Geist und Leben 1/2015. Группа авторов
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Man wird diese Einsicht auch in der Auslegung von Joh 6 geltend machen müssen: Wir sollten, anders als protestantische Ausleger(innen) dies gewohnt sind, „das Fleisch des Menschensohnes und sein Blut“ (6,53) nicht vorschnell auf „die realen und gewaltsam voneinander getrennten ‚Elemente‘ des Leibes des getöteten Jesus“ beziehen,7 sondern im Sinne von Joh 1,14 auf das gesamte Leben Jesu. In der geistlichen Einverleibung des Leibes Christi geht es darum, dass Menschen Anteil bekommen an der Fülle des Lebens Jesu (seinem Fleisch) in seiner Lebendigkeit (seinem Blut8). Im Licht von Joh 6 wäre evangelische Frömmigkeit dann als ein Hineinwachsen in die lebendige Fülle des Lebens Jesu zu verstehen, das dadurch möglich wird, dass sich dieses Leben in Wort und Geist Menschen erschließt und diese für sich gewinnt.
Wollt ihr auch gehen?
In Joh 6,66 klingt eine Erfahrung an, die die reformatorischen Kirchen in Europa auch gegenwärtig machen: „Von da an wandten sich viele seiner Jünger von ihm ab, gingen weg und wandelten fortan nicht mehr mit ihm.“ Der Vers sollte nicht dazu weiterleiten, sich mit solchen Abwanderungsprozessen einfach abzufinden, sie sollten gründlich reflektiert werden. Das Johannesevangelium macht aber dem gegenwärtigen Protestantismus Mut, in aller notwendigen Veränderung nicht das aufzugeben, was evangelische Spiritualität ausmacht. Als Jesus seine Jünger fragt: „Wollt ihr auch gehen?“, antwortete Petrus stellvertretend: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,67f.) Menschen bleiben evangelisch um des Wortes Gottes willen.
* „Geist und Leben“, die namensgebende Sequenz unserer Zeitschrift, entnommen aus dem Johannesevangelium, löste 1947 den Titel „Zeitschrift für Aszese und Mystik“ ab. Zum Auftakt der neu gestalteten Zeitschrift, die diesen Namen beibehält, haben wir drei Theolog(inn)en unterschiedlicher Konfession gebeten, anhand von Joh 6,63 ihrem Verständnis von christlicher Spiritualität nachzugehen. [Anm. d. Red.]
1H. Thyen, Studien zum Corpus Iohanneum (WUNT 214). Tübingen 2007, 548.
2Ders., Das Johannesevangelium (HNT 6). Tübingen 2005, 367.
3Vgl. ebd., 377f. [s. Anm. 2].
4N. Luhmann, Funktion der Religion (stw 407). Frankfurt 1982, 111; vgl. C. Dinkel, Was nützt der Gottesdienst? Eine funktionale Theorie des evangelischen Gottesdienstes (PThK 2). Gütersloh 2000, 98; R. Kunz, Gottesdienst evangelisch reformiert. Liturgik und Liturgie in der Kirche Zwinglis (Theophil 10). Zürich 2001, 94f.
5Vgl. WA 6,363,6–9: Denn so wie „vil mehr ligt an dem testament den an dem sacrament, also ligt vil mehr an den worten den an den tzeychen, dan die tzeychen mügen wohl nit sein, das dennoch der mensch die wort habe, und also on sacrament, doch nit on testament selig werde“.
6Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands. Hrsg. von der Kirchenleitung der VELKD und im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei der EKU. Berlin u.a. 1999, 16.
7So etwa H. Thyen, Studien, 548 [s. Anm. 1].
8Vgl. Lev 17,11: „Denn das Leben des Fleisches ist das Blut“.
Kirche
K
Eva-Maria Faber | Chur
geb. 1964, Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie
Geist und Leben
Jesuanische Verheißung für eine anthropologische Suchbewegung
Als die Zeitschrift für Aszese und Mystik 1947 in „Geist und Leben“ umbenannt wurde, war eine Wende von einer vornehmlich wissenschaftlichen zu einer mehr existentiellen Ausrichtung der Zeitschrift und damit auch eine größere Nähe zu den „Gegebenheiten der Zeit“ intendiert.1 Jedoch ließ sich damals kaum erahnen, wie schillernd die beiden Begriffe im 21. Jh. wirken könnten. Wie viele diffuse, nicht mehr christlich identifizierbare Spiritualitäten sind auf der Suche nach „Geist“ und „Leben“! Würden Verantwortliche einer Zeitschrift auf der Suche nach einem neuen Titel deswegen heute vielleicht lieber eindeutig christlich profilierte Schlagworte wählen?
Die folgenden Ausführungen begrüßen die umfassenden und dadurch herausfordernden Bezüge des Titels „Geist und Leben“. Sie suchen in Joh 62 nach anthropologischen Konstellationen der Suche nach Geist und Leben ebenso wie nach der spezifisch jesuanischen Bedeutung dieser Leitworte. Der Blick auf Differenz und Konvergenz der beiden Perspektiven kann die Aufmerksamkeit dafür schärfen, wie christliche Spiritualität3 im zeitgenössischen Kontext ins Gespräch zu bringen und zu konturieren ist.
Die Dramatik des Strebens nach Geist und Leben
Lässt man das Szenario, welches das sechste Kapitel des Johannesevangeliums vorführt, auf sich wirken, so zeichnen sich zwei Bewegungen ab. Der Umbruch wird ab V. 41 deutlicher bemerkbar. In der einen Phase geschieht so etwas wie ein mystagogischer Prozess. Ausgehend von elementaren menschlichen Bedürfnissen entbirgt Jesus bei den ihm begegnenden Menschen dahinterliegende, tiefere Sehnsüchte. So sehr dieser Prozess in der johanneischen Darstellung nicht gerade harmonisch verläuft, so wenig verzichtbar ist er für das Verständnis der Verheißung von Geist und Leben.
Was sich in der ersten Phase schon in Form von Irritationen und Missverständnissen ankündigt, kristallisiert sich in der zweiten Phase als Notwendigkeit der Entscheidung heraus. Geist und Leben stellen sich nicht unversehens ein, sondern haben Konturen, sind gebunden an die Person Jesu und verlangen darum den Entscheid, in einen Lebenszusammenhang mit ihm zu treten. Wenn die Jünger, als deren Sprecher Petrus auftritt, als Entschiedene für eine solche Bindung an Jesus dastehen, so hebt sie dies doch nicht fundamental von den anderen Menschen ab. Gemeinsam ist jenes allgemein-menschliche Streben nach Geist und Leben, das freizulegen und (bekannterweise