Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland. Karl Simrock
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Steigt man im Rheintal das Gebirge hinauf, so gelangt man in das Hirtenland Appenzell, das jetzt als Enklave des Kantons St. Gallen, zu dem auch das Rheintal gehört, selbst einen Kanton der Schweiz bildet. Von dem Flecken Appenzell am Sitterfluß, wo der Abt von St. Gallen sich eine Zelle erbaut hatte, empfing das Ländchen den Namen. Aber gegen ihren Hirten, den Abt, mußten die Hirten Appenzells sich die Freiheit erfechten. Der Abt rief Österreich zu Hilfe, dessen Scharen aus Altstätten im Rheintal den Berg an dem Stoß, wo jetzt die Kapelle steht, hinaufrückten. Da trat Rudolf von Werdenberg, der Sohn des Grafenhauses, mit dem der vorige Abschnitt begann, zu den Appenzellern. Unter seiner Anführung schlugen sie die Schlacht am Stoß, die unentschieden blieb, bis den Appenzellern eine unerwartete Kriegsschar zu Hilfe eilte. Österreich floh; aber die Helfer waren die Weiber und Töchter Appenzells in Hirtenhemden gewesen.
St. Gallen
Da wir uns einmal im Kanton St. Gallen befinden, so dürfen wir nach dem Plan unseres Werks die Legende des heiligen Gallus und die Anfänge der berühmten Abtei nicht übergehen, die auf die geistige Entwicklung Deutschlands von so großem Einfluß gewesen sind.
Schon unter der Römerherrschaft soll ein britischer Königssohn namens Lucius in diesen Gegenden das Evangelium verkündet haben. Noch trägt der Luziensteig da, wo er zwischen Graubünden und der Grafschaft Vaduz die Rätischen Alpen überschritt, um den Wildnissen des Hochlands zu predigen, seinen Namen. Auch in Helvetien hatte das Christentum Eingang gefunden; aber nach der Völkerwanderung mögen die ältesten christlichen Gemeinden durch das Übergewicht der heidnischen Volksmenge und die Fahrlässigkeit der Priester wieder entartet sein. Der heilige Gallus und seine Gefährten, Mangold und Siegbert, waren dazu ausersehen, dem christlichen Glauben in seiner Reinheit die Herrschaft in Alemannien zu sichern. Aus fernen Landen, von der nördlichen Küste Irlands, wo der Vater des heiligen Gallus König der damals dort wohnenden Skoten gewesen sein soll, hatte sie der Glaubenseifer im Gefolge des heiligen Columban in die Schweizer Alpen geführt. Doch nicht unmittelbar; sie hatten erst im Kloster zu Bangor in Wales verweilt, hierauf im Wasgau bei Lützel ein Kloster gebaut. Als die fränkische Königin Brunhilde sie von hier vertrieb, kamen sie nach Schaffhausen, Zürich und Bregenz am Bodensee. Überall zerstörten sie die Götzenbilder und lehrten den wahren, einigen Gott. Hierauf trennte sich Siegbert von den Gefährten und kam in die Wildnis Hohenradens. Da, wo sich Vorder-und Mittelrhein vereinigen, stiftete er das schon erwähnte Kloster Disentis (lateinisch Desertum). Placidus, ein reicher Mann dieses Landes, schenkte dazu Güter. Aber Viktor, der Präses Rätiens, gedachte durch deren Einziehung die Kammer zu bereichern. Placidus widersetzte sich und warf dem Präses außer diesem Unrecht noch manch andere Ungerechtigkeit vor. Dafür starb er den Märtyrertod. Aber die Strafe des Himmels ereilte den Wüterich: Viktor ertrank, und seine Söhne gaben zur Sühne des Unrechts nicht nur das entzogene Gut zurück, sondern noch überdies großen Reichtum.
Unterdessen hatte Gallus mit seinen Freunden unweit des Bodensees an den Flüßchen Nigrach und Steinach Hütten gebaut und als Einsiedler die Bekehrung der Umwohnenden begonnen. Die Legende berichtet, Graf Talto, Kämmerer des königlichen Hofs, habe ihnen diese Gegend geschenkt. Nach einer alten Chronik war es der alemannische Herzog Gunzo, der in Überlingen, dem alten Iburinga, wohnte, der dem heiligen Einsiedler Gallus zum Dank dafür, daß er seine einzige Tochter von einer schweren Krankheit geheilt hatte, jenen Wald zum Geschenk machte. Wie dem auch sei – aus jener ersten Niederlassung ging im Verlauf der Zeiten die reiche und mächtige Abtei St. Gallen hervor, deren Abt mehr Einkünfte hatte als der Bischof von Chur.
Das erste, was von hier aus für deutsche Sprache und Literatur gewirkt wurde, geschah von dem heiligen Gallus selbst durch Anlegung eines lateinisch-deutschen Vokabulars, das er als Irländer, bis er sich bessere Kunde des Deutschen erworben hatte, bei seinem Bekehrungsgeschäft wohl nötig hatte. In diesem Wörterverzeichnis, das in der eigenen Handschrift des alemannischen Apostels zu St. Gallen gezeigt wird, ist uns, wenn wir von dem Gotischen absehen, das älteste deutsche Sprachdenkmal erhalten, weshalb Wilhelm Wackernagels »Deutsches Lesebuch« und Heinrich Künzels drei Bücher deutscher Prosa die Reihe ihrer Sprachproben mit dem Wörterbuch des heiligen Gallus eröffnen. Es mag sein, daß die alemannische Sprache ihm nicht geläufig, daß er der lateinischen noch viel unkundiger war; dennoch bleibt ihm der Ruhm, der erste gewesen zu sein, der die wilden deutschen Laute an die Fesseln der Schrift gewöhnte. Da es interessant ist, zu sehen, welche Gestalt deutsche Worte im siebenten Jahrhundert hatten, so heben wir einige zur Probe heraus. An dem häufigen us für um in lateinischen Worten wird man bestätigt finden, was über des Verfassers Urkunde des Lateinischen gesagt wurde:
Surculus = zui (Zweig), folia = laup, folius = plat, curvus = crump, curvatus = gapogan, palatius = phalanze, templus = huus za petonna, tectus = gadacha, stabulus = stal, cupiculus = camera, lectus = petti, fenestra = augatora, saxus = stain, cimentus = calc, montes = perga, Collis = puhila, vallis = tal, plane = epani, fons = prunno, pontes = prucge, flumen = aha, naves = scef, rex = cuninc, dux = herizoho usw.
Aus so kleinem Anfang sollte die gesamte, unübersehliche, noch jährlich, ja stündlich in unendlich vielen Gliedern fortwachsende deutsche Schriftwelt hervorgehen! St. Gallen aber begnügte sich nicht mit dem Ruhm, das erste Reis in deutscher Zunge gepflanzt zu haben, es hegte und pflegte auch ferner den jungen Baum unserer Muttersprache, bis er, zum starken Stamm gediehen, Frucht und Schatten gab und dem eigenen Trieb und Wachstum fortan überlassen werden konnte.
»Zwar fuhr man«, sagt Wilhelm Wackernagel, »noch einige Zeit in derselben Weise fort, wie Gallus begonnen hatte: man verfertigte, um Anfängern das Studium der lateinischen Sprache zu erleichtern, deutsche Interlinear-Versionen und lateinisch-deutsche Glossare, dergleichen dem Mönch Gero zugeschrieben wurden; man verschmähte zuerst noch die deutsche Poesie und überließ sie, wo man sie nicht verfolgte, wenigstens mit stolzer Verachtung den ungebildeten Laien: aber bald stellte sich die Freude an einem verständigeren und würdigeren Gebrauch der deutschen Sprache ein, und es wurde schon im neunten Jahrhundert nicht mehr für unziemlich gehalten, auch in deutschen Versen zu dichten. Der Mönch Ratpert, der in den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts starb, verfaßte ein Lied über das Leben und zu Ehren des heiligen Gallus; leider ist es nur in einer lateinischen Übersetzung auf uns gekommen. Aber vielleicht ist die Teilnahme der St. Galler an der deutschen Poesie noch um etwas älter; die älteste deutsche Messiade, Otfrieds unter Ludwig dem Deutschen gedichtete ›Evangelienharmonie‹, ist unter anderen auch zwei St. Galler Mönchen, Hartmuat und Warinbracht, zugeeignet; wir wissen von Otfried sonst nur, daß er Mönch in dem elsässischen Benediktinerkloster Weißenburg war; allein diese Zuneigung setzt eine nähere Bekanntschaft in St. Gallen voraus, und wie auch seine Sprache eher alemannisch als überrheinisch klingt, möchte die Vermutung kaum gewagt erscheinen, daß er erst später nach dem Elsaß gekommen, früher aber gleichfalls Mönch zu St. Gallen gewesen sei. Otfrieds Arbeit ist eine durchaus im Geiste seiner Zeit gelehrte, seine lateinische Bildung scheint sogar auf seinen Stil nachteilig eingewirkt zu haben, nur selten spricht er so, wie es damals volksmäßig sein mochte; dagegen ist Ratperts Lied, soviel wir aus der lateinischen Übersetzung schließen können, schon ganz in der Art des Volks gewesen: ein halbes Jahrhundert später sahen wir einen St. Galler Mönch, Eckehart I., der ohne Scheu sogar einen Gegenstand aus der nationalen Heldensage, die Abenteuer Walthers und Hildegundes, besingt; zwar in lateinischen Versen, aber die Wahl des Stoffes beweist, wie vorteilhaft sich im Laufe des Jahrhunderts die ästhetischen Ansichten der St. Galler Mönche geändert hatten. Früher würde man dergleichen fast für sündhaft gehalten haben. Für die Poesie geschah zu St. Gallen im weiteren Verlauf dieser Periode nichts mehr; desto eifriger, desto erfolgreicher wurde die Prosa geübt. Freilich nur in Übersetzungen; aber auch darin erwies sich jetzt eine so freie und selbstkräftige Kunst, und dem prosaischen Stil war im schönsten Einklang mit dem formellen Zustand