Lebendige Seelsorge 5/2015. Группа авторов
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Beginnen wir mit einigen Schlaglichtern aus dem katholischen Leben:
Es ist offenkundig im christlichen Lebensalltag, was auch die Soziologie eruierte: eine hohe Affinität von Christ und „Familientyp“ (Klaus-Peter Jörns). Besonders Katholiken wird eine Tendenz zum „Familismus“ attestiert. Ihr Gefühl der Verbundenheit mit den Vorfahren ist überdurchschnittlich ausgeprägt, Verwandtenbesuche sind häufiger. Die gewünschte und die reale Kinderzahl kirchennaher Christen liegen höher als bei den Konfessionslosen. Religiöse Jugendliche machen sich das Lebensziel „Kinder haben“ um 20 Prozent häufiger zu eigen als Nichtreligiöse. Regelmäßige Gottesdienstbesucher erklären häufiger als Kirchenferne, nichts gegen „Leute mit vielen Kindern“ als Nachbarn zu haben. Auch weisen religiöse Menschen eine unterdurchschnittliche Scheidungsrate auf und ein überdurchschnittlich harmonisches Familienleben, jedenfalls wenn man die Selbstauskünfte zum Maßstab nimmt: „Gemeinsame Mahlzeiten sind uns wichtig“; „Wir sprechen viel miteinander“; „Wenn es Streit gegeben hat, gelingt es uns meist recht schnell wieder, uns zu versöhnen“; „In unserer Familie gibt es Wärme und Geborgenheit“. Soweit, so erfreulich.
TAKTLOSIGKEIT KATHOLISCHER FAMILISTEN
Die Kehrseite: katholische Taktlosigkeit gegenüber Menschen, die das Ideal verfehlen, eine Hypertrophie des Familismus, seine ideologische oder habituelle Überdrehung. Sie kann ganz harmlos daherkommen: in den Vorstellungsrunden kirchlicher Gremien erfährt man bisweilen mehr von der biologischen Fruchtbarkeit der Teilnehmer(innen) als von ihrer relevanten Sachkompetenz und beruflichen Ausbildung, den Gründen ihrer Entsendung oder Motiven ihrer Mitarbeit. Atmosphärischer Sieger ist, wer von der höchsten Kinder- und Enkelzahl zu berichten weiß. Selbst in Büchern mit wissenschaftlichem Anspruch, deren Autorenverzeichnis Werdegang, Wirkungsstätte, Ämter und Forschungsschwerpunkte der beitragenden Experten darlegen soll, drängt einem mancher seine privaten Lebensverhältnisse auf, auch wenn sie nichts mit dem behandelten Thema und der Qualifikation dafür zu tun haben. Ein respektabler Kardinal trat kurz vor der Emeritierung mit seiner Familieneuphorie in den Fettnapf, als er sich bei einer Rede vor frommen Kinderreichen zu der Aussage hinreißen ließ: „Eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische Familien.“
Schon weniger harmlos: die Genderkritikerin Gabriele Kuby, Kuratoriumsmitglied des „Forums deutscher Katholiken“, patzte im Herbst 2014, als sie mitten im Ukrainekrieg im Kreml einen von Putin-nahen Oligarchen organisierten Kongress „Große Familien und die Zukunft der Menschheit“ besuchte, zu dem sich auch westeuropäische Rechte vom „Front National“ oder der FPÖ ein Stelldichein gaben. Sie referierte dort sogar und durfte danach in der „Tagespost“ und auf „kath.net“ begeistert berichten – ohne ein Wort zu den Menschenrechten in Russland und zu Putins Hasskampagne gegen den Westen zu verlieren. Von den Leiden ukrainischer Familien ganz abgesehen.
Das notorische katholische Familienhurra könnte als kompensatorisches gerechtfertigt sein, wenn der Wert der Familie in der Gesellschaft verkannt würde. Doch das Gegenteil ist der Fall. Zwar mag es eine gewisse Geringschätzung der Rolle der Hausfrau und Mutter geben, wie die Debatte um das Betreuungsgeld zeigte, und eine überziehende „Antidiskriminierung“, etwa bei der Forderung nach „Öffnung“ der Ehe und Fremdkindadoption für homosexuelle Paare. Aber ideologische Frontalangriffe und praktische Rebellion gegen die Familie wie in den 68er-Jahren sind passé. 65 Prozent der Deutschen leben laut Emnid gern in ihrer klassischen ehelichen Familie; weitere 19 Prozent leben nicht so, würden es aber gern tun, nur jeder Zehnte lehnt dieses Lebensmodell ab. Der subjektive Stellenwert der Familie ist, so Allensbach-Chefin Renate Köcher, „außerordentlich hoch“: „Für das eigene Leben benennen konstant mehr als drei Viertel der Bevölkerung die Familie als wichtigsten Lebensinhalt.“ In der jungen Generation (bis 30 Jahre) ist der Wert von Familie sogar „so hoch wie nie zuvor“. Der Anteil der jungen Erwachsenen, der meint: „Man braucht eine Familie zum Glück“, stieg in den letzten 25 Jahren in Westdeutschland fast kontinuierlich von unter 50 auf beinahe 80 Prozent; im Osten lag er seit 1991 stets über 70 und erreicht nun ebenfalls fast 80 Prozent. Über 50 Millionen Menschen in Deutschland (ab 14 Jahre) finden es laut Allensbach „ganz besonders wichtig, sich für die Familie einzusetzen“. Über 90 Prozent der Bevölkerung nehmen auch bei Personen ihres sozialen Umfelds die Familie als „sehr wichtig“ (55 %) oder „wichtig“ (37 %) wahr. Ein Mehrbedarf an Bewusstseinsbildung für den Wert der Familie besteht daher wohl kaum. Dort, wo die Realität hinter dem Ideal zurückbleibt, wie es Scheidungsraten und die Zunahme von Patchworkfamilien zeigen, hat dies weniger weltanschauliche Gründe als zivilisatorische und tugendethische. Denen kommt man aber nicht mit Grundsatzpropaganda für die Familie bei.
KINDER ALS SOZIALKAPITAL, SINGLES ALS SCHMAROTZER
Wortführer der lauten katholischen Familienlobby reduzieren Kinder zum Sozialkapital und, je nach Bedarf, zur Lebensleistung oder Last, die eine größere finanzielle Kompensation verlange. Manche führen ihr Verdienst als Eltern, und sei es noch so bescheiden, ausdrücklich gegen die Demographiedienstversager ins Feld, welche die Familien „ausbeuteten“ und es sich gut gehen ließen. Da atmet man als derart ins Unrecht gesetzter Sozialschmarotzer erleichtert auf, wenn die F.A.Z. (12.4.14) titelt: „Deutsche Singles zahlen und zahlen“.