Jeder Frau ihre Stimme. Группа авторов

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anderer Frauenverbände und dem geringen Interesse vieler Männer an einer obligatorischen Dienstpflicht der Frauen.47

      Entgegen diesem Trend zur Verknüpfung von Pflichten und Rechten, der bereits den frühsoziologischen Diskurs französischer Feministinnen im 19. Jahrhunderts geprägt hatte,48 betonten zwar nicht die Verbände, wohl aber einzelne Frauenrechtlerinnen ebenso vor als auch nach 1971 die Bedeutung der Menschenrechte. Dazu gehörten die 1934 geborene spätere erste Bundesrichterin Margrith Bigler-Eggenberger und die um mehr als eine Generation ältere Juristin Lotti Ruckstuhl-Thalmessinger (1901–1988); Sozialdemokratin die eine, Mitglied des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds (SKF) die andere. So hielt Ruckstuhl-Thalmessinger in einer von der International Alliance of Women herausgegebenen Schrift 1968 zwar fest, dass die Umsetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte noch zu wünschen übrig lasse, aber dessen ungeachtet bleibe sie «für die Frauen eine Verkündigung von einem nie erreichten Wert. Dadurch wird ihnen eine unanfechtbare Grundlage geboten, um ihre Befreiung zu erwirken.»49 Ruckstuhl-Thalmessingers Befreiungsdiskurs verweist auf eine Schnittstelle zwischen ihren Erwartungen und jenen der neuen Generation von Feministinnen.

      Befreiung, Autonomie und Frauenbeziehungen

      In den 1970er-Jahren drehte sich der transnationale Diskurs der sich neu entfaltenden Frauenbewegung massgeblich um «Befreiung». Er bestimmte in Analogie zu US-amerikanischen und westeuropäischen Vorbildern auch die Namensgebung der sich formierenden Gruppen in der Schweiz: Frauenbefreiungsbewegung (FBB) und Mouvement de libération des femmes (MLF). Diese Befreiung definierte sich nicht über die gesetzliche Umsetzung der Menschenrechte, sondern über uneingeschränkte Selbstbestimmung, symbolhaft verdichtet in der Verfügung über den eigenen Körper im Kontext der Reproduktion, das heisst auch von Verhütung und Abtreibung. In ihren Anfängen setzte die Frauenbefreiungsbewegung den Begriff «Befreiung» noch gleich mit dem Kampf der ehemaligen Kolonialstaaten gegen imperiale Verfügungsmacht. Das wandelte sich in den 1970er-Jahren. Die neue Frauenbewegung verstand nun unter Befreiung zunehmend «Autonomie». Damit setzte sie einen Kontrapunkt zur «Integration», welche die älteren Frauenverbände verfolgten, die sich einbringen wollten, indem sie beispielsweise in gesetzgebenden Kommissionen mitarbeiteten. Autonomie hiess für die neue Frauenbewegung, sich abzugrenzen, von geschlechtergemischten Organisationen und Gruppierungen generell, auch von der Neuen Linken mit ihrer Fixierung auf Produktionsverhältnisse im Besonderen.50 Mit linken Männern liierte Frauen tauschten sich in den von den USA inspirierten Selbsterfahrungsgruppen über die gesellschaftliche Dimension ihrer alltäglichen Zurücksetzung im Privaten aus. Sie verweigerten unter dem Slogan «Das Private ist politisch» die Subsumierung feministischer Zielsetzungen unter vorgegebene Leitlinien. Vielmehr verknüpfte die neue transnationale feministische Bewegung Kapitalismus- und Patriarchatskritik, die sich der Deutungshoheit von Männern jedwelcher politischer Couleur und Machtposition entzog. Sie übernahm zwar kämpferische Begriffe der militanten Arbeiterbewegung und das Symbol der erhobenen Faust. In Verbindung jedoch mit dem Frauenzeichen markierte es den eigenständigen Kampf gegen die Unterdrückung – ein Symbol von transnationaler Kraft, das bis heute Frauen auf verschiedenen Kontinenten zu mobilisieren vermag. Während zu Beginn der 1970er-Jahre auf Flyern und Transparenten die geballte Faust das Frauenzeichen als Fessel sprengte, so wandelte sich das Symbol in der Folge gewonnener Autonomie zu einem positiven Zeichen selbstbewussten Frauseins, das sich patriarchaler Definitionsmacht entzog.51

      Die Verbindung von Autonomie und Patriarchatskritik führte zu ganz spezifischen Aktionsformen. Die Frauen bildeten Arbeitsgruppen, die gänzliche Planungs- und Handlungsfreiheit hatten. Eine zentrale Entscheidungsinstanz gab es nicht. Der hierarchiefreie Austausch zwischen Frauen stand im Vordergrund. Doch um sich autonom auszutauschen und unabhängig zu handeln, brauchte es Räume. So erkämpfte sich die neue Bewegung zuerst in Zürich, dann in weiteren Städten meist von den lokalen Behörden und mit unterschiedlichem Einsatz – von Verhandlungen wie in Zürich bis zu Hausbesetzungen wie in Genf52 – zu «Frauenzentren» deklarierte Liegenschaften. In diesen Treffpunkten tauschten sich Frauen in Selbsterfahrungsgruppen aus, disputierten über Politik, gestalteten Projekte, planten Aktionen und eröffneten Beratungsstellen.

      Äusserst initiativ zeigten sich bei dieser Suche nach autonomen Räumlichkeiten in den grösseren Städten neu entstandene Lesbengruppen: die Gruppe Sappho s’en fout in Genf und die Homosexuelle Frauengruppe (HFG) in Zürich. Sie grenzten sich von der Bewegung der Homosexuellen ab, da nach ihrer Erfahrung auch dort vorwiegend Männer das Sagen hätten. Erstmals traten Lesben nach aussen als selbstbewusst agierende Gruppe auf, sparten jedoch auch nach innen nicht mit Kritik an den bewegten Frauen. Sie hätten es satt, sagten beispielsweise Genferinnen, in Selbsterfahrungsgruppen immer das Jammern über die privaten Konflikte mit den eigenen Männern – «nos mecs» – zu hören oder nur über den straflosen Schwangerschaftsabbruch zu debattieren: «Ce n’est pas l’homosexualité qui nous réprime. C’est vous.»53 Längerfristig avancierten die Lesben in den Städten zum militantesten Kern der neuen Frauenbewegung. Sie waren entscheidend an der Entwicklung von autonomen sowohl hierarchie- als auch männerfreien Lebens- und Arbeitskulturen beteiligt. Sie sahen Lesbischsein bis in die späten 1980er-Jahre auch als politisches Programm und Frauenbeziehungen als befreiende Praxis. Bereits 1974 erkämpften sich Lesben in Zürich ein eigenes «Lesbenzimmer» im eben erst eröffneten Frauenzentrum an der Lavaterstrasse 4, wo zwei Arbeitsgruppen ab 1975 fast zeitgleich zwei neue Zeitschriften planten und gestalteten: die Lesbenfront (später Frau ohne Herz) mit scharfer Kritik an der gesamtgesellschaftlich dominierenden «Heterosexualität» zum einen, die Fraue-Zitig (später FRAZ) als Sprachrohr der verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen zum andern, die beide weit über Zürich hinaus Verbreitung fanden.54 Von zwei abgegrenzten Strömungen zu sprechen, wäre allerdings verfehlt, vielmehr zeigten sich auch innerhalb der neuen Frauenbewegung Pluralitäten mit unterschiedlicher Akzentsetzung, selbst bei Themen mit gleicher Zielrichtung wie der Forderung nach «freier Abtreibung»: von der sexuellen Ausbeutung und Not ärmerer Frauen über die Selbstbestimmung und Verfügung über den eigenen Körper bis zur grundsätzlichen Ablehnung männlich definierter Praktiken der Sexualität.

      Thema Abtreibung – auf der Strasse und im Parlament

      Mit den Parolen «Mein Bauch gehört mir» und «Kinder oder keine, entscheiden wir alleine» forderte die neue Frauenbewegung ultimativ, dass Abtreibung nicht mehr unter Strafe gestellt werde. Sie beanspruchte mit diesen Parolen auch die Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Kontroll- und Machtansprüchen, die von Männern repräsentiert und ausgeübt werden: von Richtern, Theologen oder Ärzten. Doch die Forderung nach «freier Abtreibung» war im Gegensatz zu anderen Ländern in der Schweiz nicht von der neuen Frauenbewegung lanciert worden. Die Initiative «für Straflosigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung» wurde im Dezember 1971 von einem fünfköpfigen Komitee von drei Männern und zwei Frauen – dank des Frauenstimmrechts war dies nun Frauen erstmals möglich – eingereicht. Drei Jahrzehnte sollte die dadurch ausgelöste Auseinandersetzung dauern.55 Es ging um die Streichung der Paragrafen 118 bis 121 des schweizerischen Strafrechts. Bei der Sammlung der Unterschriften engagierten sich neben Frauen und Männern unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Zugehörigkeit auch die zur Neuen Linken zählenden Progressiven Frauen Basel und Aktivistinnen der neuen Frauenbewegung, insbesondere aus den Reihen der FBB Zürich. Trotz ihrer Absetzung von institutionalisierten Wegen des Politisierens verstanden sie diese Initiative als Ausdruck der transnationalen Mobilisierung für «freie Abtreibung» und Selbstbestimmung. Dabei gingen sie in ihrer Argumentation und ihrem Forderungskatalog weit über den Rahmen der Initiative hinaus und verlangten die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse.

      Die Initiative beschäftigte in starkem Masse auch die in Verbänden organisierte bürgerliche Frauenbewegung. So setzte sich die Kommission für Soziales des BSF mit dem Thema auseinander und berief kurz darauf eine Ad-hoc-Kommission mit mehrheitlich jüngeren Frauen ein, um die verschiedenen Möglichkeiten eines straffreichen Abbruchs zu erörtern.56 Ähnlich verfuhren andere Frauenverbände, um

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