Geist und Leben 1/2015. Группа авторов
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Wem im Heiligen Geist die Worte Jesu erschlossen werden, so dass er/sie in ihnen Christus als Brot des Lebens ergreift, der gewinnt Anteil am Leben Jesu und deshalb am ewigen Leben. Denn ewig ist dasjenige Leben, das sich nicht dem natürlichen Kreislauf von Fressen-und Gefressen-Werden einfügt, sondern diesen Kreislauf in der Hingabe des Lebens durchbricht (vgl. 12,25). Deshalb wächst aus der Hingabe des Lebens Jesu neues Leben (12,24) – und deshalb gibt der johanneische Christus den Seinen nur ein einziges Gebot, nämlich „dass ihr einander liebt. Wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr auch einander lieben.“ (13,34)
Umstellung von Kult auf Kommunikation
Die sich in Joh 6,63 ausdrückende Hochschätzung des Wortes gewinnt durch die Reformation welt-, kirchen- und mentalitätsgeschichtliche Resonanz. Gegenüber den weitverbreiteten Stillmessen ihrer Zeit stellen die Reformatoren „von Kult auf Kommunikation“ um.4 Nicht durch kultisches Handeln, sondern durch die Verkündigung des Wortes soll die Gegenwart mit der Geschichte Jesu Christi verbunden werden.
Im Licht von Joh 6 wird man im Blick auf diese Konzentration des gottesdienstlichen Lebens auf das Wort dreierlei betonen müssen. Erstens: Es geht den Reformatoren um das mündliche Wort der Verkündigung. Ohne ihre Auslegung bleibt die Schrift als geschriebenes Wort toter Buchstabe. Denn nur in der Predigt erfährt der Glaube die alten Worte als ihm gegenwärtig zugesprochen. Deshalb gilt für die Reformatoren: Wenn die biblischen Lesungen nicht ausgelegt werden, dann bleibt „Gottis wort geschwygen“ (WA 12,35). Es ist die gegenwärtige Verkündigung, die „den garstigen Graben der Geschichte“ überbrückt, indem sie die Hörer(innen) in das Wort Gottes verstrickt – oder anders ausgedrückt: indem sie die Vergangenheit Jesu und die Gegenwart der Hörer(innen) so zusammenspricht, dass sie in die Gegenwart Christi versetzt werden.
Zweitens: Die Verkündigung zielt auf die Christusbegegnung. In, mit und unter den Worten des/der Predigenden, der/die jene Worte, die Christus einst zu seinen Jüngern sprach, auslegt, soll der/die Hörer(in) die Worte Christi selbst hören. Deshalb bittet und vertraut die evangelische Predigt darum und darauf, dass Christus selbst sich zu ihr bekennt: „Du hast recht geleret, denn ich hab durch dich geredt, und das wort ist mein.“ (WA 51,517)
Drittens: Indem das Johannesevangelium am Ende der Brotrede festhält: „Das sagte Jesus in der Synagoge, als er in Kafarnaum lehrte“ (6,59), wird deutlich, wo die Verkündigung ihren Sitz im Leben hat: in der gottesdienstlichen Versammlung. Indem die Reformation den Glauben an die Predigt bindet, bindet sie ihn zugleich in den öffentlichen Leib der Gemeinde ein. In diesem Sinne ist die Rede von der Verinnerlichung der Frömmigkeit durch die Reformation nicht zutreffend. Die Gemeinde stützt und stärkt den Glauben. Der Glaube wird im Gottesdienst nicht nur unmittelbar durch die Verkündigung gestärkt, sondern auch mittelbar durch die auf das Wort hörende Gemeinde. Indem Menschen zum Gottesdienst kommen, bekunden sie einander wechselseitig, dass sie Gottes Wort suchen, weil sie von ihm her leben, und stärken damit wechselseitig ihren Glauben.
Reformatorische Spiritualität ist keineswegs die verinnerlichte Frömmigkeit eines isolierten Individuums. Zwar gibt es im Protestantismus auch Formen intimer Frömmigkeit, v.a. das private Studium der Schrift, aber evangelische Frömmigkeit sucht vor allem die Christusbegegnung in der Verkündigung und d.h. in der Gemeinde.
Wort und Abendmahl
Die Konzentration des liturgischen Lebens auf das Wort wirkt sich auch auf das Verständnis und die Feier des Abendmahls aus. Während Martin Luther ausgehend von den Spendeworten Jesu das Primat des Wortes gegenüber dem Sakrament herausstellt,5 verdeutlicht für Huldrych Zwingli insbesondere Joh 6,63 die Präferenz des Wortes gegenüber dem äußerlichen Ritus und seinen Elementen. Deshalb ordnet Zwingli in Zürich an, dass bei jeder Abendmahlsfeier als Evangelium Joh 6,47–63 gelesen werden soll.
Wenn man bedenkt, dass das Abendmahl in Joh 6 gar nicht im Blick ist, dann verliert eine abendmahlskritische Deutung von Joh 6,63 ihre Basis. Wohl aber lässt sich mit Zwingli im Anschluss an diesen Vers die Gleichwertigkeit von Abendmahls- und Predigtgottesdienst begründen. Weil „die menschlich sel von dem wort, das us dem mund gottes kumt, aller meist gespyst und läbendig wirt“ (CR 90,129), stellt der Predigtgottesdienst gegenüber dem Abendmahlsgottesdienst kein defizitäres Geschehen dar. Denn in jenem kann sich ereignen, was auch der Sinn von diesem ist, nämlich das geistliche Essen des Leibes Christi.
Während sich dieses geistliche Essen sowohl im Predigt- als auch im Abendmahlsgottesdienst ereignen kann, ist der Abendmahlsgottesdienst dadurch ausgezeichnet, das in ihm das geistliche Geschehen durch das sakramentale Essen bezeugt wird und so sämtliche Sinne des Menschen angesprochen werden. Deshalb hat Zwingli dem Gebot Jesu entsprechend an der Feier des Abendmahls nicht nur festgehalten, sondern mit der Einführung von vier Gemeindekommunionen im Jahr die Kommunionhäufigkeit sogar erhöht. Aber gerade weil im Abendmahl Sichtbares dargereicht wird, kann es den Menschen verführen, sein Vertrauen auf Kreatürliches zu setzen und so seinen Glauben zu verlieren. Deshalb wollte Zwingli bei jeder Abendmahlsfeier Joh 6 als Evangelium vorgetragen wissen. Die Lesung hat bei ihm die Funktion, die in anderen Liturgien das Sursum corda hat: Wir sollen unsere Herzen zum Himmel erheben und auf Christus ausrichten, der das Brot des Lebens ist, das vom Himmel kommt.
Grenzen und Aufbrüche evangelischer Spiritualität
Im Licht von Joh 6,63 lassen sich auch Grenzen und nötige Neuaufbrüche evangelischer Spiritualität erkennen. Die Konzentration der christlichen Spiritualität auf das Wort droht die sinnliche Wahrnehmung des Menschen auf den Hörsinn zu reduzieren. Im Vergleich mit anderen Konfessionen fällt auf, wie wenig es im evangelischen – im reformierten noch stärker als im lutherischen – Gottesdienst zu sehen, zu spüren und zu schmecken gibt. Der Protestantismus hat im 20. Jh. dieser Reduktion des liturgischen Lebens entgegenzuwirken versucht und dabei auch von anderen Konfessionen gelernt: Das Abendmahl wird wieder häufiger gefeiert, der Friedensgruß nicht nur verkündet, sondern auch ausgetauscht, auch Salbungsgottesdienste gehören heute zum liturgischen Repertoire evangelischer Kirchen. Im sechsten Gottesdienstkriterium des Evangelischen Gottesdienstbuches heißt es: „Die Hochschätzung der Predigt ist ein besonderes Merkmal der evangelischen Kirchen; sie darf jedoch nicht dazu führen, dass der Gottesdienst einseitig intellektuell bestimmt wird“, denn liturgisches „Handeln und Verhalten bezieht den ganzen Menschen ein“.6
Im Anschluss an Joh 6 hat der Protestantismus zudem eine Hierarchisierung der biblischen Schriften vorgenommen und sich in Theologie und Frömmigkeit vor allem am Johannesevangelium und den Briefen des Paulus orientiert. Luther zog das Johannesevangelium als „das eynige zartte recht hewbt Euangelion“ den Synoptikern vor, weil es „gar wenig werck von Christo, aber gar viel seyner predigt“ beschreibt. Ausdrücklich bezog er sich dabei auf den Vers Joh 6,63: „Denn die werck hulffen myr nichts, aber seyne wort die geben das leben, wie er selbs sagt.“ (WA.DB 6,10)
Als Folge dieser Ausblendung des Lebens Jesu hat man in evangelischer Theologie und Frömmigkeit