Älterwerden ist nichts für Anfänger. Bernard S. Otis
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Obwohl ich mein ganzes Leben lang ehrenamtlich in der Pflege gearbeitet hatte – quasi als Nebenjob zu meiner Arbeit im Gaststättenwesen –, fand ich leider bald heraus, dass ich jetzt auch Annas Pflegekräfte zu managen hatte, damit sie die bestmögliche Betreuung erhielt. Vor Annas Erkrankung konnte ich abends nach Hause gehen und die gelegentliche Traurigkeit im Schlaf verarbeiten. Ich wusste immer, dass ich gute Arbeit leistete, mich um andere kümmerte und darüber hinaus regelmäßig ehrenamtlich in Hospizen arbeitete. Doch wenn man ein Herz hat, nimmt einen die Arbeit manchmal mit. Verlust ist nie leicht zu verkraften. Und jetzt war ich zu Hause und konnte mir keine Auszeit nehmen. Die Pflege eines geliebten Menschen ist an sich schon eine Vollzeitbeschäftigung. Und die geistige und körperliche Belastung kann unglaublich hoch sein.
Und wieder: Man muss sich auf alle möglichen Ergebnisse vorbereiten.
Während dieser schwierigen Zeit vergaß ich wie so viele andere, auf mich selbst zu achten. Innerhalb von drei Monaten hatte ich fast sieben Kilogramm zugenommen, schlief lediglich fünf Stunden pro Nacht und war emotional überlastet.
Damals wusste ich nicht, was ich heute weiß: Dass Burn-out bei Pflegenden Realität ist und dass der Stress der Pflege wie ein frontaler Angriff wirken kann.
In meinem Fall sagten mir meine Familie und meine Freunde, dass man mir die Anstrengung am Gesicht ansehen könne. Bis Annas Leidensweg zu Ende war, fühlte ich mich manchmal, als könnte ich kaum atmen. Meine Anstrengungen wurden durch Schwierigkeiten mit den Krankenversicherungen und den täglichen langen Wartezeiten in Warteschleifen am Telefon erschwert, wie auch durch das Mailen und Faxen von Formularen und Dokumenten, die irgendwie unterwegs immer wieder verloren gingen.
Die Zeit verstrich. Anna wurde immer schwächer.
Und dann … starb sie.
Das war es. Ihre Lebensreise war zu Ende. Bis heute blicke ich zufrieden zurück, dass ich für meine geliebte Frau da sein konnte, als sie mich am meisten brauchte. Wenn ich irgendetwas bedauere, dann dass ich nicht gut vorbereitet war. Doch um mich zu wiederholen: Ich habe daraus gelernt. Seitdem habe ich für die Zukunft vorausgeplant. Und mein größter Wunsch ist, dass Sie das ebenfalls tun, wenn Sie dieses Buch zu Ende gelesen haben.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Reise ebenso wie meine von Gesundheit, Glück und vor allem Liebe erfüllt sein wird.
»Gevatter Zeit ist nicht immer ein strenger Vater,
und obwohl er sich mit keinem seiner Kinder lange aufhält,
legt er häufig die Hand sanft auf diejenigen, die ihm
von Nutzen gewesen waren; er lässt sie unerbittlich zu
alten Männern und Frauen werden, lässt ihre Herzen und
Geister aber jung und voller Kraft bleiben.
Bei solchen Menschen ist der graue Kopf nur Ausdruck
der Hand des alten Kerls, der sie segnet,
und jede Falte nur eine Kerbe im stummen Kalender
eines gut geführten Lebens.«
— Charles Dickens, Barnaby Rudge
Mein Name ist Bernard Otis. Und wie heißen Sie?
Wir wollen einander kennenlernen, nicht wahr? Jede gute Beziehung beginnt mit einem ersten Schritt. Einem Anfang. Was Sie also als Erstes über mich wissen sollten, ist die Tatsache, dass ich in eine große orthodoxe jüdische Familie in Detroit hineingeboren wurde.
Das Zweite – das vielleicht Ergebnis meiner Erziehung ist, wer weiß? – ist die Tatsache, dass mir immer wieder gesagt wird, ich hätte für einen 85-Jährigen einen ziemlich skurrilen Humor. Hier ein Beispiel:
Als Jason erfuhr, dass sein 95 Jahre alter Großvater gestorben war, ging er sogleich zu seiner 90 Jahre alten Großmutter, um sie zu trösten. Als er bei ihr ankam, fragte er, was denn passiert war.
Die Großmutter erklärte, dass ihr Mann gestorben war, während sie Sex gehabt hatten.
Jason war verdutzt und sagte seiner Großmutter, er sei schockiert darüber, dass sie in ihrem Alter Sex hatten. Er war der Meinung, das sei eine »wirklich schlimme Situation«.
Die Großmutter antwortete, sie und sein Großvater hätten vor einigen Jahren herausgefunden, dass es für Ältere sicher sei, Sex zu haben, während die Kirchenglocken läuteten.
Sie sagte, es gehe nur um den Rhythmus – es sei sehr entspannend und sicher, wenn man mit dem »Ding« hinein-, mit dem »Dong« herausgehe. Und dann fügte sie hinzu: »Wenn dieser dumme Eiswagen nicht vorbeigekommen wäre, würde Großvater heute noch leben.«
Tja.
Okay, weiter.
Wir lebten in einem vorwiegend jüdischen Viertel. Wir sprechen hier über einen Stadtteil, der von 75 Prozent Juden, 20 Prozent Katholiken und 5 Prozent von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit bewohnt wurde.
Ursprünglich wollte ich Architekt werden, doch dieses Ziel gab ich in meinem dreizehnten Lebensjahr wegen meiner schlechten Augen auf. Ich besuchte nicht die örtliche High School (Central High), sondern entschied mich für die Cass Tech, eine sehr angesehene technische Schule, die etwa elf Kilometer von meinem Zuhause entfernt war. Ich besuchte die Cass Tech sehr zum Verdruss meiner Eltern, die mir aber dennoch die Wahlfreiheit ließen. Mit der Straßenbahn und dem Bus fuhr ich hin und zurück – nur nicht an den Streiktagen der Transportgesellschaften, die es häufig gab.
In diesen Fällen musste ich zu Fuß gehen. Ich hatte keine andere Wahl.
Doch ungeachtet der gelegentlichen Unannehmlichkeiten erwies sich diese Entscheidung, die ich allein getroffen hatte, als großer Wendepunkt in meinem jungen Leben.
Die Schüler an der Cass Tech, welche in einem siebenstöckigen Gebäude in der Innenstadt von Detroit untergebracht war, waren junge Menschen, die nicht nur Architekt, sondern auch Künstler, Ingenieur, Musiker, Techniker, Konstrukteur, Chemiker und so weiter werden wollten.
Es waren alle Rassen, Glaubensrichtungen, Religionen, Ethnien, finanziellen Schichten und gesellschaftlichen Stellungen der Familien vertreten. Hier war ich zum ersten Mal in meinem Leben mit echten Wahlmöglichkeiten für meine Zukunft konfrontiert.
Und es war eine bunte Mischung von Menschen, die mich in die Lage versetzt hat, in meinem Leben jeden als ebenbürtig zu betrachten.
WEISHEITS ◇ NUGGET # 1
Behandeln Sie jeden als ebenbürtig.
Gewöhnen Sie sich an diese Weisheits-Nuggets. Ich habe jede Menge davon.
Jedenfalls hatte die Cass Tech ein riesiges Auditorium mit 3000 Plätzen, in dem häufig Weltpolitiker und kommunale