Kirche der Armen?. Группа авторов

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ein „Parlament der Unsichtbaren“, das dazu dient, all die Geschichten und Lebensbiographien von Menschen zu erzählen, die sonst im Dunkeln geblieben wären: von Jugendlichen, die es schwer haben, von Arbeiterinnen im Niedriglohnsektor, vom alten Mann am Land. Die Unsichtbarkeit weist auf zwei Phänomene: einerseits auf das Vergessen, die Zurückweisung und die Vernachlässigung, andererseits auf die Unlesbarkeit der Verhältnisse. Für viele ist es schwierig geworden, die Gesellschaft noch zu lesen und sich selbst mittendrin. Das Projekt will dem Bedürfnis nach Erzählung der „gewöhnlichen“ Lebensgeschichten, dem Anhören der ungehörten Stimmen und der Beachtung der alltäglichen Sehnsüchte nachgehen. „Es untergräbt die Demokratie, wenn die vielen leisen Stimmen ungehört bleiben, die ganz gewöhnlichen Existenzen vernachlässigt und die scheinbar banalen Lebensläufe missachtet werden.29

      Wer das Wort ergreift, hat etwas zu erzählen. Wer jemand ist oder war, können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held er oder sie ist. Das Wort zu ergreifen, heißt nicht fürsprechen, sondern selbst sprechen. Wenn Ausgeschlossene die eigene Lebenswelt sichtbar machen, schaffen sie einen Ort, von dem aus sie sprechen können. Der Vorhang öffnet sich zu einer Bühne, auf der die eigene Geschichte eine eigene Deutung – und zugleich Bedeutung – erfährt. Das Unspektakuläre des eigenen Lebens bekommt eine Bühne und wird besonders. Die, die das Wort ergreifen, können zur Sprache bringen, wer sie sind – und wer sie sein können.

      Es gibt etwas in unserem Leben, das einfach wichtig ist. Bestimmte Bedürfnisse, die gestillt werden müssen. Dazu gehören auch Lebensmittel, die man nicht essen kann, aber trotzdem zum Leben braucht. Der Psychologe Abraham Maslow beschrieb in seiner „Theorie der menschlichen Motivation“ fünf Mängel, die uns bei Nichtbefriedigung empfänglich für Hetze aller Art machen: Hunger und Durst, Gewalt und Arbeitslosigkeit, Isolation und Einsamkeit, fehlende Achtung und Wertschätzung, Brachliegen der eigenen Potenziale. „Wer dauernd hungert, wird jenen folgen, die Brot versprechen. Jene, die Sicherheit garantieren, werden bei Verängstigten und Traumatisierten einen Zuhörer finden“, analysiert der Netzwerkforscher Harald Katzmair.30

      „Jene, die Teilhabe anbieten, werden beim Einsamen Resonanz erzeugen. Jene, die sagen: So wie Du bist, bist du ein wertvoller Mensch, werden bei denen, die nie im Licht der Anerkennung stehen, Anklang finden. Die in Hierarchien eingepferchten werden jene, die neue Spielräume ermöglichen, als Befreier sehen.“31

      Wer diese Grundbedürfnisse nicht mehr auf dem Radar hat, wird auch nichts ausrichten gegen Ideologien der sozialen Ausgrenzung.

      „Vor allem das Bedürfnis nach Wertschätzung, Würde und Integrität von all jenen, die sich nicht täglich im Lichte des Erfolgs sonnen können, ist aus dem Blick geraten“.32

      Die einen verwandeln Armutsbetroffene in Objekte sozialmoralischer Pädagogik, in defizitäre Unterschichtsdeppen, die nichts können. Die anderen betrachten sie als Objekte erobernder Fürsorge, als immerwährende Opfer, die alles brauchen. Aber nie als Akteure, als Handelnde, als Personen. Es gibt eben Lebensmittel, die man nicht essen kann, aber trotzdem zum Leben braucht. Wer nicht im Licht steht, wird suchen, was in seinem Alltag verloren zu gehen droht: Achtung und Würde.

       Literatur

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      Statistik

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