Lebendige Seelsorge 5/2015. Группа авторов

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Lebendige Seelsorge 5/2015 - Группа авторов Lebendige Seelsorge

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mehr Geld vom Staat kommen einer faktischen finanziellen Vergesellschaftung von Kindern nahe – obwohl man eine staatliche „Lufthoheit über den Kinderbetten“ vehement zurückweist. Die katholische „Tagespost“ (2.5.2012) definierte Transfers zugunsten der Familie nicht mehr als Sozialleistung, sondern als „Honorar für eine erbrachte Leistung“. Sieht man es so, erscheint Erziehung bald nicht mehr als „Beschenkung mit Menschlichkeit“ (Johannes Paul II.) und „Schule der Unentgeltlichkeit“ (Benedikt XVI.). Sie wird zur Dienstleistung, die von Kindeserzeugern im Auftrag des Staates ausgeübt wird und eine entsprechende Bezahlung auslöst. Soll dies das christliche Familienbild sein? Hilfreicher wäre es, pragmatisch und flexibel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.

      Es sollte selbstverständlich sein, muss aber immer wieder gesagt werden: das Christentum ist weder eine Familienreligion noch ein Fruchtbarkeitskult. Es wurde gestiftet von einem kinderlosen Single und wird in der katholischen Konfession auch geleitet von kinderlosen Singles. Trifft das mal nicht zu, ist es meistens ein Skandal. Auch in manchen profanen Berufen gehörten Kinderlosigkeit und Ledigenstatus bis vor wenigen Jahrzehnten sogar zum guten Ton; die Betreffenden sollten sich ganz und gar ihren Schutzbefohlenen widmen können. Auch die allermeisten zur Ehre der Altäre erhobenen Heiligen waren kinderlos.

       ENGFÜHRUNG DES CHRISTENTUMS

      Zudem kompromittiert ein ideologischer Familismus den Glauben, indem er sich anmaßend mit ihm identifiziert und seine katholische, „allumfassende“ Weite verengt: Hybride Formeln wie „Familie – das pure Christentum“ („Die Tagespost“, 22.12.2011) erwecken den Eindruck, die Frohe Botschaft begründe eine Religion für vornehmlich verheiratete, kinderreiche Personen. Damit verlören unsere Pfarrgemeinden, wo nach Streichung vieler Gottesdienste die „Familienmessen“ mancherorts schon das Monopol am Sonntagvormittag haben, das Einladende für alle Christen.

      Dabei sollte das Bild von Familie, welches das Alte wie das Neue Testament zeichnet, eigentlich von einem allzu euphorischen Lobpreis der Blutsbande zurückhalten. Die schützen vor Mord und Totschlag, Habgier und Neid, Verrat und Unverständnis nämlich nicht. Jesus selbst wird offenbar von seiner Sippe verkannt („Er ist von Sinnen!“) und beantwortet die Frage: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ schlicht so: „Wer den Willen Gottes erfüllt.“ Um seinetwillen, so prophezeit er, würden sich Familienmitglieder gegenseitig in den Tod schicken. Seine Apostel lassen ihre Familien zurück, um ihm nachzufolgen. In der Bergpredigt durchbricht Jesus das überlieferte Clandenken mit den wuchtigen Fragen: „Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?“ Das Christentum kann also nur durch biblische Ignoranz oder Falschmünzerei zur Familienreligion stilisiert werden.

      Andere ideologische Überformungen des Glaubens, etwa der religiöse Sozialismus oder Ökopazifismus, stießen bei Konservativen zu Recht auf Kritik. Für ihre eigene ideologische Deformation des Glaubens müssen sie erst noch sensibilisiert werden. Die Reaktionen sind dann aber meistens uneinsichtig und aggressiv. Den Splitter im Auge der Anderen sehen sie wohl, den Balken im eigenen Auge nicht.

      Eine Szene aus einem diözesanen Pastoralrat: Mitglied X, Familienvater, schlägt, wie in jeder der halbjährlichen Sitzungen, unter „Verschiedenes“ vor, einen „Familienkongress“ abzuhalten. Welcher Gutmeinende wollte dagegen Einspruch erheben? Doch einmal meldet sich eine couragierte ältere Frau zu Wort und kontert: „Wir sollten unsere Aufmerksamkeit lieber mal auf die vielen Vereinsamten in unseren Großstädten richten“. Recht hat sie! Da wird nämlich von manchen, die lieber um die eigene Lebenswirklichkeit kreisen, eine pastorale Herausforderung ersten Grades übersehen. Womöglich nicht nur eine pastorale, sondern auch eine normative, vielleicht sogar theologische: denn der Wert einer erfüllten, Gott wohlgefälligen Existenz auf Erden bemisst sich nicht vorrangig an der Fertilität oder Bereitstellung künftiger Rentenbeitragszahler. Das Christentum bricht menschliches Nützlichkeitskalkül radikal auf.

      Jeder stiftet dem Gemeinwohl seine Talente zu: der eine durch eine große Kinderschar und liebevolle Erziehung, der andere durch berufliche Spitzenleistungen mit außergewöhnlichem Arbeitseinsatz bis hin zu einer 60- oder 70-Stunden-Woche, der nächste durch seine vorbildliche Charakterstärke, die gegen die Dunkelheiten des grassierenden Egoismus, Opportunismus, Materialismus und Hedonismus wie ein Leuchtturm strahlt. Wieder ein anderer durch eine große Biographie des Gebets oder durch die unermüdliche Verkündigung der Frohen Botschaft. Und mancher vielleicht nur dadurch, dass er eine schwere Krankheit oder Behinderung mit vorbildlicher Tapferkeit und Demut ein Leben lang trägt, ohne zu jammern.

       UNTERBELICHTET: DIE ETHIK DER FREUNDSCHAFT

      Überlassen wir das Thema Familie also nicht den bloß Selbstzufriedenen, den Ideologen und den Materialisten, die einen Klassenkampf der Kinderreichen gegen die Kinderlosen predigen und das Glück der Elternschaft, das selbstverständlich mit Opfern verbunden ist, verdunkeln. Entdecken und schätzen wir als Christen neu die Vielfalt der Berufungen zu einem fruchtbaren Leben und auch die Vielfalt der Möglichkeiten, für Kinder da zu sein. Lassen wir nicht zu, dass das Christliche überwölbt und verfremdet wird durch das Rechtskonservative, für das Familie und Vaterland die höchsten Werte sind. Für den Christen sind sie es nicht. Was sich auch als ein Stück „Entweltlichung“ begreifen lässt: Nicht im Sinne einer Geringschätzung diesseitiger Lebenswirklichkeiten, sondern einer jenseitigen Perspektive, die weltliche Glücksmaßstäbe relativiert und den Sinn irdischer Pilgerschaft nicht darin sieht, in Nachkommenschaft „weiterzuleben“, sondern in der himmlischen Herrlichkeit Gottes.

      Der Familienbegriff erstreckt sich heute, weit über die Kernfamilie hinausgreifend, für jeden Sechsten sogar auf „enge Freunde, Freundinnen“. Dies dürfte als kompensatorisch zu erklären sein angesichts der Verkleinerung der Kernfamilien und der häufigeren geographischen Zerstreuung der weiteren Familie durch die erhöhte berufliche Mobilität. Es ist daher an der Zeit, neben der kirchlichen Sorge für die Familie theologisch und seelsorglich auch eine Ethik christlicher Freundschaft zu pflegen, die ein Beziehungsnetzwerk der Liebe und Fürsorge dort gewährleisten hilft, wo kein „Blut zieht“. Für diese Erweiterung des Blickwinkels spricht nicht zuletzt ein Befund aus dem in 27 Sprachen übersetzten Bestseller „The Top Five Regrets of the Dying“ von Bronnie Ware. Sie begleitete auf der Palliativstation todkranke Patienten und schrieb auf, was diese im Rückblick auf ihr Leben bedauerten. Eines der fünf wichtigsten Versäumnisse: „Ich wünschte mir, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrecht erhalten.“ Die hohe Bedeutung von Freundschaft würde vielen Menschen erst bewusst, wenn ihr eigenes Leben zu Ende gehe. Sie seien zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, um sich genug Zeit für die Pflege von Freundschaften zu nehmen. „Jeder vermisst seine Freunde, wenn er stirbt.“

       Andreas Püttmann

      geb. 1964, Dr. phil., Politikwissenschaftler und freier Publizist; zuvor Wiss. Mitarbeiter und Referent für Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung; sein Buch „Gesellschaft ohne Gott. Risiken und Nebenwirkungen der Entchristlichung Deutschlands“ (2010) erscheint in vierter Auflage bei Gerth Medien.

      LITERATUR

      Püttmann, Andreas, Wertschätzung und Wandel von Familie – Empirische Erkenntnisse in christlicher Perspektive, in: Augustin, George / Kirchdörfer, Rainer (Hg.), Familie. Auslaufmodell oder Garant unserer Zukunft? Freiburg / Basel / Wien 2014, 99-113 (mit Quellenangaben der hier referierten empirischen Befunde).

       Danke für Freundschaft,

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