaren Annahme durch mich verleitet worden ist. Er ging nämlich bei seiner Untersuchung statt von dem Original von meiner Übersetzung aus, wo die Stelle
Da ließ man herbergen vor dem Walde grün
Der Wildbahn gegenüber die stolzen Degen kühn
ihn veranlaßt hat, in die Urkunden nach Walddistrikten zu suchen, die den Namen Wildbahn oder Wildbann trugen. Dieses Wort kommt aber in der Urschrift nicht vor, vielmehr heißt es da »gên des wildes abeloufe«, was ich irrig mit »Wildbahn« statt mit »Wechsel« übertrug. Man lernt hieraus, daß der Geschichtsforscher Altdeutsch, Dichter und Übersetzer aber Jägerlatein verstehen sollten. Müssen wir darauf verzichten, den Schauplatz der Ermordung Siegfrieds zu ermitteln, so läßt sich dagegen die Stelle, wo der Nibelungenhort in den Rhein versenkt wurde, aus dem Gedicht selbst ziemlich genau bestimmen. Es ist nämlich Lochheim bei Biebesheim unterhalb Gernsheim im oberen Rheingau. Wer aber dahin reisen will, um nachzuforschen, wird einige Mühe haben, sich zurechtzufinden, denn die alten Dörfer Nieder-und Oberlochheim hatte der gierige, von dem Schatz ungesättigte Strom schon vor dem Jahre 1252 verschlungen. Vielleicht hat Odenheim, das durch jenes bisher unbeachtet gebliebene Sprichwort neue Bedeutung gewinnt, ein ähnliches Schicksal gehabt.
Indem er diesem nachspürte, stieß Dahl auf eine Gegend im Odenwald, welche der Spessart (Spechts Hart) genannt wurde. Dahin, meinte er nun, müsse Hagen den Wein gesandt haben, nach welchem Siegfried dürstete, nicht nach dem großen Spessart, der selbst für einen bloßen Vorwand zu entfernt sei. Allein mit so kleinlichem Maßstab darf man die Riesenschritte des Heldenliedes nicht nachmessen. Bedeutender ist es, was er über die Worms gegenüberliegende gefürstete Abtei Lorsch, deren treffliche Beschreibung ihm verdankt wird, in bezug auf die Nibelungen anführt. Nach den Zusätzen der Überarbeitung zog sich bekanntlich Ute, die Mutter Kriemhilds und der burgundischen Könige, dahin zurück, ja sie wird als die Stifterin der Abtei angegeben. Auch Kriemhild habe sich dahin begeben sollen, und wirklich sei Siegfrieds Leiche, von der sie sich nicht trennen wollte, nach Lorsch gebracht worden, wo er noch in einem langen Sarg liege. Das letztere scheint zwar ganz ohne Grund zu sein; nach Dahls Bemerkung war aber wirklich eine Klosterfrau Uda, die mit der ersten Stifterin Williswinde fast zu gleicher Zeit lebte, die zweite Stifterin der Abtei. Jetzt ist von ihrer alten Herrlichkeit nichts mehr übrig als eine Vorhalle und die zu einem Fruchtspeicher eingerichteten Trümmer der zweiten, im elften Jahrhundert erbauten Kirche. Weit älter ist die Halle, deren römische Kapitelle sie in die karolingische Zeit setzen, aus der uns auch am Rhein nur wenige Denkmäler erhalten sind.
Bei dem obigen kurzen Überblick der wichtigsten Punkte des Speyer-und Wormsgaus haben wir uns an das vom Rhein ziemlich entfernte Hardtgebirge gehalten. Die Rheinufer sind malerisch weniger anziehend, ihr romantisches Interesse bleibt aber noch groß genug. Wie Frankfurt die Wahl-, Aachen die Krönungsstadt, so ist Speyer die Totenstadt unserer Kaiser. Den Römern schon als die Hauptstadt der Nemeter (Civitas Augusta Nemetum) bekannt, von dem Merowinger Dagobert aus dem Schutt der Völkerwanderung erhoben, erstieg es unter den fränkischen Kaisern, die hier heimisch waren, die höchsten Stufen seines Glanzes. Konrad der Salier, der auch den Namen »der Speyerer« führt, wurde der Stifter seines berühmten Kaiserdoms. Als sein gleichnamiger Sohn von der hohen Limburg herabgestürzt war, genügte es der frommen Gisela nicht, daß ihres Sohnes Todesstätte Gott geheiligt worden war. Das zweite Jahrtausend nach Christi Geburt war angebrochen und das prophezeite Weltende nicht eingetreten. Man glaubte der göttlichen Erbarmung Dankopfer schuldig zu sein, und zumal Konrad, der erste seines Geschlechts, der den Herzogshut mit der Kaiserkrone vertauscht hatte, die er seinem einzigen noch übrigen Sohn Heinrich zu erhalten hoffte, mußte sich der Gnade des Himmels zugleich verpflichtet und fernerhin bedürftig fühlen. Vielleicht wirkte noch ein dritter Beweggrund mit: Gisela, gleich dem Kaiser aus karolingischem Geschlecht, war eine so nahe Verwandte ihres Gemahls, daß manche ihre Ehe für unerlaubt hielten. Heiraten in zu naher Verwandtschaft droht noch heute das Volkssprichwort mit: »Sterben, Verderben oder ohne Erben.« Als nach des erstgeborenen Konrads Sturz ihr der einzige Heinrich übrigblieb, mochte Gisela, jener Drohung eingedenk, auch für dessen Leben zittern und den Zorn des Himmels zu versöhnen bedacht sein. Auf die Bitte seiner Gemahlin gelobte Konrad in seiner Hauptstadt Speyer einen neuen Dom – eines Kaisers würdig, Gott und der Heiligen Jungfrau zu Lob – und zugleich zu Ehren des Evangelisten Johannes eine dritte Kirche auf dem nachher sogenannten Weidenberg zu erbauen, wo seine Vorfahren, die rheinfränkischen Herzöge und Grafen des Speyergaus, ein Hofgut besessen hatten. Am zwölften Juni 1030, vor aufgehender Sonne,