Danke Lena. Patrick Reichelt

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Danke Lena - Patrick Reichelt

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angegriffene Spur werde sich im Verlauf eines Rennens derart verschlechtern, dass Athleten mit höherer Startnummer chancenlos sind. Wolfgang Pichler, der knorrige Ruhpoldinger, der seit Sommer die Geschicke von Russlands Frauen lenkte, hatte derweil eine ganz andere Befürchtung. Was wäre, wenn der Nachmittagsschatten unter dem Zirmberg die Temperaturen vielleicht doch wieder in den Bereich des Gefrierpunkts absinken lässt? Wären auf einer vereisenden Strecke nicht Läufer mit höherer Startnummer im Vorteil? »Du kannst hier die richtige Karte ziehen oder du bist der Depp«, befand er ziemlich lapidar.

      Beim Sprint der Frauen schlossen sich die großen Verbände dann doch der französischen Ahnung an. Die Favoritinnen ließen sich allesamt im Vorderfeld eingruppieren. Am spätesten noch Magdalena Neuner, deren Nummer 29 sich allerdings als echter Vorteil erwies: Sie hatte auf der Schleife, die die Veranstalter sogar mit Brezensalz gepflegt hatten, im Blick, wie es ihren Konkurrentinnen erging. Und so wusste sie auch vom kleinen Missgeschick von Darja Domratschewa, ihrer großen Widersacherin dieser Weltcup-Saison. Die Weißrussin hatte sich am Schießstand zwar keinen Fehler erlaubt, aber sie hatte Probleme mit ihrer Waffe, die sie wertvolle Sekunden gekostet hatten. Der Schützling des deutschen Trainerfuchses Klaus Siebert war über die Saison hinweg die einzige Läuferin gewesen, die Neuner auch in der Spur in schwere Bedrängnis bringen konnte. Nach ihrem Patzer war klar: Mit zwei Mal »Null« wäre der Weg zum Weltmeistertitel frei. Und Magdalena Neuner tat, was von ihr gefordert war. Ohne Fehler brachte sie die beiden Schießeinlagen hinter sich und bescherte den 28.000 Biathlon-Fans in der restlos vollgepackten Arena ihren ersten Glücksrausch. Der Jubel, als die 25-Jährige dann auch tatsächlich mit gut 15 Sekunden Vorsprung auf Domratschewa und sogar 37 Sekunden auf die ukrainische Überraschungs-Dritte Vita Semerenko über die Ziellinie rauschte, dürfte noch im nahe gelegenen Salzburg zu hören gewesen sein. Und selbst Wolfgang Pichler, der im Vorfeld noch gestichelt hatte (»Hier werden Medaillen ganz schwer hergehen«) verbeugte sich tief vor der nun alleinigen Rekordweltmeisterin. »So a varreckts Luder«, entfuhr es dem 57-Jährigen mit breitem Grinsen. Ein höheres Lob ist aus bayerischem Mund kaum zu bekommen. Natürlich war auch der zum Champions Park umfunktionierte Kurpark im Herzen der 6800-Seelen-Gemeinde voll gepackt, als sich Neuner wenige Stunden später ihre elfte Goldmedaille um den Hals hängen lassen durfte. Rund 5000 Menschen verwandelten den sonst so beschaulichen Platz in ein beeindruckendes schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer.

      Und natürlich witterte die verzückte Fangemeinde die Chance auf mehr. Denn der Sprintsieg bescherte Magdalena Neuner ja auch eine glänzende Ausgangsposition für die bereits Tags darauf wartende Verfolgung. Wie es gehen könnte, machte dem deutschen Liebling der Massen schon einmal der Franzose Martin Fourcade vor, der als erster Sprint-Weltmeister überhaupt auch das folgende Jagdrennen für sich entscheiden konnte. Der Ausnahmeläufer leistete sich sogar satte vier Schießfehler. 600 Extra-Meter in der Strafrunde hatte er sich damit also eingehandelt, doch am Ende reichte die Kraft immer noch, um den schwedischen Routinier Carl-Johan Bergman locker nieder zu spurten.

      Die große Rivalin schlägt zurück

      Bei den Frauen deutete ziemlich lange alles auf eine noch größere Demonstration der Stärke hin. Denn auch Magdalena Neuner behielt in der Verfolgung lange das Heft fest in der Hand. Ein Fehler beim zweiten Schießen war zu verschmerzen, weil auch Domratschewa patzte. Und als die Weißrussin beim dritten Besuch am Schießstand wieder eine Scheibe stehen ließ, da war der Goldhauch in der Arena schon wieder spürbar. Doch diesmal blieb das ganz große Happy-End aus. Eine Strafrunde wäre für Neuner beim letzten Schießen wohl zu verkraften gewesen. Doch gleich das erste Projektil verfehlte das Ziel derart deutlich, dass der Trainerstab um Frauen-Bundestrainer Gerald Hönig schon ein ähnliches technisches Missgeschick wie zum WMAuftakt bei Ole Einar Björndalen witterte. Aber die Wallgauerin hatte beim Anlegen wohl schlicht zu viel Druck auf den Abzugshebel gebracht und den Schuss zu früh ausgelöst. Noch eine zweite Scheibe blieb schwarz. Und diesmal war es Domratschewa, die die Gunst der Stunde nutzte. Die Weißrussin behielt die Nerven und als Neuner mit 13 Sekunden Rückstand aus der Strafrunde zurück auf die Strecke lief, da ahnte sie schon, dass dieser Tag kein goldenes Ende nehmen würde. »Dafür ist Dascha eine zu gute Läuferin«, sagte sie. Auf der Schlussrunde nahm die 25-Jährige deshalb schon lieber Fahrt heraus, um Kräfte zu sparen für die noch strapaziösere zweite WM-Hälfte. Das ganz große Gefühlskino durften diesmal jedoch andere genießen. Domratschewas Coach Klaus Siebert war 1979 in den Farben der DDR selbst der erste Weltmeister von Ruhpolding. Was er als Aktiver geschafft hatte, das blieb ihm als Coach über zwölf Weltmeisterschaften hinweg versagt. Ob als Privattrainer von Ricco Groß oder als Chefcoach in Österreich, China und nun eben Weißrussland – einen Weltmeister produzierte der Sachse, der erst Monate zuvor von einem Krebsleiden geheilt worden war, nie. Bis zu diesem Moment, in dem Darja Domratschewa ausgerechnet an der Stätte seines eigenen sportlichen Märchens triumphierte. »Das ist schon ein Traum«, schwärmte Siebert mit feuchten Augen.

      Und Magdalena Neuner? Die Frau, die sogar von den internationalen Fangemeinden gefeiert wurde, haderte im Ziel zwar ein wenig mit dem letzten Stehendschießen: »Die zwei Fehler ärgern mich schon ein bisschen.« Doch den Frieden hatte sie mit Silber schnell geschlossen. »Ich habe jetzt einen kompletten Medaillensatz gewonnen, das ist doch super«, sagte sie. Sprach`s und genoss ein bisschen Auszeit von der Weltmeisterschaft. Zur Halbzeit hatte der Deutsche Skiverband einen Familienabend angesetzt, einer Party, bei der die Athleten im Kreis ihrer Lieben für ein paar Stunden Abstand vom strapaziösen WM-Alltag nehmen sollten. Männer-Bundestrainer Fritz Fischer wurde dabei an so ziemlich allen Instrumenten auffällig, derer er habhaft werden konnte. Neuner versuchte sich dagegen spektakulär gemeinsam mit Freundin und Zimmerkollegin Miriam Gössner als Sängerin. Was eine schöne Einstimmung war, auf die Dinge, die bei dieser WM noch kommen würden. Allen voran auf den Wettbewerb, der ihr in den sechs Jahren im Weltcup am meisten zu schaffen gemacht hatte: den Einzelwettbewerb.

      So viel hatte Magdalena Neuner schon gewonnen, doch zu einer Medaille bei einem Großereignis hatte es auf diesen verflixten 15 Kilometern noch nie gereicht. Auch im Weltcup fällt ihre Bilanz in dieser Disziplin, die Schießfehler mit einer Strafminute so heftig ahndet, vergleichsweise bescheiden aus. Nur ein einziges Mal, in Antholz 2010 bei der Generalprobe für die Olympischen Spiele in Vancouver grüßte das schönste Lächeln des Weltcups nach einem Einzelwettbewerb von der höchsten Stufe des Siegertreppchens. Und nun sollte gerade hier also zumindest eine Medaille herausspringen. Was Mut machte: Auch auf der langen Strecke hatte Neuner, die 2009 sogar schon einmal die kleine Kristallkugel in dieser so aufreibenden Disziplin für sich entschieden hatte, in dieser Abschiedssaison ihre Qualität bewiesen. Bei beiden Auflagen, in Östersund und Nove Mesto, brachte sie es immerhin auf Platz drei. »Ich weiß, dass ich es kann«, war sich Neuner sicher.

      Der große Traum platzt am Schießstand

      Alles gerichtet also eigentlich für einen weiteren WM-Feiertag. Die Sonne strahlte über der Chiemgau Arena, die ein weiteres Mal mit 26.000 Zuschauern fast aus den Nähten platzte. Auch die Strecke präsentierte sich so gut wie nie bis dahin in den tollen Tagen von Ruhpolding. Doch es deutete sich ernüchternd früh an, dass Neuners großes Medaillenmärchen an diesem Nachmittag nicht fortgeschrieben werden würde. Gleich beim ersten Schießen ließ die Wallgauerin zwei Scheiben stehen. Und fügte sich damit ziemlich nahtlos ins Bild des deutschen Teams ein. Auch Andrea Henkel und Tina Bachmann patzten bei dieser ersten Liegendeinlage zweimal, nur Miriam Gössner kam zunächst mit einem Fehler davon. Da war es auch ein schwacher Trost, dass es Darja Domratschewa noch schlechter ergangen war – der Weißrussin blieb nach vier Fehlern nicht einmal mehr ein Hoffnungsschimmer. Was war geschehen? Die Windverhältnisse am Schießstand hatten sich nach dem Anschießen vor dem Start entscheidend verändert. Natürlich haben die Betreuer die Athletinnen auf der Strecke auf die drehenden Luftbewegungen hingewiesen. Passierte es im falschen Stil, wie Magdalena Neuner später anmerkte? »Die Trainer haben eine gewisse Nervosität verbreitet«, erklärte sie, »so etwas überträgt sich natürlich auch einmal auf die Athleten.« Wie auch immer – in jedem Fall zogen Neuner

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