Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
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Das Wormsfeld, zu dem früher auch Mainz und der Nahegau gerechnet wurden, ist selbst in dieser seiner weitesten Ausdehnung an guten Weinen nicht so ergiebig als der Speyergau; es bringt aber einige hervor, die den Rheinweinen beigezählt werden. Wenige Stunden oberhalb Mainz beginnt das Gebirge sich näher an den Rhein zu ziehen, und von Oppenheim abwärts bis dahin reifen die sogenannten kleineren Rheinweine, unter denen der Niersteiner den ältesten Namen hat. Wenn aber schon Worms durch seine Liebfrauenmilch und durch seinen Luginsland berühmt ist, so werden diese doch nicht eigentlich zu den Rheinweinen gerechnet, so wenig als der Rheinfaller bei Schaffhausen, das Schweizerblut bei Basel, der Markgräfler bei Badenweiler, der Affentaler bei Baden oder die Hardt-und Bergstraßer Weine. Erst wo die Nebel des Rheins und die vom Spiegel des Stroms zurückgeworfenen Sonnenstrahlen die Reife der edelsten Bergtrauben begünstigen, spricht man von Rheinweinen, ja einige wollen diesen Namen keinem Gewächs zugestehen, das nicht im Rheingau gewonnen worden ist.
Die Liebfrauenmilch wächst bekanntlich im Garten des Liebfrauenstifts, das vor dem Mainzer Tor in der ehemaligen Mainzer Vorstadt lag, welche nach der Zerstörung durch die Vandalen 1689 nicht wiederaufgebaut wurde, wie denn das heutige Worms im Vergleich mit seinem Umfang vor jenem Mordbrand nur ein Flecken ist. Von der Mainzer Vorstadt blieb nur die Kirche des Liebfrauenstifts stehen, deren Umgebung allmählich zu Weingärten angelegt wurde. Diesen gewährt unsere liebe Frau Schutz vor Nord-und Nordwestwinden, indem sie eine hohe nördliche Wand bildet, an deren südlicher und südwestlicher Seite die beste Lage ist, denn nur so weit der Turm am Abend seinen Schatten wirft, wächst nach dem Sprichwort die eigentliche Liebfrauenmilch. Auch den Boden hat sie hergegeben, indem er größtenteils aus dem Schutt der ehemaligen Klostergebäude besteht. Die Wahl des Namens ist also ziemlich gerechtfertigt, wenn es wirklich einen Prosaiker geben sollte, bei dem ein so schöner Name einer Rechtfertigung bedürfte. Wieviel übrigens seine Poesie zu dem Genuß beiträgt, mit dem wir dieses durch Feuer, Geschmack und Blume ausgezeichnete Gewächs schlürfen, ist unberechenbar.
Die zweitbeste Weinlage zu Worms ist das Katerloch auf der dem Liebfrauenstift entgegengesetzten Seite der Stadt, durch die es vor den schädlichen Winden geschützt wird.
Für die drittbeste gilt der Luginsland, nach dem weitschauenden Turm, der sonst an der Ecke der südlichen Stadtmauer stand, so geheißen. Wer wollte aber nicht lieber Liebfrauenmilch oder Luginsland trinken als Katerloch? Wo dieser garstige Name seinen Ursprung herleitet, wissen wir nicht; wenn ihn aber ein Weinproduzent aufgebracht hat, so muß er seinen Vorteil schlecht verstanden oder dort keine Besitzungen gehabt haben.
Worms gehört mit Köln und Trier zu den ältesten Städten des Rheinlands. Mythisches Halbdunkel verhüllt die Anfänge seiner Geschichte. Seinen Beziehungen zur deutschen Heldensage, von welcher schon gelegentlich die Rede war, weichen wir hier auch darum aus, weil wir sie zu erschöpfen nicht hoffen dürften. Nur die Vermutung mag hier stehen, daß der Name der Stadt, deren älteste Form Borbetomagus mit Wurm nichts gemein hat, die Anknüpfung der Siegfriedsage begünstigt zu haben scheint. Zwar erinnert schon der älteste, wahrscheinlich fabelhafte Bischof von Worms, Victor, an Siegfried – wie zu Xanten, Siegfrieds Heimat, der Dienst des heiligen Viktor zu Hause ist –, aber schwerlich ist die Erfindung dieses Bischofs von hohem Alter. Der nirgends als in der Gegend von Worms häufiger vorkommende Name Nibelung bezeugt nur, daß die Sage hier einst heimisch und sehr beliebt war. Da er aber hier nicht zuerst auftaucht, sondern im alten Land der Franken, so scheint er nicht zu den burgundischen Bestandteilen der Sage zu gehören und erst mit der Herrschaft der Franken ins Wormsfeld gekommen zu sein. Das alte Wappen der Stadt hat ursprünglich keine Beziehung auf die Heldensage, denn die Deutung des Schlüssels auf jenen, welchen Siegfried dem Riesen abgenommen, um die Jungfrau zu befreien, setzt eine ganz späte Gestaltung der Sage voraus; und wenn fliegende Drachen (Würmer) die Schildführer des Wappens waren, so erklären sich diese schon genügend aus dem Namen der Stadt – wie der Schlüssel wohl nur das Verhältnis des Bistums zum römischen Stuhl andeutet. Der Ansicht des neuesten Geschichtsschreibers von Worms, daß die Siegfriedsage skandinavischen Ursprungs sei, kann ich nicht beipflichten; vielmehr glaube ich, daß sie erst durch die Normannen aus dem alten Frankenland nach dem hohen Norden gebracht wurde.
»Ist kein Dahlberg da?« fragten bekanntlich die deutschen Könige nach der Krönung, wenn sie zur Feier ihrer Erhebung Sprößlingen des deutschen Adels den Ritterschlag erteilen wollten. Diese Frage zeigt uns das in Worms heimische Geschlecht der Dahlbergs als das vornehmste, wo nicht älteste der gesamten deutschen Ritterschaft. Die Dahlbergs hießen ursprünglich Kämmerer von Worms, und dort war eine eigene Gasse nach ihnen die Kämmerergasse genannt. Vielleicht verdankten sie jenen Namen der Obhut über die kaiserlichen Kammerknechte, die Juden, womit sie vom Reich beliehen waren. Nirgends in Deutschland fand sich im Mittelalter eine zahlreichere Judenschaft, nirgends eine ältere, ehrwürdigere Synagoge. Die deutschen Juden hatten drei oberste Rabbiner, einen zu Prag, den anderen zu Worms und den dritten zu Frankfurt, und nach Kaiser Ferdinands Privilegium hatte der zu Worms den Vorzug vor beiden anderen. Neuere Untersuchungen finden die uralte Tradition, daß schon Jahrhunderte vor Christi Geburt Juden in Worms Niederlassungen gehabt haben, mehr als wahrscheinlich. Nach der uralten Chronik der dortigen jüdischen Gemeinde, »Maseh Nisim«. hatten sich schon um die Zerstörung des ersten Tempels durch die Babylonier, 588 Jahre vor Christi Geburt, Juden nach Worms gezogen, wo es ihnen so wohl gefiel, daß sie sich zur Rückkehr nicht entschließen konnten. Aber die Priester im Gelobten Land drohten ihnen mit der Strafe Gottes, weil Gott den Männern geboten habe, die drei hohen Feste in Jerusalem zu begehen. Da antworteten die Wormser Juden: Sie wohnten im Gelobten Land, Worms wäre das kleine Jerusalem und ihre Synagoge der kleine Tempel.
Nach einer andern Überlieferung soll die Erde auf dem uralten jüdischen Begräbnisplatz, dem sogenannten Heiligen Sand, von Jerusalem dahin gebracht worden sein, weshalb sich andere deutsche Juden sehr angelegen sein ließen, in Worms aufgenommen und begraben zu werden. An das unleugbare hohe Alter der jüdischen Gemeinde zu Worms knüpfte sich alsdann deren Behauptung, daß sie in Christi Kreuzigung nicht nur niemals gewilligt, sondern sogar durch ein eigenes Schreiben an den König der Juden ernstlich davon abgeraten hätten. Dies verschaffte ihnen jene wichtigen, von Kaiser und Reich bestätigten Privilegien und veranlaßte, wie es scheint, das Sprichwort: »Wormser Juden – fromme Juden.« Daß sich die aus Cäsarius bekannte Sage von dem Judenmädchen, welchem verheißen war, den Messias zu gebären, und die hernach eine Tochter zur Welt brachte, gerade in Worms ereignete, deutet auch darauf, daß diese Stadt für eine Hauptstadt der Juden, für ein deutsches Jerusalem galt.
Die jüdische Gemeinde zu Worms hatte eine wohlgeordnete Verfassung unter einem Vorsteher, welcher der Judenbischof hieß. Den Kämmerern von Worms, den Dahlbergs, war der Schutz dieser Verfassung vom Reich übertragen. Die Kämmerer selbst müßten jüdischen Ursprungs sein, wenn sie wirklich, wie sie sich in ihren Stammbäumen rühmten, durch die Jungfrau Maria mit unserem Heiland verwandt gewesen wären. Als einst, die Anekdote ist bekannt, eine Frau von Dahlberg anzuspannen befahl, und der Kutscher fragte, wohin er sie fahren solle, antwortete sie: »Zu meiner Cousine nach Liebfrauen.«
Einer der ersten des Geschlechts der Kämmerer soll, der Familiensage gemäß, nach der Zerstörung Jerusalems durch Titus mit der XXII. Legion nach Worms gekommen sein. Übrigens erbten die Kämmerer von Worms den Namen Dahlberg erst in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, wo das im Nahegau, drei Stunden von Kreuznach, heimische Geschlecht derer von Dahlburg erlosch und ihre Besitzungen auf jene ihnen durch Heiraten verbundenen Kämmerer von Worms übergingen, welche Namen, Schild und Helm der Dahlbergs den ihrigen beifügten und bis heute fortführen. Von Schloß Dahlburg, das im Stahlstich diese Blätter zu zieren bestimmt ist, unten das Nähere; hier könnte nur von Herrnsheim, dem kaum eine dreiviertel Stunde von Worms entfernten Stammschloß der Familie Dahlberg-Herrnsheim, die Rede sein. Eine Spazierfahrt