Kirche der Armen?. Группа авторов

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man, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Frauen oder Zugewanderte „innerhalb der Verteilung eines knappen, begehrten Gutes eine bessere oder schlechtere Stellung einnehmen“4.

      Die drei Dimensionen des Schichtindikators haben auch ihre Grenzen. Die berufliche Position gilt nur für die eine Hälfte der Bevölkerung: die Erwerbstätigen. Für die andere Hälfte wie PensionistInnen, Arbeitslose und viele Armutsbetroffene ist der Berufsstatus nicht ermittelbar. Und für gut ausgebildete „Ich-AG“s und studierte Taxifahrer verbindet sich hohe Bildung nicht mehr mit hohem Einkommen.

      Vertikale und horizontale Ungleichheiten sind miteinander verwoben. Es ist nicht so, dass in der postindustriellen Gesellschaft soziale Schichten bzw. sozialer Status vom Milieu bzw. der Lebenslage abgelöst werden, sondern es zeigen sich neue Verknüpfungen und Abhängigkeiten. Pierre Bourdieu5 hat mit dem Begriff des „Habitus“ den Brückenkopf beschrieben, der in einem Feedbackprozess soziale Position und Lebensstil verbindet.

       3. Armut in der Europäischen Union

      Wenn wir nun die Daten der empirischen Sozialforschung vergleichen, können wir in West-Europa unterschiedliche Entwicklungen beobachten. Der Indikator „Armutsgefährdung und Mehrfach-Ausgrenzung“ umfasst die drei Gruppen „Armutsgefährdung“, „erhebliche materielle Deprivation“ und „Personen in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität“ (vgl. Abb. 1). Armutsgefährdung bedeutet so viel wie Einkommensarmut, also ein Leben unter der mit Haushaltseinkommen berechneten Armutsgrenze. Als „erheblich materiell depriviert“ gelten Personen in Haushalten, denen es am Notwendigsten mangelt, die Wohnen, Ernährung, Gesundheit, Wärme beraubt („deprivare“) sind. Westeuropäische Länder, die weniger als 4% „erheblich deprivierte“ Personen aufweisen, sind Schweden, Niederlande, Finnland, Dänemark, Österreich und Luxemburg. Länder mit höherer sozialer Ausgrenzung sind Portugal, Spanien, Italien, Irland und Griechenland. Bei „Armutsgefährdung“ haben Großbritannien und Deutschland relativ hohe Werte.

       Abb. 1: Armut in Europa6

      NEET-bedeutet im Englischen Not in Education, Employment or Training. Der Begriff bezeichnet die Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener, die keine Schule besuchen, keiner Arbeit nachgehen und sich nicht in beruflicher Ausbildung befinden. Italien hat die höchste NEET-Rate (22,2%), gefolgt von Bulgarien (21,6%), Griechenland (20,6%), Zypern (18,7%), Kroatien (18,6%), Spanien (18,6%), Rumänien (17,2%), Irland (16,1%), Ungarn (15,4%) und Portugal (14,2%).7 Alle diese Länder verzeichnen ein massives Anwachsen der Jugendarbeitslosigkeit seit 2008. Das Land der EU-28 mit dem größten Anstieg ist Zypern, dicht gefolgt von Griechenland. Deutliche Zuwächse sind auch in Rumänien, Italien, Spanien und Portugal zu verzeichnen (Abb. 2).

       Abb. 2: Jugendarbeitslosigkeit in Europa8

      Eine vergleichende Studie im Auftrag des Europäischen Parlaments,9 dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, führt die Ergebnisse von nationalen Studien aus Belgien, Zypern, Griechenland, Irland, Italien, Spanien und Portugal über die Auswirkungen der Finanzkrise und der Austeritätspolitiken zusammen und analysiert deren Auswirkungen auf die Grundrechte in der Europäischen Union: In allen sieben Ländern kam es zur Reduktion von LehrerInnen an den Schulen, obwohl die SchülerInnenzahlen gestiegen sind. In Griechenland wurden Schulen nicht mehr beheizt und Schulstandorte wurden geschlossen, was den Zugang zur Bildung für bestimmte Bevölkerungsgruppen erschwerte. In Spanien sparte man bei der Schulausstattung, sogar bei den Schulbüchern. In Griechenland kam es zu gravierenden Einschnitten zusätzlich im Gesundheitssystem. Dabei wurde die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung so aufs Spiel gesetzt, dass sogar die Kindersterblichkeit anstieg. Auch die Wartezeiten für Operationen sind explodiert, gleichfalls in Spanien, Irland und Zypern. Diese Kürzungen in den Gesundheitssystemen haben die Ärmsten am härtesten getroffen.

      3.1. Der Elefant im Weltladen und der Sozialstaat

      Er hat einen breiten, hohen Rücken, der Kopf mit Mund geht nach unten, der Rüssel zeigt nach oben. Der Elefant, der da über die Erdkugel spaziert, bildet die Entwicklung der Einkommen in den letzten 30 Jahren ab – in einer Grafik, die als Elefantenkurve bekannt geworden ist.

       Abb. 3: Einkommenszuwachs und Verlust weltweit

      Beim Schwanz hinten, ganz unten wird der arme, abgehängte Teil der Weltbevölkerung sichtbar. Dort, wo sich des Elefanten Rücken befindet, ist der Anstieg der Einkommen der städtischen Mittelschichten in China und Indien abgebildet. Dort, wo der Mund nach unten geht und der Rüssel seinen Anfang nimmt, kann man die unteren Mittelschichten Europas und der USA erkennen, im aufgerichteten Rüssel sehen wir die Zunahme des Reichtums der Reichsten.

      Der Elefant des Ökonomen Branko Milanovic10 zeigt uns vier Entwicklungen: Es gibt Regionen dieser Erde, die weiter bitter arm sind. Es gibt eine Verbesserung der Einkommen in den städtischen Milieus Asiens, besonders in China. Es gibt einen Verlust bei den unteren Mittelschichten in Europa und den USA. Und es gibt mehr Reichtum ganz oben. Die Gruppe der Superreichen mit mehr als 2 Milliarden Dollar Vermögen hat sich verfünffacht und ihr Gesamtbesitz mehr als verdoppelt. Die großen Gewinner sind die Mittelschichten Asiens und die Superreichen im Westen, die großen Verlierer die Angehörigen der unteren Mittelschicht der reichen Welt.

      Die Elefantenkurve beim Rüssel zeigt uns noch ein interessantes Detail: Der Rückgang der Mittelschicht im Westen ist dort am stärksten, wo der Sozialstaat geschwächt und abgebaut wurde – ersichtlich in den USA, Großbritannien oder Spanien. Bei einem genaueren Blick auf die Mitte werden unterschiedliche Teile dieser – oft fälschlicherweise als einheitlich dargestellten – Schicht sichtbar. DIE Mitte gibt es nicht, wie aktuelle Daten der Nationalbank11 zeigen. Bezieht man neben Einkommen auch Konsum und Vermögen in die Analyse ein, dann zerfällt die Mitte in einen Teil mit Vermögen und in einen ohne. Etwa die Hälfte der Mitte ist in Besitz einer Wohnung oder eines Hauses. Die untere Hälfte hat kaum nennenswerten Besitz. Wobei „Unten“ und „Mitte“ einander näher sind als „Mitte“ und „Oben“. Und das macht einen Riesenunterschied. Die untere Mittelschicht lebt nämlich solange in relativem Wohlstand mit Mietwohnung, Auto, Urlaub, Hobbies und Zukunftschancen für die Kinder, solange Systeme des sozialen Ausgleichs existieren. Ihre Lebensqualität wird durch den Sozialstaat möglich gemacht. Pensionsversicherung, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, geförderte Mietwohnungen und öffentliche Schulen sichern den Lebensstandard und verhindern gerade in unsicheren Zeiten ein Abrutschen nach unten. Die untere Mitte hat kein Vermögen, um Einschnitte wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit einfach aufzufangen. Und wäre sie gezwungen, Vermögen für Alter, Bildung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit anzusparen, wären ihr Lebensstandard und ihr Konsumniveau vernichtet. Die Mitte ist dort weniger gefährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt.

      Auch die aktuellen Daten der Statistik Austria weisen auf diesen Zusammenhang hin. Die Haushaltseinkommen bleiben in Österreich insgesamt stabil. Einige Armutsindikatoren sinken seit 2008 – zwar nur auf das hohe Niveau von vor der Krise, aber: Die langfristige Entwicklung seit 2004 zeigt keine steigenden, aber konstant hohe Armutslagen.12 Das ist sehr ungewöhnlich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Ohne Sozialleistungen und soziale Dienstleistungen wären auch mittlere Haushalte massiv unter Druck und stark abstiegsgefährdet.

      All das weist auf die Stärken des Sozialstaats hin:

      • Sozialleistungen wirken als automatische Stabilisatoren: Während Industrieproduktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark

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