Kleine Fuge in g-Moll. Gisbert Greshake

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Kleine Fuge in g-Moll - Gisbert Greshake

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      Der Beifall der Anwesenden zeigte, dass man dieser Bitte nachkommen wollte, aber auch, wie sehr man von den Ausführungen Pacellis fasziniert war. Statt jedoch in der folgenden Diskussion weiter auf die „novità“ im Bereich der Gerichtsmedizin einzugehen, beschäftigte alle Anwesenden die grausigen Mordfälle, deren Zahl sich nunmehr auf vier erhöht hatte.

      „Was kann man sich eigentlich als Grund vorstellen, weshalb der oder die Täter den Kopf der Ermordeten derart radikal zerschmetterten?“, fragte der Philosoph Geraldo Monte, den Bustamante soeben erst kennengelernt hatte. „Die Antwort, man wollte durch Zerstörung des Gesichts die Identifizierung der Leichen verhindern, reicht ja wohl nicht aus. Man kann auch an anderen Teilen des Körpers Identifizierungsmerkmale ablesen, wie Sie, Professor Pacelli, es so eindrucksvoll gezeigt haben. Und überdies hätte für die Zerstörung der Gesichtszüge nicht der ganze Kopf vernichtet werden müssen. Was also bedeutet diese in allen vier Fällen gemeinsame totale Deformation des Kopfes?“

      „Vielleicht war der Täter naiv, ein medizinischer Banause, der glaubte, wenn man das Gesicht nicht erkennen könne, werde man nicht herausbekommen, wer die Opfer sind,“ warf Dr. Davide Bonanni, der Assistent Professor Fisichellas, ein.

      „Aber der oder die Täter müssen doch aus der Medienberichterstattung über die Mailänder Leichen wissen, dass man damals trotz der zerstörten Köpfe die Opfer identifiziert hat und so hätte man sich dies an den römischen Leichen ersparen können“, gab Pacelli zu bedenken. „Im Übrigen bin ich ziemlich sicher, dass wir diesmal keinen von den Ermordeten via Fingerabdruck ermitteln können. Der oder die Täter wissen oder sind wenigstens davon überzeugt, dass diese beiden Männer nicht straffällig geworden sind und deshalb keine Fingerabdrücke von ihnen gespeichert wurden. Sonst wären gewiss auch bei ihnen die Fingerkuppen abgeschnitten.“

      „Vielleicht ist auch alles ganz anders!“, rief mit etwas zu lauter Stimme der Soziologe Alberto Martinelli. „Man müsste überhaupt mal einen Psychiater oder Tiefenpsychologen konsultieren. Vielleicht ist es gerade ‚das Antlitz des anderen‘, wie Lévinas sagt, das der Täter völlig, aber auch völlig vernichten wollte, weil es in seinem Leben eine entscheidende negative, ja destruktive Rolle spielte. Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob man es bei diesem grässlichen Geschehen mit einem zutiefst verletzten und zugleich hasserfüllten Menschen zu tun hat.“

      „Ja, oder … ,“ P. Prof. Dr. Giovanni Di Fonzo SJ, Moraltheologe an der Gregoriana, zögerte, „ich denke da gerade an das Faktum, dass einer der Mailänder Opfer ein Kinderschänder war. Gerade der Kopf, Mund, Zunge usw. spielen bei einigen Missbrauchsarten eine spezifische Rolle. Vielleicht war der Täter doch ein betroffener Vater, von Hass und Wut über das erfüllt, was man seinem Kind angetan hat. Und deshalb sollte der Kopf völlig vernichtet werden. Man könnte ja vielleicht nochmals überprüfen, ob der zweite Ermordete nicht ebenso im Bereich der Pädophilie anzusiedeln ist.“

      „Naja,“ meinte Pacelli, „aber das ist damals in Mailand schon alles minutiös überprüft worden.“

      „Und außerdem: Wenn man von Hass und Wut ausgeht, wie passen dazu die vorbereitenden Injektionen mit den Barbituraten, die ja im Grunde nur dazu dienen konnten, die Opfer vor der eigentlichen Ermordung ruhig zu stellen und schmerzlos zu halten? Das sieht doch nicht nach einer ausschließlich oder vorrangig emotional motivierten Handlung aus.“ Mit dieser fragenden Bemerkung mischte sich Bustamante wieder in die Diskussion ein.

      Ohne darauf einzugehen, meldete sich sogleich danach der Kultursoziologe, Professor Rossi: „Vielleicht steht die Zerstörung des Schädels ja auch im Zusammenhang mit einem uralten kulturellen Phänomen, der sog. Schädeltrepanation oder Kraniotomie, wie man heute sagt. Seit 10.000 v. Chr. gibt es künstlich aufgebrochene Schädel, und man weiß bis heute nicht, ob man sie aus religiösen oder aus medizinischen Gründen geöffnet hat. Vielleicht stehen wir hier ja vor einem vergleichbaren Phänomen.“

      Eine geraume Zeit nachdenklicher Stille setzte ein. Dann sagte Pacelli: „Warten wir also geduldig ab, was die Identifizierung der römischen Leichen ergibt. Vielleicht eröffnen sich uns dann neue, bisher nicht erahnte Perspektiven.“

      Man konnte den Eindruck gewinnen, dass dies eine Art Schlussbemerkung war. Als sich jedenfalls danach zwei, drei Anwesende erhoben, „um noch den Bus erreichen“, war dies das allgemeine Zeichen zum Aufbruch. Dankesworte, Händeschütteln, Küsschen …

      Nach einem goldenen Oktobertag war die vorrückende Nacht zwar frisch, aber noch nicht unangenehm kalt. So machte sich der Questore zu Fuß auf den Heimweg. Er hatte ohnehin zu wenig Bewegung, und das führte bei seinen gelegentlich exuberanten Essgewohnheiten zu ernsten Gewichtsproblemen. Überdies wollte er noch ein wenig in Ruhe über die diskutierten Fälle nachdenken. Und das gelang ihm – ganz auf den Spuren der altgriechischen Peripatetiker – am besten im Gehen. Er rief sich das Gehörte in Erinnerung und kam zu dem Schluss: Man konnte die Sache drehen und wenden, wie man wollte, am ehesten leuchtete noch die Erklärung von Pater Di Fonzo ein: Man müsste nochmals überprüfen, ob es sich bei beiden Mailänder Morden nicht doch um Racheakte an Kinderschändern handelte. Aber dafür waren andere Kriminalisten zuständig. Gott sei Dank! Nach einer Stunde Weges in seine Wohnung auf der Via delle Botteghe oscure angekommen, wurde er von seinem Papagei „Meister Jakob“ ganz wild begrüßt, da dieser fast den ganzen Tag in monastischer Einsamkeit verbracht hatte und jetzt die Gesellschaft seines heißgeliebten Herrchens suchte. Bu-Bu gab ihm zu essen und spielte noch ein wenig mit ihm herum. Dann war wieder einmal ein Tag vorüber.

      ***

      Am folgenden Tag standen im Ufficio die üblichen und wie immer enervierenden quartalsmäßigen Routinearbeiten an: Statistiken über Personal- und Sacheinsatz, Tätigkeitsberichte fürs Innen- und Justizministerium und ähnliche Geschreibsel, die ohnehin niemand las, sondern nur zu den Akten genommen wurden. In Österreich, wusste Bustamante, gab es dafür den schönen Ausdruck „Schubladisieren“. Aber wehe!, man fertigte dieses Zeug nicht an! Zwar half ihm bei all dem nach Kräften seine absolut übergewichtige, aber auch absolut übertüchtige Sekretärin Rosalinda, die Seele seines Ufficio. Auch seine engsten Mitarbeiter, Commissario Luccio Rossi, bei den meisten nur unter seinem Vornamen bekannt, und sein persönlicher Assistent Marco Ronconi leisteten ihren Beitrag. Dennoch hatte der Questore die letzte Verantwortung und war so einen Tag lang ständig mit Aktenlesen beschäftigt.

      Deshalb war es eine Art Erlösung, als ihn gegen Abend ein Anruf von Monsignore Salvatore Morreni erreichte, der in etwa das vatikanische Gegenstück zum Vicequestore war: Wie dieser in Rechtsangelegenheiten und bei Straftaten die Kontaktstelle vom italienischem Staat zum Vatikan darstellte, so war jener umgekehrt der Verbindungsmann des Vatikans zur italienischen Justiz. Daneben musste er noch die Arbeit verschiedener anderer vatikanischer Behörden koordinieren. Deshalb war er, obwohl kein Bischof, sondern nur „Monsignorino“ – „Kleiner Monsignore“ – (allerdings mit dem Titel eines Päpstlichen Protonotars), ein mächtiger, einflussreicher Mann, mit dem Bustamante sich sehr gut verstand, um nicht zu sagen: mit dem er befreundet war. Man traf sich regelmäßig nicht nur in beruflichen Angelegenheiten, sondern auch zum Reden „über Gott und die Welt“ und zum gemeinsamen Schachspiel mit abschließender „Weinprobe“. Als darum Morreni ihn anrief, glaubte Bustamante schon an eine Einladung zu einem gemütlichen gemeinsamen Abend. Aber „nemmeno per sogno!“ – „Flötepfeifen!“

      „Bu-Bu, bei uns im Vatikan brennt’s! Lichterloh sogar! Bitte, kannst du sehr bald, möglichst noch heute Abend, hier vorbeikommen, damit ich dir in Ruhe alles erzählen kann? Oder soll ich in dein Ufficio oder in deine Wohnung kommen?“

      „Nein! Ich lasse mich sofort zu dir hinfahren! Bei dir ist es netter und aufgeräumter als bei mir!“

      Tatsächlich hatte der Monsignore eine kleine, aber äußerst geschmackvoll eingerichtete Wohnung im obersten Stockwerk der Direktion des Vatikanischen

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