Kirche der Armen?. Группа авторов

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weisen die schwersten Krankheiten auf und sind gleichzeitig mit der geringsten Lebenserwartung ausgestattet. Es lässt sich eine soziale Stufenleiter nachweisen, ein sozialer Gradient, der mit jeder vorrückenden Einkommensstufe die Gesundheit und das Sterbedatum anhebt.

      Maria hat drei Kinder, eines ist krank und braucht eine spezielle Therapie. Das geht sich dann nicht aus, sagt sie. Kleinigkeiten? Nein, das sind die wichtigen Faktoren für die Entwicklung von Kindern: Gesundheit, Anerkennung, Förderung – keine Beschämung und keine Existenzangst. Die Streichungen bei der Wohnbeihilfe in England führten zu einem zehnprozentigen Anstieg von psychischen Problemen bei Personen aus Niedrigeinkommenshaushalten, wie Studien der Universität Oxford zeigen. 20

      4.3. Bildung und sozialer Aufstieg

      Kinder und Jugendliche, die in Haushalten mit niedrigem Einkommen aufwachsen, haben Nachteile, die in mehreren Bereichen sichtbar werden. Die Gefahr des sozialen Ausschlusses zeigt sich in den geringeren Möglichkeiten, Freunde einzuladen, Feste zu feiern und an kostenpflichtigen Schulaktivitäten teilzunehmen. Diese sozialen Teilhabemöglichkeiten sind erst ab mittlerem Einkommen für fast alle Kinder leistbar.21 Soziale Ungleichheit hat Folgen und geht unter die Haut.

      Die Chance, aus der Armut herauszukommen, steht in enger Wechselbeziehung zu gesellschaftlicher Polarisierung insgesamt. Je sozial gespaltener eine Gesellschaft ist, desto mehr Dauerarmut existiert. Je mehr Dauerarmut existiert, desto stärker beeinträchtigt sind die Zukunftschancen sozial benachteiligter Kinder. Je früher, je schutzloser und je länger Kinder der Armutssituation ausgesetzt sind, desto stärker die Auswirkungen.

      Das Schulsystem hat eine starke Hebelwirkung, wenn es darum geht, den Teufelskreis der „Vererbung“ von Armut zu durchbrechen. Johann Bacher, Soziologieprofessor an der Universität Linz,22 nennt drei Faktoren, die eine Rolle spielen: erstens: Das österreichische Schulsystem delegiert sehr viele Aufgaben an die Eltern, gerade die Bildungsaufgaben. Daher hängt viel davon ab, ob die Eltern unterstützen können oder nicht. In der Soziologie wird das als primärer Schichteffekt bezeichnet. Zweitens: die Selektion. Österreich trennt die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, desto stärker wirkt der soziale Hintergrund bei der Bildungsentscheidung. Dies wird als sekundärer Schichteffekt bezeichnet. Drittens: die soziale Zusammensetzung in der Schule. Schulen in ärmeren Vierteln mit Arbeitslosigkeit oder niedrigerem Status wirken sich ungünstig auf die Bildungschancen der Kinder aus. Das nennen wir soziale Kontext- bzw. Kompositionseffekte. Eine überbelegte Wohnung fällt zusammen mit einer Halbtagsschulordnung. Wenig Einkommen trifft auf ein einkalkuliertes Nachhilfesystem. Keine Unterstützung zu Hause kommt mit eigener Erschöpfung und Unkonzentriertheit zusammen.

      Ein sozial selektierendes Bildungssystem mit Tendenz zu homogenen Gruppen blockiert sozialen Aufstieg. Trotz der im europäischen Vergleich geringen Kinderarmut schneidet Österreich in den sozialen Aufstiegschancen nach oben nur durchschnittlich ab. Hohe Bildung und damit hohes Einkommen, hohe berufliche Position der Eltern bedeuten im hiesigen Schulsystem viel bessere Testleistung als Kinder aus Elternhäusern mit weniger Bildung und Einkommen. In anderen EU-Ländern ist dieser Abstand geringer.23

      4.4. Pflege und Altersarmut

      PflegegeldbezieherInnen in Privathaushalten müssen mitunter – auf Grund ihrer geringen Einkommen und gleichzeitig hoher Ausgaben – mit einer überaus prekären Lebenssituation zurande kommen. Armutsbetroffene werden im Alter öfter krank und pflegebedürftig sein als Ältere mit hohen Pensionen, aber gleichzeitig weniger Geld zur Bezahlung sozialer Dienstleistungen zur Verfügung haben. Besondere Gefährdung besteht für alleinstehende Frauen in der Pension.

      Zu geringe Investitionen in Dienstleistungen lassen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen allein und Potentiale im Dienstleistungssektor brach liegen. Die sozialen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung oder Pflege liegen in Österreich unter dem EU-Durchschnitt. Auch der Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor ist unterdurchschnittlich (Abb. 5). Hier stellt sich die Frage der Verteilung der „Care-Arbeit“ zwischen den Geschlechtern und innerhalb der Gesellschaft.

       Abb. 5: Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor an den Beschäftigten insgesamt, 1995–201524

      4.5. Prekarität und Working Poor

      Jetzt schon leben an die 200.000 Menschen in Österreich in Haushalten, in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern. Unfreiwillige Ich-AGs, Generation Praktikum, Abstiegsbiographien sind hier die Stichworte. Ein niedriges Erwerbseinkommen schlägt sich weiters in nicht-existenzsichernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und in der Pension nieder. Wer sein Leben lang in prekären Jobs arbeitet, wird keine ausreichende Pension erhalten; das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe sind so gering, dass man im Falle eines Jobverlusts damit keinen Tag überleben kann. Und die eigene Krankenversicherung kann unsicher werden. „Prekär“ heißt ja wörtlich nicht nur „unsicher“, sondern lateinisch eigentlich „auf Widerruf gewährt“, „auf Bitten erlangt“. Da steckt der geringe Umfang an Kontrollchancen und Handlungsspielräumen bereits im Begriff.

      Serge Paugam unterscheidet zwischen der Prekarität von Beschäftigung und der Prekarität von Arbeit.25 Die Beschäftigung ist demnach dann prekär, wenn es unsicher ist, die berufliche Zukunft nicht überblickt werden kann, eine starke ökonomische Verwundbarkeit aufweist und mit einer partiellen Einschränkung von sozialen Rechten einhergeht. Davon zu unterscheiden ist die Prekarität von Arbeit, die unabhängig von der Form des Beschäftigungsverhältnisses dann vorliegt, wenn damit das Gefühl verbunden ist, dass sie nicht von Belang und schlecht bezahlt ist, wenig Anerkennung im Unternehmen erhält und der Beitrag zur gesellschaftlichen Produktion keinerlei Wertschätzung erfährt.

      4.6. Achtung und Anerkennung

      Mangelnde Transparenz und Mitbestimmung sind gerade im kontinentaleuropäischen Sozialstaatsmodell große Herausforderungen: Arbeitslose am Arbeitsamt, Patienten in Spitälern, Wohnbevölkerung ohne Wahlrecht, Mitbestimmung in den Sozialversicherungen etc.26 Hier wirkt auch der Dschungel des föderalen Systems mit seinen unterschiedlichsten Regelungen, die in vielen Fällen sachlich nicht begründbar sind und eine Verwaltungs- und Vollzugspraxis, die nicht den Bürger, sondern den Untertanen sieht. Vieles atmet den obrigkeitsstaatlichen Wohlfahrtsstaat, Vater Staat, der seinen minderjährigen Kindern Gaben zuteilt. Besonders auf den Sozialämtern wird in zahlreichen Studien ein willkürlicher und bürgerunfreundlicher Vollzug festgestellt.27

      Der Eintritt ein Gedicht. Der Zugang ein Lied. Der Türöffner eine Kurzgeschichte. Abends wird zum Treff in die Wiener Diakonie-Not-stelle s`Häferl geladen, dem Wirtshaus für Leute, die es eng haben und am Limit leben. Gekommen sind Anneliese, die mit ihrer Mindestpension mehr schlecht als recht durchkommt. Da ist Kurt, den der Arbeitsmarkt ausgespuckt hat wie ein ungenießbares Stück Fleisch. Gekommen ist Lisa, die mit Krankheit und dem Alltag kämpft. Für Essen und Trinken ist gesorgt. Anneliese liest ihre vor einigen Tagen verfasste Kurzgeschichte über eine verflossene Liebe vor, Kurt gibt Stanzln aus seiner früheren Arbeit zum Besten, Lisa wagt sich an ein Gedicht, das ihr in der Straßenbahn eingefallen ist. Alle sind sie sonst als unbrauchbar abgestempelt worden, vom Arbeitsmarkt als chancenlos tituliert, in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht. Doch hier im Häferl wird das wie zu einer „Inventur der verborgenen Talente“, all die ökonomisch entwerteten Fähigkeiten und Kenntnisse von Menschen werden gehoben, sichtbar und hörbar.

      Der Demokratietheoretiker Pierre Rosanvallon argumentiert, dass nicht wahrgenommen werden ausgeschlossen sein bedeutet. Deshalb sei heute die Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft untrennbar verbunden mit dem Wunsch nach Anerkennung.28 Und genau hier müsse eine Erneuerung der Demokratie ansetzen: bei jenen,

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