Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie. Группа авторов

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Peterchens Mondfahrt - Peter Sloterdijk, die Religion und die Theologie - Группа авторов Fragen der Zeit

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entwinden, um „aus dem Schicksal eine menschliche Angelegenheit [zu machen]“179. „Wo Gott tot ist, bleiben die Menschen übrig, d. h. die Geschichte, die es zu verstehen und zu machen gilt.“180 Auf sich allein ge stellt, galt es, sie mit allen Mitteln zu machen.181 „Mordtaten ohne Zahl“182 waren die Folge der historisch-gesellschaftlichen Exekutionen der metaphysischen Revolte. Von ihr werden wir „fortan nur den moralischen Nihilismus und den Willen zur Macht zurückbehalten.“183 Wir haben uns unser Schicksal bereitet.184 Es erwuchs aus unseren Handlungen – und ist uns doch transzendent. Wir leben in einem Zustand aufgeklärter Unaufklärbarkeit, im Wissen transparenter Opakheit, in der Entzweiung von Sinn und Zweck, Wissen und Tun, Tun und Ergehen, von dem, was wir tun, und dem, was geschieht.

      „Das Reich der Gnade ist besiegt, aber dasjenige der Gerechtigkeit fällt auch zusammen. Europa stirbt an dieser Enttäuschung.“185 Und es glaubt „nicht mehr an das, was ist, an die Welt und den lebendigen Menschen; das Geheimnis Europas ist, daß es das Leben nicht mehr liebt.“186 Und „die Opfer sind in die schlimmste aller Mißgunst gefallen: sie langweilen.“187

      Wir sind des Lichts, aber auch der Illusionen beraubt. Wir sind im Exil, uns bleibt nur das Meer. Was bleibt? Kynische Entsagung? Zynisches Weiter-so? Dionysische Betäubung? Der Zornrausch des Achill? – „Das ist der äußerste Nihilismus: der blinde, wütende Mord wird eine Oase“188. Vielleicht gibt es fürwahr „nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord“189 – nicht nur als Achills wütender Wille zum Untergang, nicht nur als Sturz ins Schwert mit philosophischer Geste. Nein, mit philosophischer Geste stürzte sich Cato in sein Schwert, wir bleiben einfach an Bord190, machen weiter wie bisher und gestehen, dass wir mit dem Leben nicht fertig werden, und verstehen, dass wir es nicht verstehen.191 Wir weben das Segeltuch, wir haben vergebens gehofft und geharrt, wir rudern die Ruder, wir wälzen den Stein, wir weben, wir leben. Können wir uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen? Albert Camus steht ein für eine von überspannten Erwartungen befreite, höchst achtbare nüchterne Ethik; sein Held Sisyphos für eine Haltung, die ihre Größe dadurch gewinnt, dass sie sich nicht um die Hoffnung sorgt, sondern darum, „jede Ausflucht zu vermeiden.“192 Dionysische Betäubung, den Rausch des Achill durchschaute er als unlautere Verdrängungen, als Dasein ohne Folgerichtigkeit. Sisyphos „kennt das ganze Ausmaß seiner elenden conditio“193, er weiß um die „Sehnsucht nach Einheit“, das „Verlangen nach Absolutem“ als der „wesentliche[n] Triebkraft des menschlichen Daseins“194, die „unsagbare Marter […], bei der sein ganzes Sein sich abmüht, ohne etwas zu vollenden.“195 Doch er hält sich an das, was ist. Er hasst den Tod, verachtet die Götter196; sein leidenschaftlicher Lebenswille verbündet sich, der Ewigkeit beraubt, mit der Zeit und spricht: ich „will weder Sehnsucht noch Bitternis auf meine Rechnung setzen lassen, ich will nur klarsehen.“197 Wenn es einmal erlaubt ist, Camus’ Mensch in der Revolte und den Mythos von Sisyphos kommentarlos zusammenzuziehen: Sisyphos verweigert sich der „unmenschlichen Maßlosigkeit“198, weigert sich, „um Mensch zu sein, […] Gott zu sein.“199 Er entscheidet sich „für Ithaka, die treue Erde, das kühne und nüchterne Denken, die klare Tat, die Großzügigkeit des wissenden Menschen“200 – wohlwissend: „Leiden und Ungerechtigkeit werden bleiben und, wie begrenzt auch immer, nie aufhören, der Skandal zu sein.“201 Er ist sich bewusst: „Das Absurde klärt mich über diesen Punkt auf: es gibt kein Morgen. Das ist von nun an der Grund meiner tiefen Freiheit.“202 Nach Petersens Achill (im Gespräch mit Briseis) hätte er den Neid der Götter.

      „Die Klarsichtigkeit, die Ursache seiner Qual sein sollte, vollendet zugleich seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. […] Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. […] Der absurde Mensch sagt ja, und seine Anstrengung hört nicht mehr auf.“203

      72 Jahre danach fragt der Mensch beim Betrachten der „Reihe unzusammenhängender Handlungen, die sein Schicksal werden, als von ihm geschaffen, […] überzeugt vom ganz und gar menschlichen Ursprung alles Menschlichen,“204 ob wir uns Sisyphos noch als glücklichen Menschen vorstellen können. Auch Sisyphos kann der Verstrickung in die Schuldgeschichte der Menschheit nicht entgehen. Kann er dem Zynismus entgehen? Wo immer Menschen den Stein wälzen, wenn auch noch so redlich, werden mitunter andere überrollt.205 Im Angesicht unserer Mordtaten ohne Zahl, im Angesicht dieser Nacht, die kein Ende hat206, fragt sich, an wie viel Zynismus Sisyphos’ glückliches Bewusstsein krankt.

      „Der Gedanke, dass man sich Sisyphos nicht mehr als Opfer, sondern als glücklichen Menschen vorzustellen habe, hat nach den Erfahrungen mit Diktatur, Verachtung und Verbrechen seine suggestive Überredungskunst weitgehend eingebüßt. Revolte, die nur darin bestünde, dass einer mit sich selbst ins Reine kommt, weil er dem Unvermeidlichen plötzlich die Einwilligung und damit persönliche Erlösung abgewinnt, könnte sich – nach allem Geschehenen – dem Vorwurf des Fatalismus, ja der ‚Kollaboration‘ kaum noch entziehen.“207

      Durchaus in einem fundamentalen Sinn: Kollaboriert nicht auch Sisyphos längst mit dem Tod?

       Turnvater Peter

      „Wir sagen nicht mehr, die Welt ist alles, was von Gott so eingerichtet ist, wie es ist – nehmen wir es hin; wir sagen auch nicht, die Welt ist ein Kosmos, ein Ordnungsjuwel – fügen wir uns an der richtigen Stelle ein. Statt dessen meinen wir, die Welt ist alles, was der Fall ist. Nein, auch das ist noch zu scholastisch ausgedrückt, denn in Wahrheit leben wir, als wollten wir uns zu dem Satz bekennen: Die Welt ist alles, womit wir bis zum Zerbrechen experimentieren.“208

      Nietzsche hatte sie prophezeit, die „Menschen der Experimente“, die „härter sein [werden …], als humane Menschen wünschen mögen,“209 und schließlich erkennen: „Wir dürfen mit uns selber experimentiren! Ja die Menschheit darf es mit sich!“210 Im Experiment ist Heil, im Experiment ist Leben, im Experiment ist – keine Wahrheit. Gott ist tot, metaphysischen Hintergedanken die Legitimität entzogen: In einer solchen Welt ist ‚Wahrheit‘ kein sinnvoller Ausdruck mehr. An seine Stelle treten andere, ‚Viabilität‘ zum Beispiel. Durchs Experiment, über trial and error müssen gangbare Wege gesucht werden, die das Überleben sichern – ohne Rücksicht. „Die grössten Opfer sind der Erkenntniss noch nicht gebracht worden“211, schreibt Nietzsche. Seit dem 20. Jahrhundert sind wir auf dem Weg.

      „Schon die frühen Christen begannen, ihr ganzes Leben in ein Experiment umzuwandeln, um sich dem Gottmenschen anzugleichen: nos autem in experimentis volvimur schreibt Augustinus in seinen Bekenntnissen [conf. 4, 10] – nur Gott bleibt sich immer gleich, wir aber werden gewälzt von Versuch zu Versuch. Die Neuzeitmenschen fügten dem asketischen Experimentalismus der Alten den technischen und artistischen, schließlich den politischen hinzu. […] Essay und Experiment sind nicht bloß literarische und wissenschaftliche Verfahren, sie prägen den Daseinsstil der Moderne im ganzen – nach 1789 auch den der großen Politik und der nationalen und globalen Ökonomie. Experimentator ist, wer es auf jedes Ergebnis ankommen läßt, überzeugt, wie er ist, daß das Neue immer Recht hat.“212

      Millionen Menschen wurden in den Gesellschaftsexperimenten des 20. Jahrhunderts Opfer dieser Überzeugung. Wer dessen gewahr wird und sich die Nähe zwischen experimentum und exercitium in Peter Sloterdijks Du mußt dein Leben ändern vergegenwärtigt, der dürfte sich wundern, mit welchen affirmativen Obertönen Sloterdijk seinen jüngsten Helden präsentiert und aus der Not eine Tugend zu machen scheint. „Der Held der folgenden Geschichte, der homo immunologicus, […] ist der mit sich selbst ringende, der um seine Form besorgte Mensch – wir werden ihn als den ethischen Menschen näher charakterisieren oder besser:

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