Artgerechte Partnerhaltung. Das Geheimnis glücklicher und beständiger Liebe. Andreas Winter
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Andersherum: Sie als Mann sehen es als beziehungsbelebend an, wenn Sie Ihre Frau, eine Ex-Bulimikerin, hin und wieder mit Blick auf den Bauch fragen, ob sie schwanger ist oder einfach nur eine altersbedingte Bindegewebsschwäche hat. Und vielleicht denken Sie verschmitzt, ein bisschen Necken kann ja nicht schaden, derweil Sie die Kotzgeräusche aus dem Badezimmer überhören. (Menschen machen solche schlechten Scherze entweder, um sich am Partner zu rächen oder weil sie ihn in seiner Stärke völlig überschätzen bzw. selbst Minderwertigkeitsgefühle haben.)
Vielleicht ist der Grund Ihrer Partnerschaft auch der, dass Sie partout nicht allein sein können bzw. wollen und sich irgendeinen Menschen halten, weil Sie einfach nur totale Angst vor Trennung haben.
Oder sind Sie der absolut Verständnisvolle, der für alles eine Entschuldigung hat und vor lauter Harmoniesucht schon vor langer Zeit seinen Stolz beerdigt hat – direkt neben Ihrer Ausstrahlung und Ihrem eigenen Willen. Dafür sind Sie aber der einzige Mensch, mit dem es Ihre bessere Hälfte länger als drei Jahre ausgehalten hat. Das ist doch Liebe, oder?
„Nein!“, sage ich. Jetzt werden Sie mich vielleicht hassen, aber: Das sind alles Beziehungen und keine Partnerschaften. Der Unterschied besteht darin, dass eine Beziehung danach trachtet, eine gewisse Stabilität herzustellen, und eine Partnerschaft diese Stabilität von allein erzeugt. Das bedeutet: Eine Beziehung ist meist ein Abhängigkeitsverhältnis, welches sich auflöst, wenn es seinen Zweck erfüllt hat, derweil eine Partnerschaft der Zweck an sich ist. Die Quittung für diesen Selbstbetrug bekommt man meist erst dann, wenn man schon fast zu alt ist, um auf dem Markt wirklich noch etwas Passendes zu finden, denn dazu gehört Zeit. Ich habe in meiner Beratungspraxis sehr viele Menschen erlebt, die sich nicht darüber im Klaren waren, warum genau sie mit ihrem Partner zusammen waren und nach dem Coaching etwas, sagen wir, gelassener mit dem anderen umgehen konnten, sich allerdings dann auch bald trennten, denn oftmals schlägt dann auch die Stunde der Wahrheit. In den Folgewochen zeigt sich dann immer, dass eine Partnerschaft mit Liebe viel stressfreier ist als eine Abhängigkeit.
Also denken Sie bitte kurz nach:
Was erhoffen Sie sich von Ihrem Partner und warum?
Wünschen werden Sie sich Eigenschaften wie Loyalität, Gemeinsamkeit, Solidarität und Liebe im abstrakten Sinne. Im konkreten Sinne mag das dann so etwas wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, guter Sex, Zärtlichkeit, Gewaltfreiheit, Kinderliebe, Familiensinn, Treue usw. sein. Aha! Erwischt! Sie wollen eine Partnerschaft wie jeder andere auch. Aber leben Sie auch bereits in einer, oder hoffen Sie darauf, dass es endlich einmal eine wird? Und: Wer von Ihnen beiden hat nun eigentlich das große Defizit, das vom anderen ausgeglichen werden soll?
Lassen Sie mich Ihnen ein paar weitere Fragen stellen:
→ Warum gibt es so viele nette und attraktive Menschen, die partnerlos und einsam sind?
→ Wieso gibt es einige Menschen, die immer wieder an den falschen Partner geraten?
→ Wieso beteuert ein Mensch seinem Partner seine Liebe und wird dann in einem Eifersuchtsanfall gewalttätig?
→ Weshalb boomt die Branche der Partnerschaftsvermittlung, obwohl die Erfolgsquote in Bezug auf dauerhafte Beziehungen erschreckend niedrig ist?
→ Vielleicht haben Sie schon von Menschen gehört, die jahrelang in einer festen Beziehung lebten und von jetzt auf gleich ohne ersichtlichen Grund Reißaus nahmen. Wie soll das gehen, wenn Liebe doch angeblich ein Band fürs Leben ist?
→ Warum gibt es auch heute noch Menschen, die ihr Leben lang verheiratet sind, während viele Ehen schon nach kurzer Zeit geschieden werden? Und wieso macht eine Ehe allein noch keine glückliche Partnerschaft?
→ Warum fällt es einigen Menschen so schwer, sich endgültig zu trennen, obwohl die Beziehung von Streit und Misstrauen geprägt ist?
Und nun die Antwort: weil konfliktfreie Zwischenmenschlichkeit an Reife gebunden ist und erlernt werden muss. Wie eine Fremdsprache. Beziehungs- oder Liebesfähigkeit und Sexualität sind nicht automatisch perfekt, reifen nicht von ganz allein. Sie führen ohne Training nicht zur erfüllten Partnerschaft, sondern werden durch unsere kindlichen Erfahrungen beeinflusst. Erlebte Konflikte mit Eltern und Geschwistern verhindern oft echte Liebe. Menschen versuchen unterbewusst, durch ihren Partner einen alten Konflikt mit einem Elternteil, mit Bruder oder Schwester zu lösen, oder suchen in ihrem Partner etwas, das dieser gar nicht erfüllen kann, weil er oder sie gar nicht gemeint ist.
Hinzu kommt: Viele Menschen haben solch starke Minderwertigkeitsgefühle, dass sie sich selbst nicht mehr bedingungslos annehmen – und sich somit erst recht nicht auf andere einlassen können. Auch die Liebe zu sich selbst muss erlernt werden, um ein wertvoller Lebens- und Liebespartner zu sein. Je nachdem, von welchen Vorbildern wir lernen, leben, lieben – oder leiden wir.
So erklärt sich plötzlich das Unerklärliche. Alle oben gestellten Fragen werden beantwortet, wenn man weiß, dass die soziale Komponente der Beziehungsfähigkeit die biologische überwiegt. So etwa, warum eine Frau, die einen gewalttätigen Vater hatte, sich unbewusst einen gewalttätigen Mann sucht – weil sie gelernt hat, dass ein solches Verhalten offenbar zu einem durchsetzungsfähigen Mann gehört. Nicht selten suchen sich solch traumatisierte Frauen auch einen überaus sanften und „lieben“ Mann und provozieren ihn so lange, bis er gewalttätig wird – nur um unbewusst die Gewalt des anderen kontrollieren zu können. Auch die Abkehr von einem Mann und die Hinwendung zu einer Frau kann die Folge einer maskulinen Gewalterfahrung sein. Jetzt wird klar, weshalb eine attraktive Frau jahrelang erfolglos auf Partnersuche ist und plötzlich den „Richtigen“ findet. Nachdem sie den psychologischen Grund ihrer Isolation verarbeitet hat, hält sie nicht mehr länger nach einem Vaterersatz Ausschau, sondern ist offen für einen Partner auf Augenhöhe. Nun ist es nicht weiter verwunderlich, warum sehr viele Menschen lieber für Sex Geld bezahlen, anstelle sich auf das Abenteuer einer auch sexuell gleichberechtigten Partnerschaft einzulassen. Isolation in einer Beziehung ist meist kein Pech, sondern die Folge einer tief sitzenden Angst.
Erst mal richtig kennenlernen
Ein Freund von mir sagte neulich: „Ich habe meine Traumfrau gefunden!“ Er schwärmte zehn Minuten lang von der intelligentesten, reflektiertesten, schönsten, verständnis- und liebevollsten Frau in seinem ganzen fünfzigjährigen Leben. „Ach?“, fragte ich. „Wann, wo und wie hast du sie kennengelernt?“ Und er (mit strahlendem Blick): „Gestern Abend in der Buchhandlung!“ Okay…gestern Abend…, dachte ich und fragte vorsichtig erneut nach. „Und wie?“ – „Na, ich fragte sie, ob sie einen Kaffee haben möchte.“ – „Ja und …?“ – „Sie sagte Nein!’“ – „Ja, und dann?“ – „Dann habe ich sie gefragt, ob sie Portugiesin ist, da hat sie aber auch Nein gesagt. Und sie sei verheiratet.“
Jetzt traf mich wirklich der Schlag! Und obwohl diese Anmache an Direktheit wohl kaum noch zu überbieten war, ergab sich daraus ein stundenlanges und intensives Gespräch, und die beiden wollten sich wiedertreffen, obwohl sie verheiratet ist. Allerdings ist so etwas meines Erachtens eher die Ausnahme. Für gewöhnlich klopft man an, bevor man eintritt.
Also: Was machen Sie, wenn Sie einem Menschen zum ersten Mal begegnen? Geben Sie ihm sofort Telefonnummer, Autoschlüssel, einen Kuss und Ihr Portemonnaie? Natürlich nicht! Sie „checken“ ihn zunächst. Erst einmal beschnuppern. Bis dahin bleibt man an der Oberfläche, tauscht sich thematisch über Dinge aus, bei denen man sich hoffentlich nicht auf den Schlips tritt: das Wetter, Musik, das Weltgeschehen oder bestenfalls noch Hobbys und gemeinsame Bekannte. Man will sich ja schließlich erst einmal kennenlernen.
Kennenlernen? Wie lange dauert das eigentlich? Ein befreundeter Iraner erzählte mir diesbezüglich einmal: