Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie. Группа авторов

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Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie - Группа авторов Fragen der Zeit

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Fliegende Holländer ist unser zu Hause: ewige Weiterfahrt, ohne Aussicht auf Erlösung. Wir sind allein auf dem Meer.57 Heimat wäre das Entronnensein.58 Doch Odysseus, der betrogene Betrüger, sitzt in der Hölle, die er selbst erschuf. Sie hat schwankende Planken.59

       Diogenes

      Horkheimer und Adorno hatten die Detonationen ihrer Epoche im Ohr, die Gaskammern von Auschwitz ahndend vor Augen, als sie ihre Meditation über den Satz ‚Wissen ist Macht‘ verfassten und die Dialektik dieses Wissens zeigten. Peter Sloterdijk beschreibt sie in seiner „Meditation über den Satz: ‚Wissen ist Macht‘“60, der Kritik der zynischen Vernunft, so:

      „Wenn einst Aufklärung – in jedem Wortsinn – der Angstminderung durch Mehrung von Wissen diente, so ist heute ein Punkt erreicht, wo Aufklärung in das einmündet, was zu verhindern sie angetreten war, Angstmehrung.“61 „Unter den ‚Erkenntnissen‘ sind allzu viele angsterregende“62; „[e]s gibt kein Wissen mehr, dessen Freund (philos) man sein könnte. Bei dem, was wir wissen, kommen wir nicht auf den Gedanken es zu lieben, sondern fragen uns, wie wir es fertigbringen, mit ihm zu leben, ohne zu versteinern.“63

      Sloterdijks ‚dissidente Variante‘64 der Kritischen Theorie handelt wie die Dialektik der Aufklärung „von nichts anderem als von dieser Selbsterhaltung zum Tode.“65 Zu dieser trägt schließlich auch die Resignation erzeugende Aufklärung über die Aufklärung bei, wo sie deren Aporien vollends ins Auge fasst. „Was wir als Kritik produziert hatten, war auch nur die Fortsetzung der Selbstzerstörung mit anderen Mitteln.“66 Nicht zuletzt deshalb möchte Sloterdijk das von Adorno übernommene Motiv der Selbsterhaltung zum Tode „aus der Tonart der traurigen Wissenschaft in die der fröhlichen oder tragikomischen Wissenschaft“67 übersetzen – und damit die Erstarrung der Kritischen Theorie lösen. Doch deren Erstarrung folgte aus der Aporie der Sache – und diese vermag auch Sloterdijk nicht loszuwerden. Aber wieder der Reihe nach.

      Wie leben und handeln angesichts dessen, was wir über unser Leben und Handeln wissen? Angesichts dessen, was die Dialektik der Aufklärung und die Geschichte des 20. Jahrhunderts über uns ans Licht gebracht hat? Wir können nicht nicht-handeln. Doch die Wege zu einer gelingenden Praxis scheinen versperrt und „[k]ein Denkvermögen hält mit dem Problematischen Schritt. […] Weil alles problematisch wurde, ist auch alles irgendwo egal. Dieser Spur gilt es zu folgen. Sie führt dorthin, wo von Zynismus und ‚zynischer Vernunft‘ die Rede sein kann.“68 Wir wissen, was wir getan haben, wir wissen, was wir tun – und tun wissentlich weiter, was wir taten. Wer aber „die Wahrheit über sich weiß, und trotzdem weitermacht wie bisher, verhält sich zynisch.“69 Die Aporien, die die Selbstbesinnung der Aufklärung zu Tage förderte, führen zu einem allgemeinen Zynismus, und der Zynismus führt zur

      „Diffusion des Wissenssubjekts […], so daß der heutige Systemdiener durchaus mit der rechten Hand tun kann, was die linke Hand niemals erlaubte. Des Tags Kolonialisator, des Abends Kolonialisierter; von Beruf Verwerter und Verwalter, als Freizeitperson Verwerteter und Verwalteter; offiziell Funktionszyniker, privat Sensibilist; […] objektiv Zerstörungsträger, subjektiv Pazifist; an sich Katastrophenentfeßler, für sich die Harmlosigkeit selbst. Bei Schizoiden ist alles möglich, und Aufklärung und Reaktion machen nicht mehr viel Unterschied. Beim aufgeklärten Integrierten – in dieser Welt cleverer instinktiver Konformisten – sagt der Körper nein zu den Zwängen des Kopfes, und der Kopf sagt nein zu der Art und Weise, wie sich der Körper seine komfortable Selbsterhaltung erkauft. Diese Gemischtheit ist unser moralischer Status quo.“70

      Der moderne Zyniker macht weiter, wo im emphatischen Sinne gar nichts mehr zu machen ist. Es scheint keine Alternative in Sicht.71 „Zynismus ist das aufgeklärte falsche Bewußtsein – das unglückliche Bewußtsein in modernisierter Form.“72 Es weiß um den „tiefen Riß, der durch die modernen Bewußtseine geht und der für alle Zeiten das Vernünftige und das Wirkliche, das, was man weiß, und das, was man tut, voneinander zu trennen scheint.“73 „Handeln wider besseres Wissen ist das globale Überbauverhältnis heute; es weiß sich illusionslos und doch von der ‚Macht der Dinge‘ herabgezogen.“74

      In Bezug auf die einstmals großen Hoffnungen und Weltgeschichtsphilosophien sind wir pessimistisch, ja: „Wir sind aufgeklärt, wir sind apathisch.“75 „Unsere schwunglose Modernität weiß zwar durchaus ‚historisch zu denken‘, zweifelt aber längst daran, in einer sinnvollen Geschichte zu leben. ‚Kein Bedarf an Weltgeschichte.‘“76 Die Aufgeklärten, das sind die „vom Gegebenen Erzogenen“77. Sie verbitten sich, „von geschichtlicher Erfahrung belehrt, billige Optimismen“78. Der Zyniker richtet sich ein im ‚wunschlosen Unglück‘ (P. Handke)79; ihm gehört die Welt: „Nach den trotzigen Hoffnungen macht sich die Schwunglosigkeit der Egoismen breit.“80 Im vollen Bewusstsein arbeitet der moderne Zyniker subjektiv an seiner Selbsterhaltung, objektiv an seinem Untergang. Er ist nicht mehr der ‚einzelgängerische Kauz‘, der ‚provozierende eigensinnige Moralist‘, der ‚bissige und böse Individualist‘ der Antike, sondern tritt „als Massentypus auf; ein durchschnittlicher Sozialcharakter im gehobenen Überbau“81; ein „Grenzfall-Melancholiker, der seine depressiven Symptome unter Kontrolle halten und einigermaßen arbeitstüchtig bleiben kann. Ja, hierauf kommt es beim modernen Zynismus wesentlich an: auf die Arbeitsfähigkeit seiner Träger – trotz allem, nach allem, erst recht. Dem diffusen Zynismus gehören längst die Schlüsselstellungen der Gesellschaft“82. Im umfassenden Sinne bedeutet der ‚universale diffuse Zynismus‘83 als Daseinsweise: „Teilhabe an einer kollektiven realistisch herabgestimmten Sehweise.“84

      Diese zu beschreiben, dazu dient die Kritik der zynischen Vernunft. Aber es soll auch nicht bei bloßer Beschreibung bleiben. Es mag nicht beim Eindruck bleiben, es handle sich bei ihr „um einen Rettungsversuch für ‚Aufklärung‘ und Kritische Theorie“85. Und doch: die bisher geschilderte Art des Zynismus soll auch nicht das letzte Wort sein. „Scheint es anfangs, als münde die Aufklärung notwendig in zynische Enttäuschung, so wendet sich bald das Blatt, und die Untersuchung des Zynismus wird zur Grundlegung guter Illusionslosigkeit.“86 Sloterdijk möchte eine Bejahung versuchen, um – durchaus den Impulsen Kritischer Theorie verhaftet – „die Klammer des Negativismus zu sprengen.“87 Es bedarf dazu einer anderen Wissenschaft, einer Fortsetzung von Aufklärung und Kritik mit anderen Mitteln, eines anderen Helden. Gerade die Selbstbesinnung der Aufklärung hatte den „Ausblick auf ein Leben in totaler Unaufklärbarkeit“ gegeben; gerade die großen Blicke der Theorie zeigten eine grundlegende Unübersichtlichkeit, ja mehr noch, mit einem Zitat aus späterer Zeit:

      „Die Gegenwart hat uns Denkenden eine böse Entdeckung eingebracht; uns machen die großen Blicke überhaupt nicht froh, sie sind niederschmetternd. Unsere Aussicht aufs Ganze ergibt keinen Postkartengruß. Denken im 20. Jahrhundert heißt nicht, ein Kosmos-Ganzes anschauen, sondern eine Explosion mitdenken. […] Von Explosionen gibt es keine Theorie. Man kann Spurensicherung treiben“.88

      ‚Theorie‘ scheint heute allenfalls zu bedeuten: Wissen, was sich nicht ändern lässt.89 Wo die Spannung „zwischen dem, was ‚kritisieren‘ will, und dem, was zu ‚kritisieren‘ wäre, […] so überzogen [ist], daß unser Denken hundertmal eher mürrisch als präzise wird“90, wo Aufklärung als ‚traurige Wissenschaft‘ „wider Willen die melancholische Erstarrung [fördert]“91, wo „der Ernst des falschen Lebens im falschen Ernst der Philosophie“92 wiederkehre, da gelte es, „die kritische Sucht des Besserns auf[zu]lösen, dem Guten zuliebe“93. Das Ziel könne keine neue Theorie sein, die noch einmal besser wissen möchte, was sich besser machen ließe. Und ist es für Sloterdijk auch nicht. Dies hieße doch nur, auf einen Schelm

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