Jeder Frau ihre Stimme. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Jeder Frau ihre Stimme - Группа авторов страница 10

Jeder Frau ihre Stimme - Группа авторов

Скачать книгу

junge Bewegung zielte dabei auf Grundsätzlicheres. In ihrer Kritik am Patriarchat und an der Politisierung des Privaten ging es um Sexualität, das Sündige und Tabuisierte, aber auch um die unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit als unsichtbare Grundlage des kapitalistischen Ausbeutungssystems. Sie richtete sich gleichermassen gegen die Männerpolitik, die Kirche, die Ärzte, die Unternehmer, den Staat, das Recht. Ein Konnex zu den «Menschenrechten» fehlte. Dennoch rückte der Gegenkongress Themen vom Rande ins Zentrum, die sehr wohl einen zentralen Bezug zu den «Menschenrechten» hatten, von der organisierten Frauenbewegung allerdings kaum je beachtet wurden: Aktivistinnen diskutierten über Frauen im Gefängnis, Lesben traten erstmals an einem gesamtschweizerischen Anlass auf, Migrantinnen stellten ihre spezifischen Forderungen.81 Die Teilnehmerinnen waren frei, welche Themen sie wie zum Ausdruck brachten: ob über Diskussionen, freie Theaterinszenierungen, die Vorführung von «Histoires d’A» (A-vortement), einem Film, der einen von Feministinnen selbst ausgeführten Schwangerschaftsabbruch zeigte,82 oder Installationen wie das von Lesben angelegte Labyrinth zu Frauenbeziehungen. Es endete vor einem Spiegel, in dem die Frau sich mit sich selbst konfrontiert sah.

      Unangemeldet und ausser Programm intervenierten Teilnehmerinnen des Gegenkongresses auch am offiziellen Kongress. Am letzten Kongresstag skandierten zwischen fünfzig und hundert Frauen von Gäbelbach kommend Parolen, hielten Transparente hoch, setzten sich an den Vorstandstisch und brachten höchst medienwirksam das nicht traktandierte Thema «freie Abtreibung» zur Sprache. Das Mikrofon mussten sie sich nicht erkämpfen, die Kongressorganisatorin Lili Nabholz-Haidegger und die verantwortliche Tagesleitung unter Liliane Uchtenhagen überliessen ihnen das Wort. Die sozialdemokratische Nationalrätin brachte in der Folge zwar nicht die «freie Abtreibung» zur Diskussion, wohl aber den von einer tribune libre bereits am ersten Tag eingebrachten Resolutionsvorschlag (Resolution 6) zur Fristenlösung mit dem sibyllinischen Titel «Schutz der Schwangerschaft»: Gegen die «Flut von Abtreibungen» müssten die Anstrengungen zur Verhütung und soziale Hilfeleistungen für eine «verantwortungsbewusste Mutterschaft» verstärkt werden. Dabei erinnerte der Kongress daran, «dass die Mehrheit der schweizerischen Frauenverbände sich für die Fristenlösung mit freier Arztwahl, obligatorischer Beratung sowie Bedenkfrist für die Frau ausgesprochen» habe.83 Ein Meilenstein. Konsterniert über den Entscheid zeigten sich allerdings die Kongresspräsidentin Elisabeth Blunschy-Steiner, der SKF und die CVP-Politikerinnen, ohne dass sie am Entschluss etwas hätten ändern können. Trennlinien und Gemeinsamkeiten waren nicht mehr so klar zu orten. Eines aber wurde deutlich: Wegen der provokativen Auftritte der jüngeren Feministinnen in Gäbelbach wie im Kursaal erreichten sowohl der Kongress wie der Gegenkongress ein überaus grosses Medienecho. Fazit im offiziellen Schlussbericht: «Der Antikongress hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht nur auf die Anliegen der Frauenbefreiungsbewegung gelenkt, sondern auch auf den Kongress. Dieser wurde plötzlich zu einem Ereignis, das in aller Munde war.»84 Die an beiden Orten über informelle wie institutionalisierte Mittel aufgegleisten Themen blieben über den Januar 1975 von öffentlichem Interesse und führten weiterhin sowohl zu Abgrenzungen wie zur Zusammenarbeit.

      Paradoxien im Kampf um die Initiativen zu Abtreibung, Mutterschaft und Gleichstellung

      Deutlich bezeugte die 1977 neu gegründet OFRA diese Integration in die institutionalisierte Art des Politisierens mit ihrer bereits am Gründungskongress deklarierten Absicht zur Lancierung einer Mutterschaftsinitiative.85 Damit band sich die neue Organisation in die Tradition der Arbeiterinnenbewegung ein, für die Lohnfortzahlung während des gesetzlich verordneten Mutterschaftsurlaubs und Kündigungsschutz während der Schwangerschaft seit Ende des 19. Jahrhunderts unabdingbar zu einem echten Mutterschutz zählten. Wenig Interesse zeigte sie anfänglich an der Kritik der Lesben an der Heteronormativität, deren Einfluss in der neuen Frauenbewegung einige ihrer Exponentinnen unterschwellig ablehnten.86 Diese Haltung war neben der Organisationsstruktur mit ein Grund für Spannungen mit der FBB. Statt auf autonom agierende Arbeitsgruppen und lose Koordination setzten sie auf lokale Sektionen, Delegiertenversammlung, Vorstand und Sekretariat.

      Nachdem die Sozialdemokratinnen und Frauen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) protestiert hatten, dass die OFRA sich aus Profilierungsgründen ihrer Anliegen bemächtigt habe, wurden breite Kreise in die Vorbereitung der Initiative miteinbezogen. Die Beteiligung von FBB und MLF an der Ausarbeitung signalisierte eine grundsätzliche Wende, die zu internen Diskussionen führte, da es sich mit dem starken Einfluss der Gewerkschaften nicht mehr um ein autonomes Frauenprojekt handelte. Kernstück waren neben dem Kündigungsschutz ein bezahlter Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen und ein dem Vater oder der Mutter wahlweise zustehender bezahlter Elternurlaub von neun Monaten.87 Während Frauen aus dem linken Parteienspektrum und der Gewerkschaften sowie aus FBB und MLS dem Initiativkomitee beitraten, konnte sich weder die Frauengruppe des SKV unter Alice Moneda noch der BSF – obwohl er seit seinem Bestehen ein klarer Befürworter der Mutterschaftsversicherung war – zur Unterstützung der Initiative durchringen, ebenso wenig der SKF, obwohl er sich als Gegenstrategie zur Fristenlösung der Verteidigung der Mutterschaft verschrieben hatte. Die Ablehnung galt insbesondere dem neunmonatigen Elternurlaub, dem Kernstück der feministischen Anforderungen an die Initiative. Nur die dem EFB zugeordnete Evangelische Frauenhilfe legte, von Initiantinnen und Frauenverbänden kaum beachtet, ihrer Zeitschrift Unterschriftenbogen bei.88 Auch das Interesse der autonomen Feministinnen hielt sich wegen des Gewichts von OFRA und Gewerkschaften in Grenzen. Doch der Elternurlaub bedeutete implizit ansatzweise die Bezahlung der Hausarbeit als feministisches Anliegen. So beteiligten sich die FBB wie die Radikalfeministinnen an der Lancierung im Herbst 1978.89 Die Volksinitiative «Für einen wirksamen Schutz der Mutterschaft», zu dessen Komiteemitgliedern unter anderem Ruth Dreifuss als Vertreterin des SGB, die neu SP-nahen Feministinnen Christiane Brunner und Gret Haller sowie die Radikalfeministin Ursula Streckeisen gehörten, wurde Anfang der 1980er-Jahre mit einem Anteil von rund 85 Prozent Nein-Stimmen brutal verworfen. Es sollte über zwanzig Jahre dauern, bis die heute gültige, höchst bescheidene Vorlage gesetzlich verankert wurde.

      Nur geringe Unterstützung der Frauenverbände erhielt auch die Gleichstellungsinitiative, obwohl sie 1975 vom Kongress im Berner Kursaal lanciert worden war. Die Ausformulierung der Initiative zur «Gleichbehandlung von Mann und Frau in Gesellschaft, Familie, Arbeitswelt, Erziehung und beruflicher Ausbildung» war vorwiegend ein Werk von Jacqueline Beren stein-Wavre und ihrem Ehemann Alexandre Berenstein, Bundesrichter und Generalsekretär der Internationalen Gesellschaft für das Recht der Arbeit und der Sozialen Sicherheit. Beim Gleichstellungsartikel ging es Berenstein-Wavre um die Menschenrechte, wie sie von der UNO definiert waren: «L’homme et la femme sont égaux en droit et en dignité.»90 Trotz der Beteiligung ihres Ehemanns bei der Ausarbeitung war es die erste nur von Frauen lancierte Verfassungsinitiative der Schweizer Geschichte überhaupt. Sechs der fünfzehn Mitglieder des Initiativkomitees waren bereits Mitglied der ARGE gewesen, darunter Alice Moneda vom SKV, Lydia Lenz-Burger und Jacqueline Berenstein-Wavre, Letztere allerdings nur als Einzelperson und nicht als Vertreterin des BSF, den sie präsidierte. Dieser tat sich schwer mit der Initiative und beteiligte sich nicht an der Unterschriftensammlung, da in der Delegiertenversammlung die dafür notwendige Zweidrittelsmehrheit nicht erreicht wurde. Selbst die Delegierten des SVF, wie sich der vormalige Frauenstimmrechtsverein nun nannte, verweigerten die aktive Unterstützung. Vor allem die Westschweizer Sektionen vertraten die Meinung, die Bevölkerung goutiere die «Flut von Initiativen» nicht. Es sei besser, die Gleichstellung auf der Gesetzes- statt auf der Verfassungsebene zu verfolgen, eine Haltung, welche die ehemalige Verbandspräsidentin Lotti Ruckstuhl-Thalmessinger scharf kritisierte. Ebenso kritisierte sie als langjähriges engagiertes Mitglied den SKF, der wie auch der EFB und der SGF es ablehnte, sich am Sammeln von Unterschriften zu beteiligen.91 Bemerkenswert war die Unterstützung der Initiative durch die Zürcher Frauenzentrale. Dem Argument, die Männer könnten ob der Initiative «vertäubt» sein, entgegnete die Präsidentin Hulda Autenrieth-Gander, Mitorganisatorin des Frauenkongresses von 1975, ganz undiplomatisch: «Jede Freiheitsbewegung – und die Frauenbewegung gehört mit dazu – ist unbequem, muss unbequem sein. Sie stellt Fragen und Forderungen, verlangt Überdenken des Gewohnten und Verzicht auf Privilegien.»92

Скачать книгу