Jeder Frau ihre Stimme. Группа авторов

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die Arbeitsgruppe Gewalt des Frauenzentrums Zürich nach ihrer Teilnahme am Internationalen Frauentribunal von 1976 in Brüssel das als autonom verstandene Projekt «Haus für geschlagene Frauen» zu realisieren suchte. Nicht nur galt es, ein Mietobjekt zu finden, es sollten neben dem freiwilligen Engagement von Frauen für das Projekt auch Mitarbeiterinnen eingestellt und der alltägliche Unterhalt finanziert werden. Geld war also eine unabdingbare Voraussetzung für die Umsetzung, erforderte aber ebenso eine formale Struktur. Letzterem kam die Gründung des Vereins zum Schutz misshandelter Frauen nach, Ersterem die Gesprächsbereitschaft der gut vernetzten und freisinnigen Politikerin Liselotte Meyer-Fröhlich von der Zürcher Frauenzentrale einerseits und einiger Initiantinnen des Projekts wie der Juristin Jeanne Dubois andererseits. Erst die zum Zwecke der Finanzbeschaffung gegründete Stiftung ermöglichte die Realisierung des Frauenhauses als feministisches Projekt: eine Mischung von Institutionalisierung und Autonomie.70 Nach ähnlichem Muster kam es im gleichen Jahr in Genf, 1980 in Bern und bald schon in weiteren Städten zur Eröffnung von Notunterkünften für geschlagene Frauen. Wie die Infra-Frauen mussten auch die Frauenhaus-Aktivistinnen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass sich die wenigsten der Schutz suchenden Frauen aufgrund sexualisierter Gewalterfahrung zum Feminismus bekannten. Die autonom geplanten feministischen Projekte entwickelten sich vielmehr zu Institutionen mit sozialstaatlicher Funktion.71

      Kongress und Gegenkongress – Trennlinien und Gemeinsamkeiten

      Mit der Ausrufung von 1975 zum «Jahr der Frau» rief die UNO gleichzeitig den 8. März, der in der Nachkriegszeit de facto fast nur noch in kommunistisch regierten Staaten als Feiertag begangen wurde, zum Internationalen Tag der Frau aus. Von nun an geriet er zu einem jährlichen Orientierungspunkt für die Frauenbewegungen verschiedenster Richtungen, trotz ihrer gegenseitigen Abgrenzungen.72 In der Schweiz zeigte sich die Wechselwirkung von Abgrenzung und Annäherung geradezu paradigmatisch 1975 in Bern, wo im Januar gleichzeitig ein offizieller Kongress und ein Gegenkongress stattfanden.73

      Zum «Jahr der Frau» luden rund achtzig Frauenorganisationen unter dem Motto «Partnerschaft – Collaboration dans l’égalité – Rapporto di coppia» vom 17. bis 19. Januar zu einem dreitägigen Kongress in den Kursaal ein. Neben den bekannten gesamtschweizerischen Frauenverbänden wie dem BSF, dem SKF und dem Schweizer Verband für Frauenrechte (SVF) waren auch kleinere Frauenverbände und lokale Gruppierungen beteiligt, ja selbst die Organisation Ja zum Leben. Je nach Ausrichtung deuteten die Verbände und Vereine das Motto «Partnerschaft» auf ihre Weise. So verwies der Evangelische Frauenbund Schweiz (EFS) mit Plakaten auf Partnerschaft im Sinne der Bibel,74 der SKF verstand darunter mehr die gegenseitige Hilfe und Unterstützung von Mann und Frau in der Familie, aber auch im Berufs- und Sozialleben. Ausgangspunkt des Kongresses war die von der Schweizerischen UNESCO-Kommission und dessen Mitglied Perle Bugnion-Secrétan, Präsidentin der Kommission für internationale Beziehungen des BSF, in Auftrag gegebene soziologische Studie von Thomas Held und René Levy, «Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft».75 Die international bestens vernetzte liberale Genferin Bugnion-Secrétan agierte als Vizepräsidentin, die knapp dreissigjährige freisinnige Zürcher Juristin Lili Nabholz-Haidegger als Präsidentin der mit der Organisation beauftragten Arbeitsgemeinschaft Die Schweiz im Jahr der Frau (ARGE). Der Ablauf des dreitägigen Kongresses war genau geplant, nur Angemeldete waren zugelassen. Gerechnet wurde mit 2000 Teilnehmenden. Es meldeten sich weit mehr an, so mussten viele aus Platzgründen abgewiesen werden. Grossbanken und Konzerne unterstützten den Kongress finanziell. Vorgesehen waren vier Hauptreferate, davon eines von der Genfer Philosophin Jeanne Hersch. Genau vorbereitet waren auch die zur Diskussion stehenden Themen.

      Entscheidendes Gewicht kam dem BSF als einflussreichstem Frauenverband zu, vertreten durch seine Präsidentin. Mit der weltoffenen Genfer Sozialwissenschaftlerin und Ökonomin Jacqueline Berenstein-Wavre stand ab 1975 erstmals in der Geschichte des BSF eine Sozialdemokratin an der Spitze des Verbands: Die Pazifistin und Befürworterin der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs definierte sich, da nicht (mehr) berufstätig, als «femme au foyer». Wie der Freisinnigen Alice Moneda, Leiterin Ressort Frauen des Schweizerischen Kaufmännischen Verbands (SKV), galt ihr Einsatz zwar insbesondere der Lohngleichheit. Sie hob aber zugleich die Bedeutung der unentgeltlich geleisteten Haus- und Betreuungsarbeit hervor, deren Umfang sie ein Jahr zuvor über eine Enquête in der Westschweiz erhoben hatte und die 1977 durch die Veröffentlichung der vom BSF initiierten Studie «Die Bewertung des Arbeitsplatzes in privaten Haushalten» der Stiftung zur Erforschung der Frauenarbeit ergänzt werden sollte.76

      Das Präsidium des Kongresses lag in den Händen der Juristin und CVP-Nationalrätin Elisabeth Blunschy-Steiner aus Schwyz, Expertin in Familienrechtsfragen und ehemalige Präsidentin des SKF, mit ein Grund, dass der Schwangerschaftsabbruch im offiziellen Programm fehlte. Gut vorbereitet dagegen waren die verschiedenen zur Verabschiedung gedachten Resolutionen.77 Wenig zu diskutieren gab die Resolution zur Schaffung eines gesamtschweizerischen Organs, die bereits Anfang 1976 vom Bundesrat eingesetzte Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF). Umstrittener war die auf Vorschlag von Lydia Benz-Burger vom Schweizerischen Verband für Frauenrechte eingebrachte Resolution, «dass die Gleichbehandlung von Mann und Frau in Gesellschaft, Familie und Arbeit ausdrücklich in der Bundesverfassung garantiert» werden müsse.78 Die Unterstützung durch die ARGE kann unter anderem als eine direkte Folge der Menschenrechtsdiskussion von 1968 rund um die EMRK erachtet werden. So flossen auch in die Begründung für und wider die Lancierung der Initiative Argumente aus der jahrzehntelangen Diskussion des Frauenstimmrechts ein: das Verhältnis von Rechten und Pflichten, Geduld und Zwängerei, Gleichheit und Differenz, Gesetz und Verfassung, Menschenrechten und nationaler Rechtstradition. Kaum thematisiert wurde in der Auseinandersetzung allerdings die Erfahrung, dass die Schweiz wegen der Opposition der Arbeitgeber und Branchenverbände erst nach Einführung des Frauenstimmrechts das Übereinkommen der International Labour Organisation (ILO) «Über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit» ratifiziert, aber dennoch kaum etwas unternommen hatte, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Schliesslich stimmten 682 Frauen für, 375 gegen die Lancierung.79 Implizit bejahten mit dieser Entscheidung die Befürworterinnen der Gleichstellungsinitiative die im Vorfeld scharf formulierte Kritik der Juristin und prominenten Frauenrechtlerin Gertrud Heinzelmann am Kongressmotto: Nicht die Partnerschaft harre der Lösung, sondern die fehlende Gleichberechtigung. Weit schärfere Kritik noch als Heinzelmann äusserte die neue Frauenbewegung an der Ausrichtung des Kongresses.

      Als Protest gegen das Motto «Partnerschaft», die beschränkte Teilnehmerinnenzahl und die Kosten des Kongresses riefen neben FBB und MLF, die sich dafür erstmals eine lose Koordination geben mussten, auch kleinere Gruppen aus dem Umfeld der Neuen Linken wie die «POCH-Frauengruppe» auf den 18./19. Januar zum Gegenkongress auf. Nicht im vornehmen Kursaal sollte er stattfinden, sondern im Berner Vorort Gäbelbach, einem traditionellen Arbeiterquartier bei Bethlehem/Bümpliz. Es gab weder eine Zulassungsbeschränkung noch Eintrittsgebühren. Erwartet wurden 300 bis 1000 Personen, tatsächlich kamen im Laufe der beiden Tage 7000 bis 8000 vorbei. Das Alter der Besucherinnen lag zwischen 23 und 35 Jahren, diese waren also um mehr als eine Generation jünger als die Teilnehmerinnen im Kursaal. Die jungen Feministinnen kritisierten am offiziellen Kongress neben den fehlenden Themen Homosexualität, Abtreibung und unbezahlte Hausarbeit insbesondere das Motto des offiziellen Kongresses. «Partnerschaft» als gleichwertiges, aber andersartiges Zusammenarbeiten von Frauen und Männern, so ihre vehemente Kritik, verschleiere die herrschenden Machtverhältnisse und die damit einhergehende systematische Ausbeutung und Unterwerfung der Frauen. Dafür stehe exemplarisch die Kriminalisierung der Abtreibung als Verbot der Verfügung über den eigenen Körper und Untergrabung des Rechts auf Selbstentfaltung. «Il ne s’agit pas de collaborer, mais de déclarer la guerre. Il s’agit der mener une lutte autonome des femmes. C’est sous le signe ‹Ensemble nous sommes fortes› que nous avons préparé, financé et réalisé l’anti-congrès.»80 Als Kampfruf war sie gedacht, die Parole «Frauen gemeinsam sind stark!», die als Motto den Gegenkongress im Berner Aussenquartier Gäbelbach prägte, gleichermassen Mobilisierung, Solidaritätsbekenntnis und Abgrenzung.

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