Artgerechte Partnerhaltung. Das Geheimnis glücklicher und beständiger Liebe. Andreas Winter
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Ich sehe was, was du nicht siehst: Projektion auf den Partner
Unser Gehirn ist zwar nicht dumm, aber faul. Es arbeitet ununterbrochen, aber nur so viel wie nötig. Unsere Abermilliarden von Nervenzellen beginnen bereits ab der dritten Schwangerschaftswoche, zu arbeiten und Umweltreize zu registrieren. Zu dieser Zeit – da weiß eine Mutter meist noch gar nicht, dass sie überhaupt schwanger ist – beginnt unser Herz zu schlagen, und unsere ersten Nervenzellen entwickeln sich. Mit Letzteren sind wir in der Lage, Neurotransmitter – das sind die chemischen Botenstoffe, die im mütterlichen Gehirn für Gefühle sorgen – zu registrieren. Allerdings gibt es in der Gebärmutter noch nicht allzu viele spürbare Erfahrungen – es ist für den Follikel immer einigermaßen gleich warm und gleich dunkel. Doch ab diesem Zeitpunkt ist der kleine Zellknubbel, der zweieinhalb Wochen später unser Nervenzentrum ist, bereits in der Lage, zu spüren, ob sich Stresshormone, Glückshormone, Schlafhormone oder etwa Drogen in seiner Umgebung befinden. Das Kind tritt in Interaktion mit dem mütterlichen Körper. Es beginnt, im weitesten Sinne, zu denken! Nach etwa weiteren sechs Wochen nennt man diesen kleinen „Haufen“ von Nervenzellen, der sich stetig weiterentwickelt, bereits „Gehirn“. Im Alter von etwa fünf Monaten bekommt das Kind sogar eine ganz genaue Vorstellung davon, ob es im Bauch willkommen ist oder etwa ungewollt. Es braucht sich lediglich beim mütterlichen Organismus bemerkbar zu machen, etwa indem es sich herumdreht oder von innen gegen Mutters Bauchdecke tritt. Das tut es ab diesem Zeitraum für gewöhnlich und bekommt darauf die Antwort seiner Mutter in Form von Neurotransmittern, die durch die Nabelschnur direkt zum embryonalen Gehirn rasen und ihm die gleichen Gefühle ermöglichen, die seine Mutter empfindet. Entweder sie freut sich, ihr Kind zu spüren, dann bekommt dieses einen Endorphinstoß, der als Glücksgefühl wahrgenommen wird, oder sie ist verzweifelt, weil sie gar kein Kind will; dann spürt der Embryo einen Adrenalinstoß. Dieses Stresshormon wird von einem Ungeborenen fast wie ein Stromschlag empfunden. Wenn das Kind diese Erfahrung ein paar Mal gemacht hat, schlussfolgert es, dass es offenbar eine ganz schlechte Idee ist, sich allzu deutlich bemerkbar zu machen.
Depressionen und Introvertiertheit nehmen somit ihren Ursprung bereits vor der Geburt, bedingt durch die sich zunehmend ausbildende Verschaltungsfähigkeit, „Intelligenz“ genannt. Und mit dieser Intelligenz ordnen wir unsere Welt. Wenn Sie also monatelang im Bauch Ihrer Mutter beispielsweise die Erfahrung machten, dass Vaters Stimme mit endorphinbedingten Glücksgefühlen einhergeht (Sie wissen ja nicht, dass es Mutters Gefühle sind), dann schlussfolgern Sie leichtfertigerweise, Ihr Vater würde Sie lieben – dabei war er lediglich in Ihre Mutter verliebt. Mit diesem Wahrnehmungsmuster werden Sie dann aber ein ganz langes Gesicht machen, wenn sich herausstellen sollte, dass Ihr Vater Ihnen nicht die „versprochene“ Beachtung schenkt. Denn nach der Abnabelung bleibt der gewohnte Endorphin-Kick aus, und Sie empfinden ein Aufmerksamkeitsdefizit.
Dieses Frustrationserlebnis übertragen Sie als Frau, wenn Sie Pech haben, auf alle künftigen Männer, die einem Vater-Muster entsprechen. Die tragische Folge kann sein, dass Sie nun in Ihrer Partnerschaft wie ein Luchs darauf lauern, dass Ihr Partner Sie ignoriert, nur weil Sie ein neuronales Muster hierfür angelegt haben. Dass er sich möglicherweise für Sie mehr interessiert als für jeden anderen Menschen, entgeht Ihnen dann leider. Auch die Suche nach einem deutlich älteren Partner, der dem Vater-Muster entspricht, gehört in diesem Zusammenhang erwähnt. Diese vorgeburtlichen Verknüpfungen habe ich mit meinem Team in den letzten Jahren sehr gründlich erforscht, und ich kann Ihnen sagen, dass nahezu alle ungelösten Dauerbaustellen im Leben eines Menschen auf embryonale Traumatisierungen zurückzuführen sind. Mit dem passenden psychologischen Werkzeug sind sie dann auch wieder lösbar.
Projektion ist also eine schlimme Sache. Fast jeder Lehrer in der Schule weiß davon ein Lied zu singen, dass die meisten Kinder davon ausgehen, dass er autoritär ist, nur weil er der Lehrer ist. Egal wie lieb und nett der arme Kerl ist (es erwischt hierbei eher die männlichen Kollegen als die weiblichen – warum das so ist, dazu später mehr), die Kids gehen reflektorisch davon aus, dass da vorn eine bösartige Spaßbremse steht und nicht etwa ein von den elterlichen Steuergeldern bezahlter Bildungslieferant.
Und Sie kennen das sicher auch: Nur weil Sie sich als Frau für die Arbeit etwas stylen, die Nägel lackieren und gepflegte Garderobe tragen, ziehen Sie sich möglicherweise die Missgunst Ihrer Arbeitskolleginnen zu. Man glaubt, Sie wären opportunistisch, falsch und wollten mit weiblichen Reizen Ihrer Karriere auf die Sprünge helfen. Dabei denken Sie weder in Konkurrenzen, noch wollten Sie jemanden demütigen. Im Gegenteil: Sie empfinden ein gepflegtes Äußeres als Wertschätzung den Kunden, Kollegen und der Geschäftsleitung gegenüber. Die Personen, die Ihnen argwöhnisch unterstellen, Sie wären eine falsche Schlange, haben möglicherweise in der Kindheit erlitten, wie jemand, der optisch angenehm auffiel, sich damit zugleich Vorteile erschlichen hat. Dieses Muster bleibt im Unterbewusstsein wie ein Radar aktiv und schießt auf alles, was den abgespeicherten Kriterien entspricht.
Und das alles nur, weil das Gehirn Energie sparen will, denn neue neuronale Verschaltungen anzulegen, „kostet“ mehr, als die vorhandenen zu nutzen – selbst wenn das Ergebnis totaler Blödsinn ist. Solange man mit diesem Ergebnis nicht totalen Schiffbruch erleidet, wird nichts geändert. Glauben Sie mir nicht? Dann zeige ich es Ihnen.
Lesen Sie bitte den folgenden Text. Er wird Ihnen zeigen, dass unsere Erwartungshaltung sogar ganz extrem unsere Wahrnehmung bestimmt. Dieser Text kursiert seit Jahren im Internet, so etwa bei www.spiegel.de. Die Ursprungsquelle ist mir leider nicht bekannt. Lesen und staunen Sie:
„Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid. Das Ezniige, was wcthiig ist, ist, daß der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als Gseatems.“
Sie konnten diesen Text lesen, weil bei zu erwartenden Wörtern die Reihenfolge der Buchstaben bis auf wenige Schlüsselpositionen für das Verstehen völlig unerheblich ist – wir machen uns unseren Text im Kopf selbst. Je öfter Sie den Text lesen, desto mehr glauben Sie, dass da stünde: „Gemäß einer Studie einer englischen Universität ist es nicht wichtig, in welcher Reihenfolge die Buchstaben in einem Wort sind. Das Einzige, was wichtig ist …“ usw. Doch das steht da nicht, wie Ihnen jeder Erstklässler, der Buchstabe für Buchstabe liest, beweisen wird. Wir können das Ganze noch übertreiben.
D3NN W3NN 513 D3N FOLG3ND3N T3XT 383NF4LL5 NOCH L353N, D4NN W1RD 1HN3N L4NG54M KL4R, D455 35 1HN3N VÖLL1G 3G4L 15T, W3N OD3R W45 513 VOR 51CH H483N, D3NN 513 53H3N NUR, W45 513 M1T 1HR3N 4UG3N 53H3N MÖCHT3N – UNG34CHT3T D3R R34L1TÄT.
Ich wiederhole: Sie sehen nur, was Sie mit Ihren Augen sehen möchten – ungeachtet der Realität! Noch Fragen?
Es gibt eine Vielzahl von optischen Täuschungen, die uns ebenso zeigen, dass wir das sehen, was wir erwarten – und nicht das, was wir nicht kennen. So wird überliefert, dass die ersten Indianer die Schiffe der Konquistadoren nicht sehen konnten, weil sie für etwas so Ungeheuerliches kein Wahrnehmungsrepertoire hatten. Es soll Tage gedauert haben, bis der beobachtende Strandposten die riesige Santa Maria plus Begleitung optisch erfasste. In dem Buch „Bleep“1 finden Sie zwei Beispiele dafür, dass Wahrnehmung an Erfahrung geknüpft ist: Junge Katzen, die in einem Raum ohne vertikale Linien aufwuchsen, wurden nach einigen Wochen in eine „normale Umgebung“ gebracht und konnten keine Stuhlbeine sehen – sie liefen dagegen. Kleinflugzeuge, die auf einer Autobahn notlanden,