Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock

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Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland - Karl Simrock

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hat seine Telle usw., ihre Namen sind nicht zu gleicher Berühmtheit gelangt; nicht um Ruhm ja traten sie zusammen, sondern für ihr Volk, und dieses erfreut sich noch heute der von ihnen gegründeten Freiheit. Die Geschichte könnte die Namen ganz entbehren, viele Wohltäter des Menschengeschlechts nennt sie nicht; die Sage ist dankbarer, sie behält uralte ehrwürdige, der Geschichte entfallene Namen, und im Fall der Not setzt sie den einen statt des andern. Oft aber borgt die Geschichte, die ärmere Schwester, von der Sage, bis die Kritik hinzutritt und jeder ihr Eigentum wieder zuweist. So hat man neuerdings Tells Apfelschuß aus der Geschichte in die Sage verwiesen, ja selbst Tells wie Geßlers Dasein geleugnet. Wenn aber die Sage aus lebendiger Anschauung den Sohn der Alpen schildert, wie er das Leben täglich für sich und andere wagt und doch der Dränger Unbill langmütig erträgt und nur, wenn er aufs Äußerste gebracht wird, zu dem sicher treffenden Pfeil greift, ist das nicht auch Geschichte?

      Aber leugne man nur die Telle, die Eidgenossenschaft freier Schweizer bleibt eine unleugbare Tatsache. So möge auch Graubündens Freiheit noch blühen, wenn einst der Dolch der Kritik die Namen der Männer getroffen hat, die zu ihrer Gründung den ersten Anlaß gaben.

      Der Geist der Freiheit weht am ganzen Rhein, von den Quellen zu den Mündungen: der Schweizer ist nicht freier als der Friese; beide nicht freigesinnter als die zwischen ihnen im Rheintal wohnenden Völker. Aber in der Schweiz und in Rätien waren die Landvögte und Kastellane früher bedacht, das Volk zu drücken und zu drängen, bis der lang gesponnene Faden seiner Geduld entzweiriß.

      Im Schamser Tal, dem der kaum entsprungene Hinterrhein aus dem Rheinwaldtal in schönen Wasserfällen durch die Bergenge Roffeln zueilt, liegt auf einem hohen Felsen die Feste Bärenburg. Jenseits, doch tiefer unten, lag in Donath, dem Hauptort des Tals, das Schloß Fardün. Beide ließ Graf Heinrich von Werdenberg zu Sargans durch seine Kastellane verwalten. Diese sollten die Menschheit gehöhnt und das Volk unleidlich gedrückt haben. Der auf der Bärenburg zwang die Bauern, mit dem Vieh aus dem Schweinstrog zu essen; der von Fardün trieb den Landleuten seine Herden in die Saat. Schweigend ertrug es das Volk, bis Johannes Caldar des Kastellans Pferde, die man ihm in die Saat schickte, erstach. Das sollte er in Ketten büßen; aber die Seinigen lösten ihn mit schweren Summen. Denn Johannes Caldar war vermögend und edlen Geschlechts; aber selbst Edle schonten die Unterdrücker nicht.

      Als Johannes Caldar mit den Seinen, die ihn befreit hatten, zu Tisch saß, trat der Kastellan von Fardün ins Gemach. Den Eintrittsgruß blieb er schuldig; statt dessen spuckte der Übermütige in den Brei, der den Tischgenossen zum Mahl bereitet stand. Da ergrimmte Caldar, faßte den Wüterich im Genick, drückte sein Haupt in die besudelte Speise und zwang ihn, den Topf selber zu leeren. Ob er noch strengere Rache an ihm genommen hat, wissen wir nicht; aber das aufgerufene Volk stürmte den Zwinger, Fardün und Bärenburg wurden gebrochen, und der Grund zur Freiheit des Tals war gelegt. Vielleicht fielen damals auch andere benachbarte Burgen. Von Hohenrealt wird erzählt, daß der letzte Zwingherr, als er, von den Schamsern und seinem Volk belagert, das Schloß nicht länger halten konnte, sich mit seinem Pferd von der senkrechten Felsenwand Tusis gegenüber in den Rhein hinabgestürzt habe; eine Tat, die eines besseren Täters wert wäre.

      Einen anderen Vorfall, der zur Befreiung Hohenrätiens Veranlassung war, sei uns erlaubt mit Zschockes wenig veränderten Worten zu berichten:

      »Im hohen grünen Tal des Engadin, von dessen Gletscherhöhlen der Innstrom hervorbraust gegen Tirol, war die Burg Gardovall, auf dem Felsen ob dem Dorfe Madulein, der Schrecken des Landes. Der grausame Kastellan von Gardovall sah eines Tages die Schönheit eines Mägdleins aus dem gegenüberliegenden Dorf Camogask. Und er schickte seine Knechte hinüber, die sollten ihm das Mägdlein zuführen. Da erschrak des Mägdleins Vater, und die Tochter verzweifelte fast. Der Vater aber faßte ein Herz und sprach zu den Knechten: ›Sagt dem gnädigen Herrn, ich werde ihm mein Kind zum Morgen selber zum Schloß bringen.‹ Als sie fort waren, lief der Vater zu seinen Nachbarn und Freunden, erzählte, was geschehen sei, und rief: ›Sind wir, Menschen, dieses Herren Vieh?‹ Da kochte Zorn in aller Brust und sie schworen in der Nacht zusammen, dem Elend des Tals ein Ende zu machen oder unterzugehen.

      Im Frühschein führte Adam, der Camogasker, seine schöne Tochter in Feierkleidern wie eine Braut geschmückt nach Gardovall. Einige der Verschworenen folgten wie im Brautgeleit; andere hatten sich um das Schloß im Hinterhalt versteckt, alle bewaffnet.

      Kaum sah der Kastellan das Mägdlein ankommen, so sprang er fröhlich von den Stiegen des Schlosses nieder und wollte die Unschuld vor den Augen des Vaters umarmen. Da zückte Adam von Camogask das Schwert und stieß es in das Herz des Ungeheuers. Er und die Seinen stürmten in die Burg, erschlugen die Knechte, gaben das Zeichen der Freiheit aus den Fenstern, und der Hinterhalt drang nach. Gardovall ging in Flammen auf. Frei war die Landschaft unter den Innquellen von der Gewaltherrschaft des Zwingherrn.«

      Bis hierher wissen wir die Namen der Handelnden, der Dränger wie der Bedrängten; und doch sind dies nur vereinzelte Vorfälle, die ohne das, was sich weiterhin Dauerndes begab, ebenso erfolglos dastehen würden wie Tells Schuß in der Geschichte der Waldstätte. Nicht in der hohlen Gasse, auf dem Rütli wurde die Freiheit der Schweizer gegründet. Und so wurde Hohenrätien weder auf Gardovall noch in Johannes Caldars bescheidenem Gemach befreit, sondern im einsamen Wald bei Truns, zwischen Disentis und Ilanz, am Vorderrhein. Die Namen der kühnen Männer, die hier bei stiller Nacht tagten und des Landes Freiheit berieten, kennen wir nicht; doch meldet die Sage, sie seien Vorsteher der Dorfschaften, wohlbetagte Männer mit langen, grauen Bärten gewesen. Noch will man auf der nahen Wiese von Tavanasa in den Ritzen der Felsen die Nägel bemerken, an welche die freien Männer ihre Brotsäcke hingen, da sie, bei der Quelle lagernd, die mitgebrachten Vorräte verzehrten. Dem weisen Abt von Disentis, Herrn Peter von Pontaningen, wird nachgerühmt, daß er ihr Unternehmen begünstigt und gefördert habe. Durch seine Vermittlung kamen 1424 die Vornehmen und Gemeinen des Landes in Truns vor der Kapelle St. Annen unter freiem Himmel, bei der großen Linde, wie es des Landes Sitte ist, zusammen, hoben die Hände auf und beschworen den sogenannten Grauen oder Oberen Bund, der noch besteht und bestehen soll, solange Täler und Berge sind. Von diesem Bund heißen die Räter Graubünder; aber es ist ungewiß, warum der Bund grau genannt wird: ob die höchsten Alpen, in deren Angesicht er geschlossen wurde, damals graue (Alpes grajae?) hießen oder ob das Volk sich in graues Tuch kleidete. Mitwirken mochte wohl der Gegensatz gegen den auf Veranlassung des Bischofs von Chur früher geschlossenen Gotteshausbund, welcher von der Tracht der Geistlichen der Schwarze Bund hieß. Späterhin bildete sich noch ein dritter, von den zehn toggenburgischen Gerichten in Rätien genannter Bund; aber der Name Graubünden ging auf alle rätischen Landschaften, selbst auf diejenigen über, die ursprünglich zum Schwarzen Bund gehört hatten.

      Via Mala

       Inhaltsverzeichnis

      Mit Zillis, dem letzten Ort in dem freundlichen Schamser Tal, schließt dieses völlig ab. Ein furchtbar hohes Gebirge, das von dem Piz Beverin zum Matterhorn streicht und das Schamser von dem fruchtbaren Domleschger Tal trennt, schiebt sich plötzlich vor und sperrt dem Rhein wie dem Wanderer die Straße. Jener findet aber einen Ausweg durch eine Bergspalte, das Verlorene Loch genannt, die vielleicht einst ein Erdbeben in das Gestein riß; dieser muß sich, um weiterzukommen, der berüchtigten Via Mala bedienen. Letztere ist zwar seit dem neuen Wegebau vom Jahre 1817 nicht mehr gefährlich, dennoch wird sie niemand ohne Schaudern zurücklegen. Auf einer Strecke von einer dreiviertel Stunde mußten die Felsen neben den tiefen Abgründen des Verlorenen Lochs gesprengt werden, um einen Weg zu gewinnen. Dreimal wechselt dieser auf der rechten und linken Seite der Schlucht, die durch Brücken verbunden sind, von denen die mittelste vierhundert Fuß hoch über dem in der tiefen Spalte kaum sichtbaren, kaum hörbaren Rhein hängt. Über der Brücke türmen sich die Felsen noch himmelhoch, unter ihr stürzt sich der Rhein in der Bergenge, die ihn zwängt, mit Ächzen und Stöhnen von Fels zu Fels; aber auf der hochschwebenden Brücke erreicht

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