Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie. Группа авторов

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Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie - Группа авторов Fragen der Zeit

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Zwecke konkurrierender Rackets151 übersteigt: Vernunft verkleinert „aufs Format der Privatvernunft im Dienst an Individual-, Gruppen- und Systemegoismen.“152 Auch Peter Sloterdijk hat in seinem Essay Zorn und Zeit diese Gemengelage im Blick:

      „Inzwischen haben die ‚Vielheiten‘, die Ausdifferenzierungen, die Singularitäten so viel Zulauf, daß bei ihren Trägern sogar das Bewußtsein der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer einzigen ‚Menschheit‘ in Vergessenheit geraten könnte. […] Sogar die negative Utopie, die Erwartung einer weltweiten Naturkatastrophe ist außerstande, einen übergreifenden Horizont verbindlicher Aufbrüche zu stiften. Der Geist der Desolidarisierung, privat, lokal, national, multinational, imperial, reicht so tief, daß jede Einheit auf ihre Weise die eigene Verschonung für gewiß halten möchte, sollten auch die übrigen vom Mahlstrom verschlungen werden. Wie gefahrenträchtig die multi-egoistische Lage ist, werden die kommenden Jahrzehnte zeigen. Gehörte es zu den Lektionen des 20. Jahrhunderts, daß Universalismus von oben scheitert, könnte es zum Stigma des 21. Jahrhunderts werden, die rechtzeitige Ausbildung des Sinns für gemeinsame Situationen von unten nicht rechtzeitig zu schaffen.“153

      Die Chancen stehen schlecht. Die geschilderte Gemengelage blockiert bereits im Ansatz theoretisch jeden Aufbruch, der praktisch ohnehin stets schwierig war. Nach dem Verlust des transzendenten Heils erweist sich das erhoffte immanente als nicht organisierbar und der Versuch, in einem emphatischen Handlungssinn Geschichte zu machen, als Illusion. Adressaten- und ziellos, theorie- und politiklos bleiben jene zurück, die das Schlechte sehen, aber einem vorgeblich Besseren nicht mehr folgen, geschweige denn eines erkennen können. Perspektivlos bleiben auch jene Erniedrigten und Beleidigten, denen einst die großen Erzählungen durchaus Hoffnung boten. Insofern ließe sich mit Sloterdijks „imaginärem Dialog mit Francis Fukuyamas Buch The End of History and the Last Man154 konstatieren:

      „Wir sind in eine Ära ohne Zornsammelstellen mit Weltperspektive eingetreten. Weder im Himmel noch auf der Erde weiß man mit der ‚gerechten Wut des Volkes‘ noch etwas Rechtes anzufangen. […] Die vagabundierenden Dissidenzquanten scheinen nicht mehr zu wissen, ob sie noch eine Aufgabe haben. […] Die Empörung hat keine Weltidee mehr vorzuweisen.“155

      „Am Anfang war das Wort ‚Zorn‘“156 – und die Tat, die Tat des Einzelnen, des Heros. Am Anfang der europäischen Literaturgeschichte war Achill. Ist er auch ein Modell nach dem „Ende der Geschichte“?

      „Für die Alten war der Heroismus keine feinsinnige Attitüde, sondern die vitalste aller möglichen Stellungnahmen zu den Tatsachen des Lebens. In ihren Augen hätte eine Welt ohne Heldenerscheinungen das Nichts bedeutet […]. Der Heros […] liefert den Beweis, daß auch von menschlicher Seite her Taten und Werke möglich sind, sofern göttliche Begünstigungen sie zulassen – und allein als Tatentäter und Werkvollbringer werden die frühen Heroen gefeiert. Ihre Taten zeugen für das Wertvollste, was die Sterblichen, damals wie später, erfahren können: daß eine Lichtung aus Nicht-Ohnmacht und Nicht-Gleichgültigkeit in das Dickicht der naturwüchsigen Begebungen geschlagen worden ist. In Berichten von Taten leuchtet die erste gute Nachricht auf: Unter der Sonne ereignet sich mehr als das Gleichgültige und Immergleiche.“157

      Achill ist kein Freund der Mittellagen und sicher kein ‚Schirmherr des Gewöhnlichen‘. Er „bewegt sich in einer von einem glücklichen Bellizismus ohne Grenzen erfüllten Welt“158, er „fährt in die Welt wie die Kugel in die Schlacht“159, „damit die Welt durch Neues und Rühmenswertes erweitert werde.“160 Achill steht für die Einheit von Wille und Tat, von Sinn und Zweck, menschlichem Antrieb und höheren Kräften, „die Konvergenz von Explosion und Wahrheit“161, für „die totale Expressivität“162, die „Identität des Menschen mit seinen treibenden Kräften“163, das „Einswerden mit dem puren Antrieb“164, „die Utopie des motivierten Lebens“165 in einer erfüllten Gegenwart166. Was für uns heutige, für die Alltagsmenschen unerreichbar ist, schickt sich ihm zu: Evidenz.167 Hier ist kein Platz für Zweifel, Zögern, Zagen: „Man versteht sofort, warum in solchen Augenblicken von zweiten Stimmen wenig zu hören ist.“168 Achill ist das Sehnsuchtsbild für alle, die der Sinnlosigkeit des Daseins, der angekränkelten Reflexivität, der Aufgabe der Begründung, der Diskussion eigener Grundsätze und fundamentaler Prinzipien entfliehen mögen, die „spüren, dass Diskussion nicht an sich gut ist, sondern allenfalls ein Zweitbestes. Wer sie nötig hat, dem fehlt das Beste: die sich von selbst verstehende Gewissheit, das wortlose Einverständnis. Und wer sehnte sich nicht danach?“169

      Vielleicht, ja wahrscheinlich sehnten sich danach auch jene 19 Männer, die am 11. September 2001, bewaffnet mit Teppichmessern, eine Weltmacht herausforderten und in einen Zugzwang setzten, der die politische Weltlage bis heute bestimmt.170 Mehr noch, mit einer Formulierung Christoph Türckes: Sie suggerierten, dies Ersehnte zu haben.171 Kein Zweifel: Das Tun jener Männer war geschichtsmächtig. Aber haben sie wahrhaftig Taten vollbracht und Geschichte gemacht? Oder handelt es sich in einem fundamentalen Sinne um Untaten?

      Im 21. Jahrhundert wüten die Menschen gegen die selbstverschuldete Ohnmacht, verschärft sich die aufgezeigte Dialektik von Selbstermächtigung und Ohnmacht. Wer wütet, verdrängt, was Kritik und Denken ihm angetan haben.172 Unterdrückt wird, was sich eigentlich nicht mehr unterdrücken lässt: Zweifel, die Zersplitterung unseres Daseins, das Dröhnen zweiter, dritter, vierter Stimmen, Reflexivität und Ambiguität. Eben deshalb mag der Terror sein Tun nicht überleben. Er fürchtet sich vor der Stille nach dem Knall. In ihrem Äther schwirren die Stimmen, die die Explosion übertönte. Das Martyrium als Selbstmordattentat ersetzt den Sinn, der in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts verloren ging. Es zeugt vom Willen zum Untergang. Selbstmächtigkeit wird beschworen in ihrer letzten Preisgabe. Die Beschwörung der Evidenz und des machtvollen Agierens trägt aktiv nihilistische Untertöne – nicht nur beim nihilistischen Terror, der sich in das Gewand des Glaubens hüllt. Sie fanden sich in George W. Bushs apokalyptischer Endzeitrhetorik ebenso, wie sie aktuelle postdemokratische Prozesse prägen. Das Tun wird zum Selbstzweck und seine Macht beschworen, wo das Handeln zu einem Zweck unmöglich wurde.173 Nicht die Geschichte ist am Ende, aber offenbar die Hoffnung der Moderne, sie planvoll, gezielt gestalten zu können. Während seit der Neuzeit der Glaube verdampft, einen transzendenten Sinn aus der Geschichte herauslesen zu können, scheitert auch der Versuch der Moderne, einen Sinn in sie hineinzulegen. Das

      „Auftauchen des Terrorismus […] darf gerade nicht als Indiz für eine ‚Rückkehr‘ der Geschichte verstanden werden. […] Insbesondere der sogenannte globale Terrorismus ist ein durch und durch posthistorisches Phänomen. Seine Zeit bricht an, wenn sich der Zorn der Ausgeschlossenen mit der Infotainmentindustrie der Eingeschlossenen zu einem Gewalttheatersystem für letzte Menschen verbindet. Diesem Terrortrieb einen geschichtlichen Sinn andichten zu wollen wäre ein makabrer Mißbrauch erschöpfter Sprachreserven.“174

      Achill gibt es für uns nur noch, wie ihn Wolfang Petersens Film Troja erahnen lässt: als todessüchtigen Nihilisten175, dessen Tun in eins fällt mit seinem Untergang und dessen letzte Sehnsucht es ist, dass sein Name eine Zeit lang überdauert176. Mit Petersens Agamemnon: „The man wants to die.“

       Sisyphos

      „Eine Welt, die man – selbst mit schlechten Gründen – erklären kann, ist eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusionen und des Lichts beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. Aus diesem Exil gibt es keine Rückkehr, da es der Erinnerungen an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist. Diese Entzweiung zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Handelnden und seinem Rahmen, genau das ist das Gefühl der Absurdität.“177

      Die

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