Ecclesiae et scientiae fideliter inserviens. Группа авторов

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Ecclesiae et scientiae fideliter inserviens - Группа авторов Mainzer Beiträge zum Kirchen- und Religionsrecht

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ist die Fähigkeit, die gute oder böse Absicht hinter der Tat zu erkennen und diese Erkenntnis in das Urteil einfließen zu lassen. Eine wertende Gesamtbeurteilung einer Tat gelinge nur auf Basis der Billigkeit und damit einer Beurteilung, bei der die Vernunft der Richtenden das zu beurteilende Gesamt – Handlung und Motive – in ein Verhältnis setze, um einen umfassenden Eindruck zu erhalten.

      3. Maßhaltung

      Neben der Kompetenz zu vernünftigem Urteilen und einer realistischen Gesamtbewertung von Handlung und Haltung verbindet Luther mit der Billigkeit vor allem die Ausgewogenheit in der Urteilsbildung. Er setzt auf Abwägung und Ausgleich, so wie Isidor von Sevilla, dessen Überlegungen in das Decretum Gratiani eingingen: Wer richte, halte eine Waage in der Hand, um Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu verteilen und im Ausgleich von notwendiger Strenge und angemessener Milde zu einem Urteil zu kommen.37 Ähnlich fragt sich Luther, wie man Recht in adäquater Weise zur Anwendung bringen könne: durch strikte Durchsetzung einer Norm oder durch schonenden Umgang mit dem Gegenüber? Empfehlenswert sei ein Mittelweg: „Masse ist inn allen dingen gut.“38 Auch dies erinnert an Hostiensis. Dieser sieht die Leistung der Billigkeit als die einer Mittlerin zwischen der strengen Durchsetzung des Gesetzes und einer barmherzigen Dispens von der Verpflichtung: “Aequitas vero est media inter rigorem et dispensationem sive misericordiam.“39 Hier erscheint die aequitas, wie bei Luther, als Anwendung des Gesetzes auf einem mittleren Weg, unter der Vorgabe des Maßhaltens.

      Dieses Maßhalten ist bei Luther Tugend guter Rechtsanwenderinnen und -anwender. Er nennt diese Tugend auch „gelindikeyt“. Bei ihr geht es um eine Haltung des sich Mäßigens. Das Mäßigen hat eine temperierende Wirkung. Auch bei Hostiensis ist es die Billigkeit, die eine Entschärfung bewirkt. Sie sei die Weise, die Gerechtigkeit durch Barmherzigkeit zu mildern: “Aequitas est iustitia dulcore misericordiae temperata“40.

      Doch was meint Rechtsanwendung unter dem Vorzeichen der gelindikeyt? Diese befähige die Rechtsanwenderinnen und -anwender zu einem maßvollen Urteil unter dem Vorzeichen der Gleichheit. Sie bezeichne die Leistung der bzw. des Urteilenden, sich selbst zurückzunehmen und nicht die eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen zum Maßstab des Rechten zu machen:

      „gelindikeyt, das ist eyn tugend, das sich eyner lenkt und schikt, gemeß und eben macht eynem andern, unnd ist eynem wie dem andern, und yderman gleych, der nicht sich selb zum leysten und zur regel macht und will, das sich yderman nach yhm lenken, schiken und messigen soll.“41

      Maßhalten sei üblicherweise ein Gebot in allen möglichen Alltagsvollzügen – beim Essen oder Trinken –, aber ebenso angeraten, wenn es darum gehe, dem Gegenüber in einem Urteil gerecht zu werden. Doch was ist ein maßvolles Urteil? Dies verdeutlicht Luther an anderer Stelle nicht durch Beschreibung einer ausbalancierten Praxis, sondern durch Problematisierung von unausgewogenen Urteilen, von laxer Nachgiebigkeit auf der einen und ungebührlicher Strenge auf der anderen Seite. Beide seien gleichermaßen schädlich. Die fatale Wirkung einer zu großen Milde schildert Luther in einem drastischen Bild, in dem er auf einen Vater Bezug nimmt, der seinen Sohn „verzieht“:

      „Gleich wie ein Vater keine groesser unveterliche That an seinem kinde begehen kan, denn das er der ruten sparet und dem kindlein seinen mutwillen lesst. Denn mit solcher toerichter liebe zeucht er zu lezt dem hencker einen son, der in darnach anders ziehen mus mit dem strick an den galgen.“42

      Wie in der Erziehung diene die Strenge in der Rechtsanwendung dazu, die Willkür der Rechtsadressatinnen und -adressaten zu begrenzen und ihren Mutwillen sozialverträglich abzumildern. Zuviel der Gnade schade, denn sie untergrabe den pädagogischen Effekt des Rechts. Dies notiert Luther mit Blick auf die Fürsten und ihren Regierungsstil:

      „Denn wo eitel gnade da ist, und der Fürst sich einen jedern melken und auff dem maul trumpeln lesst, nicht strafft noch zurnet, so wird nicht allein der Hof, sondern auch das land vol böser buben, geht alle zucht und ehre unter.“43

      Diesen Argwohn gegenüber einer rechtsauflösenden Folge der Billigkeit habe Luther nicht zuletzt in Reflexion der Bauernaufstände ausgebildet, meint Roland Lehmann.44 Der Versuch, die Herrschaftsverhältnisse gewaltsam umzustürzen, habe sein Vertrauen in den Wert von Nachgiebigkeit schwinden lassen. Eine Milderung des strengen Rechts dürfe nie zulasten der natürlichen Ordnung gehen.45

      Die Sorge vor einer korrumpierenden Wirkung überfließender Billigkeit kennt gleichwohl ein Pendant, insoweit Luther genauso vor den Nebeneffekten zu großer Strenge warnt. Wiewohl Strenge wichtig sei, schade sie bei Überdosierung: „Widderumb, wo auch eitel odder zu viel zürnen odder straffens ist, da wird Tyrraneh aus und können die fromen nicht odem holen fur teglicher furcht und sorgen.“46 Strenge nimmt den Menschen den Atem. Und sie weist eine problematische Neigung zur Ungerechtigkeit auf. Zur Illustration dieses Problems bemüht Luther das Bild des Hausvaters, der bei Übertretungen seiner Hausregel gegenüber seinem Gesinde eine differenzierte Sanktionspraxis zu entwickeln habe:

      „Als ein hauswird setzt seinem gesinde ein recht, was sie diesen odder den tag thun sollen. Da stehet das recht: Wer das nicht thut odder helt, sol seine straffe leyden. Nu mag der eins kranck odder sonst on seine schuld verhindert werden. Da höret das recht auff, und were gar ein wütiger hausherr, der seinen knecht und solchs nachlassen willen wolte straffen.“47

      Der Regelübertritt müsse im Normalfall eine Strafe nach sich ziehen. Krankheit oder ein anderer Grund, der ohne Eigenverschulden der bzw. des Verpflichteten die Einhaltung der Regel verhindere, durchbrächen gleichwohl diese Logik. Ein Hausherr, der dennoch strafe, handle nicht rechtens, sondern verfehle die Gerechtigkeit: „Da höret das recht auff“.

      Neben diesen eindeutigen Fällen, in denen ein billiges Urteil das Gegenüber als entschuldigt versteht, gibt es komplexere Fälle, in denen nicht geklärt werden kann, ob ein Regelverstoß gerechtfertigt sei. Was bedeutet Billigkeit in diesem Zusammenhang, in dem nicht ersichtlich ist, wie eine unrechte Tat zu beurteilen sei? In diesem Fall votiert Luther für den Grundsatz: Gnade vor Recht. Dies erläutert er unter Bezugnahme auf das Strafurteil:

      „Doch inn solchem fall, weil der mittel kern nicht wol zu treffen ist, so ist das zum nehesten dem zweck geschossen, das die gnade den vorgang habe fur dem recht. […] Denn wo es nicht will zu treffen sein, So ists besser und sicherer auff dieser seiten feilen denn auff jener, das ist, Es ist besser zu viel gnade denn zu viel straffe. Denn zu viel gnade kann man wider einzihen und wenigern. Aber die straffe kann nicht wider zu rücke komen, sonderlich wo es leib und leben oder glidmas betrifft“48.

      Den Grundsatz, der Gnade den Vorzug zu geben, begründet Luther pragmatisch: Während man einen Überschuss an Gnade nachträglich korrigieren könne, sei es schwierig, bisweilen sogar ausgeschlossen, vollstreckte Strafen zurückzunehmen. Luthers Beispiel, dass es unmöglich sei, die Todesstrafe oder Körperstrafen ungeschehen zu machen, zeigt an, wie existentiell ein Vorrang der Gnade für die Betroffenen sein kann.49

      Billigkeit bedeutet folglich in diesem Zusammenhang die Haltung der Entscheidenden, sich im Zweifel gnädig zu geben. Wie aber nimmt man eine solche Haltung ein? In Luthers Schriften wird dieses Vermögen häufig in ein Bild gebracht, das er aus seiner Übersetzung von Levitikus 20,4 gewinnt: „Wer nicht kan durch die finger sehen, der kan nicht regiren.“50 Roland Lehmann hat die diversen Fundstellen dieser Aussage in Luthers Werk zusammengetragen.51 Er erläutert: „Bildlich ist damit gemeint, dass man die Hand mit leicht gespreizten Fingern vor Augen hält, um damit teilweise die Fehler des anderen bewusst zu verdecken, ohne jedoch vollständig für sie blind zu sein.“52 Während Regierende einen scharfen Blick benötigten, um rechtes und unrechtes Handeln zu erkennen, mache allein ihre Entscheidung zu „partieller Fehlsichtigkeit“ ihr Regime für die Untertanen erträglich.

      Dieses

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