Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie. Группа авторов

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Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie - Группа авторов Fragen der Zeit

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Sichgehenlassen.“94 Und nach dem Ende der großen Blicke vom Feldherrenhügel herab, wenn im Gewühl des Schlachtfelds „die Dinge uns brennend auf den Leib rücken, muß eine Kritik entstehen, die das Brennen zum Ausdruck bringt. Sie ist keine Sache richtiger Distanz, sondern richtiger Nähe.“95 Diogenes von Sinope ist ihr Held.

      Mit Diogenes begibt sich Sloterdijk auf die „Spur einer leibnahen untheoretischen Geistigkeit von dionysischem, jedoch nicht-tragischem Charakter.“96 Der antike kynische Philosoph ist für ihn „der eigentliche Begründer der Fröhlichen Wissenschaft“97 als der „höflichste[n] Art und Weise, öffentlich von den Unerträglichkeiten des Seins zu sprechen.“98 Diogenes ist im Wortsinne die Verkörperung eines atheoretischen, frechfröhlichen Widerstands. Mit ihm bringt Sloterdijk in der Spur Heinrich Niehues-Pröbstings99 die Unterscheidung zwischen Zynismus und Kynismus ins Spiel, „die Differenz zwischen dem Zynismus als der Infamie des Mächtigen und dem Kynismus als der Noblesse des Machtlosen“100.

      Diogenes’ „theoretische Hauptleistung besteht darin, die Wirklichkeit zu verteidigen gegen den Wahn der Theoretiker, sie hätten sie begriffen. […] Der Kyniker besitzt untrüglichen Instinkt für die Tatsachen, die nicht in die Großtheorien (Systeme) passen.“101 Seine ‚Methode‘ ist das satirische Verfahren102, die ironische „Aufhebung der aufgezwungenen ‚Ordnungen‘“, das „Spiel mit dem, was sich als ‚Gesetz‘ ausgibt“103. Die Satire offenbart „das von Adorno beschworene ‚Nicht-Identische‘; jenes Dies-da, an dem die bloße begriffliche Benennung schon Unrecht tut, indem sie Begreifen vortäuscht“104. Diogenes verkörpert, was nicht in die Theorie passt: nackte Wahrheiten, unbekleidet mit theoretischem Überhang.105 Er tritt für es ein, mit beißendem Spott, der das Brennen zum Ausdruck bringt, und mit Gesten, mit dem Körper als Argument, mit dem Körper als Waffe.106 Bissig, aber nicht verbissen ist dieser Diogenes. „Bei all seinen Kraßheiten ist Diogenes nicht oppositionell verkrampft und im Widerspruch fixiert“107. Denn Sloterdijks asiatisch-orientalisch imprägnierter108 Diogenes ist eben auch das Vorbild für ein heiteres Sichgehenlassen, das Sloterdijk gegen „die Neuzeit mit ihrem aktivistischen Selbstbehauptungsethos“109 setzt, gegen deren „aktivistischen Sturmlauf des Selbermachens, Selberplanens und Selberdenkens“110. Diogenes’ vitaler, dionysisch-materialistischer, „kritische[r] Existentialismus des satirischen Bewußtseins“111 steht für ein unambitioniertes Glück.

      „Er ist der dionysische Retter vor dem Allzudionysischen. Weil er mit den Extremen seine Erfahrungen gemacht hat, ist er wachgeworden für das Abenteuer der Mittellagen. [… D]ort sitzt Diogenes in seiner Sonne, faul und tief, vorsichtig und glücklich, die leibhaftige Verweigerung der Explosion, die erleuchtete Vorbeugung gegen die tödliche Verstrahlung, der Schirmherr des Gewöhnlichen und der Denker der dionysischen Erträglichkeit. [… E]r demonstriert sein glückliches Nichts-zu-sagen-haben und lebt ein Dasein, das sich spielerisch allen Missionen entzieht; er übt sich darin, mit größter Geistesgegenwart den Machtworten einen Sinn abzugewinnen, der von den Mächten so nicht gemeint war; er ist der Meister der humoristischen Subversion.“112

      Mit Diogenes möchte Sloterdijk wieder anknüpfen an die „mächtigen Lachtraditionen des satirischen Wissens, die philosophisch im antiken Kynismus wurzeln“113, von denen sich, so seine These, die moderne Ideologiekritik verhängnisvoll losgelöst hatte. Im Lachen artikuliert sich der Widerstand gegen die Macht des Bestehenden wie die Macht des Begreifens – „ein Lachen, das dem ernsthaften Denken den Respekt aufkündigte“ und doch „im Kynismus des Diogenes von Sinope […] selbst philosophisch geworden ist.“114 Anknüpfen könnte Sloterdijk durchaus auch an den folgenden Passus der Dialektik der Aufklärung, der sich just am Ende des ersten Exkurses über Odysseus oder Mythos und Aufklärung findet. Er wirft jedoch zugleich ein bezeichnendes Licht auf Sloterdijks Ausführungen:

      „Ist Lachen bis heute das Zeichen der Gewalt, der Ausbruch blinder, verstockter Natur, so hat es doch das entgegengesetzte Element in sich, daß mit Lachen die blinde Natur ihrer selbst als solcher gerade innewerde und damit der zerstörenden Gewalt sich begebe. […] Lachen ist der Schuld der Subjektivität verschworen, aber in der Suspension des Rechts, die es anmeldet, deutet es auch über die Verstricktheit hinaus. Es verspricht den Weg in die Heimat“115

      aber bleibt doch nach Horkheimer und Adorno der Schuld verschworen, ist doch dem falschen Leben nicht enthoben, weshalb die Dialektik der Aufklärung traurige Wissenschaft blieb. Auch Sloterdijks Diogenes vermag sich nicht über diese Aporie und den von Horkheimer und Adorno diagnostizierten „Schuldzusammenhang“ zu erheben, mag er auch beides verlachen. Deshalb kann (und will?) Sloterdijk nicht klar und deutlich zwischen Zynismus und Kynismus unterscheiden.116 Auf welcher Seite man steht, ist nie klar; ja, jeder kynische Akt lebensbejahender Verneinung erweist sich – aufs Ganze gesehen – in seiner heiteren Enthaltsamkeit als zugleich zynische lebensverneinende Bejahung bestehender Macht. Aufs Ganze gesehen verpufft Diogenes’ Widerstand wie ein kurzweiliger Witz. Anders formuliert, auch für den Kyniker gilt: „Wer zuletzt lacht, lacht wie im Pleura-Schock.“117

       Abraham

      Betonung des Nichtidentischen, Singulären, Anderen, Heterogenen; Kritik an (idealistischer) Identitäts- und Bewusstseinsphilosophie u. v. m.: Emmanuel Lévinas teilt viele Intentionen mit den Autoren der Dialektik der Aufklärung, vor allem mit Adorno. Getrieben von dem „Entsetzen vor dem Anderen, das Anderes bleibt, ergriffen von einer unüberwindbaren Allergie“, fällt auch für Lévinas die abendländische Philosophie „mit der Enthüllung des Anderen zusammen; dabei verliert das Andere […] seine Andersheit“118 – zumindest vordergründig, in unseren Augen, so wäre zu ergänzen. Philosophie möchte das Andere auf den Begriff und in den Griff kriegen; sie wird übergriffig im Versuch, „alles Andere in das Selbe hinein aufzuheben und die Anderheit zu neutralisieren.“119 „Es ist vielleicht die eigentliche Definition der Philosophie, ein Tun zu sein, das sich schon im voraus eingeholt hat in dem Licht, das es leiten sollte.“120 Ihr Sinnbild ist bei Lévinas wieder die Irrfahrt des Odysseus – allerdings unter anderer Ausdeutung seiner Bewegungsmuster als bei Horkheimer und Adorno: „Der Weg der Philosophie bleibt der des Odysseus, dessen Abenteuer in der Welt nichts anderes als die Rückkehr zu seiner Geburtsinsel war – ein Sich-Gefallen im Selben, ein Verkennen des Anderen.“121 Dem so verstandenen Mythos von Odysseus möchte Lévinas „die Geschichte Abrahams entgegensetzen, der für immer sein Vaterland verläßt, um nach einem noch unbekannten Land aufzubrechen, und der seinem Knecht gebietet, selbst seinen Sohn nicht zu diesem Ausgangspunkt zurückzuführen.“122 Abraham ist für Lévinas der Heros einer „Bewegung ohne Wiederkehr“123, einer „Bewegung des Selben auf das Andere hin, die niemals zum Selben zurückkehrt.“124 Eine solche „Orientierung, die frei vom Selben zum Anderen geht, ist Werk.“125 Unter diesem und anderen Stichworten sucht Lévinas seinen Zugang zum Anderen, zu einer Philosophie uneinholbarer Alterität und Transzendenz. Und er sucht nach der paradoxen Möglichkeit einer „heteronomen Erfahrung“, bei der sich

      „das Selbe weder ekstatisch im Anderen verliert, sondern dem Gesang der Sirenen widersteht, noch sich auflöst in dem Brausen eines anonymen Ereignisses. Erfahrung, die noch Bewegung des Selben bleibt, Bewegung eines Ich; Erfahrung, die sich folglich dem Transzendenten in einer Bedeutung nähert, die sie ihm nicht verliehen hat“126

      Erfahrung, die aber doch die Erfahrung eines Subjekts, meine Erfahrung eines Anderen sein soll. Die ist ein Akzent, der in Lévinas’ Texten fast verloren geht unter dem Eindruck all der Metaphern der Passivität und Überwältigung durch das Andere!

      In Bezug auf Abraham und Odysseus zeigt sich auch bei Lévinas: „Typologische Schemata funktionieren immer nur um den Preis grober

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