Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
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Toggenburg
Der Deutsche nimmt es übel, wenn man von Goethe spricht, ohne auf Schiller zu kommen. Allerdings wäre dazu die schicklichste Gelegenheit bei der Hand, indem das der Grafschaft Vaduz gegenüberliegende Toggenburger Land wohl laut genug an ihn mahnt. In der Tat kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß hier, und nicht am Niederrhein bei Rolandseck, wie die meisten Reisebücher fälschlich melden, die Szene von Schillers »Ritter Toggenburg« zu suchen ist. Nicht in Nonnenwerth, sondern im Kloster Fischingen bei Toggenburg weilte die Liebliche, in deren Nähe sich der Toggenburger nicht eine Burg, wie Rolandseck gewesen ist, sondern eine Hütte baute. Mit dem Namen des Toggenburgers, nicht Rolands, des Paladins, nennt der Dichter seinen Helden, ja er läßt über dessen Heimat keinen Zweifel übrig in den Worten:
Schickt zu seinen Mannen allen
In dem Lande Schweiz.
Dazu kommt noch, daß sich in Toggenburg eine Begebenheit zugetragen hat, welche die Ballade veranlaßt haben könnte. Wir meinen die wunderbare Geschichte der heiligen Itha, von der es ein sehr verbreitetes deutsches Volksbuch gibt und die in allen katholischen Ländern als Legende gang und gäbe ist. Sie hat eine sehr nahe Verwandtschaft mit der von der heiligen Genoveva, erinnert aber zugleich an Rossinis »Gazza ladra«. Kürzer als mit den Worten Johannes von Müllers wüßten wir sie nicht zu berichten:
»Ein Rabe entführte der Gräfin Idda von Toggenburg, des Geschlechts von Kirchberg, ihren Brautring durch ein offenes Fenster: ein Dienstmann Graf Heinrichs fand ihn und nahm ihn auf; der Graf erkannte ihn an dessen Finger. Wütend eilte er zu der unglücklichen Idda und stürzte sie in den Graben der hohen Toggenburg; den Dienstmann ließ er an dem Schweif eines wilden Pferdes die Felsen herunterschleifen. Indes hielt sich die Gräfin an einem Gebüsch, wovon sie in der Nacht sich losmachte; sie ging in einen Wald und lebte von Wurzeln und Wasser im Glauben an den Retter der Unschuld. Als letztere klargeworden war, fand ein Jäger die Gräfin Idda. Allein obschon Graf Heinrich viel bat, wollte sie nicht mehr bei ihm leben, sondern blieb still und heilig in dem Kloster zu Fischingen.«
Der Schluß hat unstreitig einige Übereinstimmung mit der Ballade. Aber Valentin Schmidt geht wohl zu weit, wenn er behauptet, daß man die hohe Vortrefflichkeit des Schillerschen Gedichts nur würdigen könne, wenn man diese Legende lebhaft im Gedächtnis habe. Er glaubt nämlich, die Ballade setze die Legende voraus. Doch hören wir ihn selber:
»Die schwergekränkte Gattin, deren Unschuld endlich anerkannt ist, spricht die erste Strophe zu dem von Reue, Scham und Sehnsucht nach Wiedervereinigung still weinenden Gatten. Das Heftig-in-die-Arme-Pressen beim Abschiednehmen deutet auf das frühere eheliche Verhältnis, das seit jener furchtbaren Störung nach Iddas Willen nunmehr einem unvergänglichen Bund auf immer weichen muß. Der Zug des Ritters gegen die Ungläubigen, zugleich um Buße zu tun und Ruhe zu gewinnen, erreicht wenigstens den letzten Zweck nicht. Die Neigung zur früher mißhandelten und verstoßenen Gemahlin nimmt nur zu. Nicht länger als ein Jahr hält er es aus in der Ferne. Dann kehrt er zurück voll der irdischen Hoffnung, sie begütigt und versöhnt zu finden. Aber erst jetzt tritt der echte und fruchtreiche Schmerz ein, und mit ihm die wahre Reue und Buße. Die Nonne kann nicht wieder zur Ehefrau werden, jeder Weg, die irdische Neigung zu befriedigen, ist zerstört, und so muß sich auch des Ritters Trieb, welcher nach dem Besitz selbstisch haschte, notgedrungen in einen nicht sinnlichen verwandeln. Allein sehr entfernt ist er noch von der Leidenschaftslosigkeit und heiteren Seelenruhe Iddas. Sie, ›des Himmels Braut‹, sie, ›die Gott getraut‹, ist ein ruhiges engelmildes Bild, durch dessen erquickenden Anblick nur sein Hinaufschwingen zum Ewigen vermittelt wird. Ihm allein, ohne ihre kräftigende Nähe, würde dies nicht gelingen.«
Obwohl ich der Meinung bin, daß Schillers Gedicht für sich allein recht wohl bestehen könne und der Beziehung auf die Legende nicht bedürfe, um als vortrefflich gewürdigt zu werden, so mag es doch Stimmungen geben, wo wir die sentimentale Liebe des Toggenburgers, der sich und die Welt so ganz über einer Geliebten vergißt, die ihn ohne allen Grund verschmäht, mit unseren Begriffen von männlicher Würde nicht im Einklang finden, wo uns daher seine völlige Hingebung an dieselbe bis in den Tod erklärlicher scheinen würde, wenn wir sie mit dem Gefühl der Reue und dem Bedürfnis der Buße zu verbinden wüßten.
In einer solchen Stimmung war es vielleicht, daß ich mich verleiten ließ, die Legende der heiligen Itha, wie sie das Volksbuch meldet, als Einleitung zu Schillers »Ritter Toggenburg« zu behandeln. Um die genaue Verbindung der Legende mit der Ballade zu zeigen, auf die es dabei abgesehen war, setze ich jene hierher und lasse ihr die erste Strophe der Ballade unmittelbar folgen. Der Leser, dem die folgenden Strophen im Gedächtnis sind, wird nun imstande sein, sich für oder wider eine solche Verbindung zu entscheiden:
Itha von Toggenburg
»Wem hast du den Ring gegeben?
Die so züchtig schien!
An des Jägers Finger eben,
Falsche, sah ich ihn.
Den Verräter schleiften Pferde
Nieder in sein Grab;
Daß die Schmach gerochen werde,
Sollst auch du hinab.«
Reden will die Gräfin, wenden
Schimpflichen Verdacht;
Zornesflammen ihn verblenden,
Hat des Worts nicht acht.
Hebt sie auf mit starkem Arme,
Von dem hohen Saal
Stürzt der Wüterich die Arme
Tief ins tiefe Tal.
Gute Geister schweben nieder
Aus des Himmels Zelt,
Spreiten himmlisches Gefieder,
Daß sie sanfter fällt;
Betten ihr auf weichem Moose,
Und erwacht sie jetzt,
Ruht die Reine, Fleckenlose
Heil und unverletzt.
»Gnade deiner Magd erwiesen
Hast du, süßer Christ,
Nimmer wird es ausgepriesen,
Wie du gnädig bist.
Heiligend zu neuem Bunde
Lädt der Gnade Schein:
Dir von dieser Schreckensstunde
Leb’ ich, Herr, allein.«
Wo sich Ranken dicht verstricken
Bei des Adlers Horst,
Birgt sie vor der Menschen Blicken