Zivilstand Musiker. Группа авторов

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durch den Versailler Vertrag das ganze Deutschtum in seiner Existenz bedroht sah. Zu den oft mehrfach Beteiligten gehörten der Obergerichtspräsident Theodor Bertheau, der spätere Frontist Hans Oehler, Oberst Fritz Rieter, der frühere Generalstabschef Theophil Sprecher und Pfarrer Eduard Blocher. Offenbar aus solchen reichsfreundlichen Kreisen um Blocher und den «Kriegstheologen» Adolf Bolliger wurde gegen den westlich orientierten Historiker und Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Eduard Fueter eine Diffamierungskampagne geführt, die 1921/22 den Abbruch von dessen vielversprechender Laufbahn erzwang.31 Ulrich Wille, Sohn des Generals, pflegte Beziehungen zu deutschnationalen und zu nationalsozialistischen Politikern; in seinem Haus hielt Adolf Hitler im August 1923 eine Rede, um finanzielle Gönner zu gewinnen.32

      Von der Austerität zum Aufschwung der Stadt

      Viele soziale und auch weltanschauliche Gegensätze, die sich damals in der Schweiz und im Kanton manifestierten, hatten ihren Brennpunkt in der Stadt Zürich. Zugleich bildete diese als Zentrum der – immer wieder kontroversen – Modernisierung einen Gegenpol zum Land.

      Durch den Zusammenschluss mit elf Nachbargemeinden war Zürich 1893 von 28 000 auf 120 000 Einwohner gewachsen. 1912 erreichte die Zahl vor allem durch weiteren Zuzug in die neuen Stadtquartiere 200 000 Personen; und nach einem Auf und Ab nahm sie von 1922 bis 1930 nochmals um einen Viertel zu.33 1920 lebten in Zürich 38,5 Prozent der Kantonsbevölkerung; die Hauptstadt und Winterthur hatten damals also demografisch ein grösseres relatives Gewicht als nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Agglomerationen expandierten. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht verstärkte sich die Konzentration, indem die in verschiedenen Regionen angesiedelte Textilindustrie längerfristig im Niedergang war, während die zukunftsträchtigeren Zweige wie die Maschinenindustrie eher an städtischen Standorten waren – ganz zu schweigen von den grossen Banken und Versicherungen, die sich im Aufstieg befanden.

      Demografischer und sozialer Wandel

      Der Anteil von Industrie und Gewerbe an der Beschäftigung34 lag 1920 in Zürich mit 44 Prozent im schweizerischen Durchschnitt; allerdings standen mehrere Fabriken im damaligen Vorort Oerlikon. Typisch war demgegenüber die starke Stellung des Handels und der übrigen Dienstleistungen, womit auch der wachsende Anteil der Angestellten zusammenhing. In den Banken arbeiteten wenige tausend Personen. Im Lauf des Jahrzehnts entwickelte sich indessen das internationale Geschäft neu, darunter die Platzierung von Anleihen wie auch die Vermögensverwaltung. Nicht zu vergessen ist die Versicherungsbranche, die sich weitgehend auf Zürich konzentrierte.

      Die Stadt war ein Anziehungspunkt, die Bewegung ging aber in beide Richtungen. Zu- und Wegzüge machten mindestens in einzelnen Jahren je rund ein Fünftel der Bevölkerung aus.35 Im ganzen Kanton lebten 1920 nur noch dreissig Prozent der Einwohner in ihrer Heimatgemeinde.36 Besonders über das Lehrerseminar und die Universität gelangten Nichtstadtzürcher auch in höhere Positionen, wie nicht zuletzt die Zusammensetzung des Stadtrats illustriert.37 Geringer als die geografische war die soziale Mobilität; die Gesellschaft war fragmentiert. Die Angestellten brachten allerdings eine gewisse Dynamik ins Gefüge.38 Der demografische Wandel war in der Stadt rascher als auf dem Land. Im deutlichen Sinken der Geburtenrate sah der damals in den Stadtrat gewählte Arzt Hermann Häberlin 1920 eine Gefahr für die «Rassenhygiene».39 Als Faktoren nannte er die Verhütung, ein höheres Heiratsalter und die häufigere Ehelosigkeit von Frauen; als Gegenmittel postulierte er mehr «wirtschaftlichen Schutz der Familie in jeder Beziehung». In Veränderung waren letztlich Werthaltungen, indem etwa der Konsum mehr Gewicht erhielt (Häberlin sprach von «Ansprüchen eines übertriebenen Lebensgenusses»). Demgegenüber propagierte wenig später das sozialistisch engagierte Ärztepaar Fritz und Paulette Brupbacher-Raygrodski die Sexualaufklärung und die bedingte Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.

      Die Berufsarbeit von Frauen war von gegenläufigen Tendenzen beeinflusst: vom Rückgang der Beschäftigung in der Textilindustrie und vom Wachstum des Dienstleistungssektors, vom Ideal der häuslichen Mutter und vom Streben nach Selbstständigkeit. 1920 waren nur 19 Prozent der verheirateten, verwitweten und geschiedenen Frauen erwerbstätig, nach einer anderen Quelle machten weibliche Beschäftigte fast vierzig Prozent aus.40 Von beruflicher Aufwertung zeugen etwa die 1920 gegründete Soziale Frauenschule (für freiwillige und besoldete «Hilfskräfte»), die Schaffung der Schweizerischen Zentralstelle für Frauenberufe (1923) und der Wohnkomplex «Lettenhof» für erwerbstätige, alleinstehende Frauen.41 1920 wurden die ersten zwei reformierten Theologinnen ordiniert. Doch der Beschluss der Synode, Frauen zum vollen Pfarramt zuzulassen, wurde von der Regierung nicht genehmigt; denn er falle nicht in den Autonomiebereich der Kirche, sei vielmehr vom Gesetzgeber zu treffen. Das Bundesgericht schützte den Regierungsentscheid.42

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      Erstes öffentliches Konzert des Kammerorchesters Zürich zusammen mit dem Kinderstreichorchester Zürich, am 24. März 1920 im Kaufleuten.

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      Das 1917 von Alexander Schaichet gegründete Kinderstreichorchester Zürich.

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      Mitglieder des Kammerorchesters Zürich, 1922, von links nach rechts: vorne (am Boden) Jacob Fegel, Israel Felizian, Ruth Bircher, Else Stüssi, Hela Jamm. Sitzend: Lucie Bernhard, Mascha v. Monakow, Martha Fortner, Alexander Schaichet, Oskar Mertens, Martha (May) Füchslin. Stehend: Fritz Stüssi, Regina Schein, Fredy Hotz, Gertrud Goos, Anton v. Schulthess, Bettina Zweifel (später Geigerin und Ehefrau von Meinrad Inglin), Walter Mertens, Edith Vogt, Joachim Ernst, Hans Dreifuss, Ernst Züblin, Willy Bircher, Hans Ebner, Marga Donati, Hans Pruppacher, Annie van der Meulen.

      Etablierte Sozialdemokraten

      Politisch unterschied sich die Lage in der Stadt von der gesamtkantonalen erheblich. Die Bauernpartei war konsequenterweise nicht präsent, es fehlte auch eine andere betont konservative Gruppierung. Schon 1910 waren vier von neun Mitgliedern des Stadtrats Sozialdemokraten, drei waren Freisinnige und zwei Vertreter der Demokratischen Partei. Diese stellte von 1917 bis 1928 auch den Stadtpräsidenten, Hans Nägeli. Der ausgebildete Theologe war ein erfahrener Mann der Verwaltung und seit 1907 Stadtrat; als guter Repräsentant und Interessenvertreter der Stadt gelobt, scheint er sich politisch sonst nicht besonders profiliert zu haben.43 In der Zusammensetzung der Exekutive nach Parteien kam es in dieser Zeit nur zu kleineren Veränderungen.

      Seitens der Sozialdemokraten kamen trotz aller kämpferischen Rhetorik vor allem solche Personen zum Zug, die bereit waren, die begrenzten kommunalen Handlungsmöglichkeiten für unmittelbare Verbesserungen zugunsten der breiten Bevölkerungsschichten zu nutzen und sich auch für andere städtische Aufgaben zu engagieren. Die SP-Mitglieder des Stadtrats in der Zwischenkriegszeit waren vor ihrer Wahl alle im öffentlichen Dienst tätig gewesen (als Beamte, Lehrer, Richter usw.).44 Es gab zwar programmatische Überlegungen, die «Kommune zu einer der Urzelle der sozialistischen Gesellschaft zu machen»;45 der «Gemeindesozialismus» konnte aber den «kapitalistischen» Rahmen nicht sprengen und war eher eine Art Versorgungsetatismus. Dem vormaligen Pfarrer Paul Pflüger (Stadtrat von 1910 bis 1923) schwebte eine «alma mater» vor, die für alle und speziell auch für die Bedürftigen sorgt.46 Im Vordergrund standen indes Infrastrukturen, Wohnungen und Sozialversicherungen.

      Prägend war als gestaltungswillige und integrationsfähige Person Emil Klöti, Lehrersohn aus Töss (Winterthur), Jurist, nach einigen Jahren in der kantonalen Verwaltung 1907 im Alter von dreissig Jahren in den Stadtrat gewählt,

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