Leidenschaft und Fußball. Thorsten Kapperer
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Das heißt, es gibt „unzählige Menschen, die Fußball nicht nur spielen, sondern ihn leben. Menschen, die mit ihrem Verein – ob aktiv als Spieler oder passiv als Zuschauer – wirklich leiden, wenn ein Spiel verloren wurde. Es geht hier nicht um ein ‚Schade, dass das Spiel verloren ging‘; es geht hier darum, dass der Fußball vielen Menschen tatsächlich an die Substanz geht und eine Niederlage oder ein schlechtes Spiel einige unruhige Nächte nach sich ziehen kann. An Sieg oder Niederlage machen nicht wenige Fußballer einen nicht geringen Teil ihres Lebensglücks fest. Konnte ein Spiel gewonnen werden, ist das Leben derzeit in vielen beruflichen wie privaten Zusammenhängen in Ordnung. Ging ein Spiel verloren, drückt das die gesamte Stimmung in einigen Lebensbereichen. Nicht zu vergessen ist auch die allwöchentliche Anspannung in Bezug auf den Verlauf und den Ausgang des nächsten Spiels, die teilweise sogar zur Angst werden kann.“10 Aber natürlich auch die unbändige Freude, wenn ein Spiel gewonnen wurde.
Aufgrund all dieser Emotionen ist Fußball in Deutschland auch ein umfassendes Gesprächsthema in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen: „Über das beim Spiel Erlebte wird an den Arbeitsplätzen und Schulen, in den Wirtshäusern und Familien berichtet und gestritten. So liefert es unendlich viel Erzählstoff, wirkt bedeutungsvoll in den Alltag der Menschen hinein, bleibt sinnstiftend haften im Bewußtsein der Fans, wird zum Inhalt einer die Generationen übergreifenden Erinnerung, ist dann nicht mehr nur ein Bestandteil individuellen Angedenkens, sondern setzt sich bedeutungsvoll im ‚kollektiven Gedächtnis‘ (z.B. der Vereine) fest (…) oder sogar im ‚kulturellen Gedächtnis‘ ganzer Nationen.“11
Kurzum: Gewiss soll der Fußball nicht verklärend überhöht werden. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass der Fußball in Deutschland eine omnipräsente Realität ist, die zahlreiche Menschen emotional und zeitlich stark beansprucht. Das Fußballfeld ist ein Ort, an dem sich Leben pur abspielt.12
2. Die Zielsetzung dieser Arbeit
Ein zentraler und viel zitierter Absatz des Zweiten Vatikanischen Konzils sind die Eröffnungsverse der Pastoralkonstitution Gaudium et spes: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (GS 1). Wie oben angedeutet ist das Fußballfeld ein Ort bzw. ein Realitätsmodell13, an dem sehr viel Freude, sehr viel Hoffnung, aber auch Trauer bis hin zu Angst spürbar werden. Daher ist es laut dem Zweiten Vatikanum schlicht geboten, sich als kirchliche Pastoral mit dem Fußball auseinanderzusetzen. Denn was so viele Menschen in Deutschland heute bewegt bzw. emotionalisiert, was die Realität so vieler Menschen nachhaltig beeinflusst, darf die Pastoral nicht außer Acht lassen. Sich kirchlicher- und theologischerseits dem Fußball zu nähern wird dadurch zu einer wesentlichen Aufgabe der Pastoraltheologie.
Die vorliegende Dissertation soll einen Beitrag zur ansatzweisen Erfüllung dieser Aufgabe leisten. Die entscheidende Perspektive, unter der dies geschieht, ist eine lernende. Das heißt: Das Fußballfeld soll als pastoraler Lernort qualifiziert und beschrieben werden. Es geht konkreter darum, das Lernpotential des Fußballs für die Pastoral herauszuarbeiten.
An dieser Stelle bedarf es bereits einer ersten Differenzierung. Denn der Fußball ist heute ein unglaublich vielschichtiges Phänomen geworden. Man kann dabei beispielsweise denken an …….
… den Straßenfußball oder an die FIFA-Weltmeisterschaft
… den Amateur- oder den Profifußball
… die Regeln des Fußballspiels an sich
… die Diskussion um die Torlinientechnik
… den Fußball als riesigen, ökonomischen Wirtschaftszweig und Arbeitgeber
… den ehrenamtlichen Präsidenten eines Vereins in den unteren Amateurligen
… hochbezahlte Spieler und Manager in den internationalen Topligen
… den Fußball als Quotengarant für TV- bzw. Radioanstalten und Auflagengarant für Printmedien
… den Fußball als Stoffgeber für Musicals, Lieder, Bücher, Zeitschriften etc.
… den Fußball als Betätigungsfeld von Wettbetrügern und als Ort der Korruption
… die Fankultur in all ihren Facetten
Wenn hier also von dem Fußball gelernt werden soll, muss die Perspektive definiert werden, mit der der Fußball konkret in den Blick genommen wird. Und diese Perspektive ist die Leidenschaft der Menschen beim Fußball. Sie wurde einleitend andeutungsweise beschrieben und stellt ein Querschnittsthema dar, das sich durch sämtliche Bereiche des Fußballs zieht. Das heißt, dass die Menschen mit ihrer Leidenschaft zum Fußball das Subjekt der Arbeit sind und nicht der Fußball an sich als Phänomen.
Daraus ergibt sich ein spezieller Arbeitsauftrag für diese Arbeit: Es soll die Leidenschaft beim Fußball als pastoraler Lernort qualifiziert und beschrieben werden. Und es geht näherhin darum, das Lernpotential der Leidenschaft des Fußballs für die Pastoral herauszuarbeiten.
Was genau kann die Pastoral von der Leidenschaft des Fußballs lernen?
Der Inhalt des von der Pastoral zu Lernenden ist im Wesentlichen als Impuls zur Verbesserung der Sprachfähigkeit der Pastoraltheologie zu verstehen. Eine zentrale Aufgabe kirchlicher Pastoral ist es, die Botschaft Jesu unter den Bedingungen heutigen Lebens mit den Menschen gemeinsam zu entdecken. Dazu ist eine Sprache nötig, die die Menschen von heute verstehen. Die Pastoral hat dabei bereits viele Wege und Möglichkeiten gefunden sich verständlich auszudrücken. Diese Arbeit versteht sich als Anknüpfung daran und will im Hinblick auf die Leidenschaft des Fußballs einen weiteren Beitrag zur Bereicherung pastoral-theologischer Sprachfähigkeit leisten.
Denn auch der Fußball hat seine eigene Sprache, um sich zu artikulieren. Es ist eine Sprache, die offensichtlich weltweit von unzähligen Menschen verstanden wird. Ein Blick darauf aus pastoraler Lern-Perspektive ist also sinnvoll.
Aus dieser Zielsetzung heraus erklärt sich auch der Titel dieser Dissertation: „Leidenschaft und Fußball. Ein pastoral-theologisches Lernfeld.“
3. Hermeneutische Paradigmen
Beim Prozess des Erreichens dieses Ziels sind einige hermeneutische Paradigmen zu beachten, die für die gesamte Arbeit Geltung besitzen und stets mitgedacht werden müssen.
3.1 Persönliche Motivation
Die Verbindung der beiden Bereiche Fußball und Kirche ist dem Autor dieser Arbeit ein wichtiges Anliegen. Denn in dessen Biografie