Zivilstand Musiker. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zivilstand Musiker - Группа авторов страница 7

Zivilstand Musiker - Группа авторов

Скачать книгу

– so dimensioniert, dass keine Volksabstimmung nötig war – zeigt ein kulturpolitisches Wohlwollen der politischen Behörden, wie es in der Kriegszeit nicht selbstverständlich erscheint.

      In Zürich, das schon durch die Universität und das Polytechnikum (ETH) eine grenzüberschreitende Anziehungskraft ausübte, hatte sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein international offenes Kulturleben entwickelt. Die grossen, primär privat getragenen Institutionen erhielten neue Gebäude, das Stadttheater 1891, die Tonhalle 1893 mit dem prächtig verspielten, nicht jedermann gefallenden «Trocadero» und das Kunsthaus 1910. Das Stadttheater gelangte unter der Leitung von Alfred Reucker zu besonderer Blüte, und zwar im Schauspiel, das zunehmend auf die Pfauenbühne ausgelagert wurde, ebenso wie in der am Hauptstandort gepflegten Oper. Der Lesezirkel Hottingen, mit dem auch der Literarische Club verbunden war, entfaltete ein reiches Programm an Vorträgen, Lesungen, Konzerten und Kombinationen davon, ausserdem veranstaltete er glänzende Feste.73

      Die internationale Vernetzung und Ausstrahlung der Stadt war sicher auch ein Grund, dass sich nach 1914 eine einzigartige Dichte von Literaten, Künstlern und Musikern, Revolutionären und Anhängern diverser Weltanschauungen ergab, die nach Zürich emigriert oder hier gestrandet waren.74 Nach Kriegsende verlor die Schweiz ihre Sonderstellung als Exilland. Dem Verlag beispielsweise, den Max Rascher gegründet hatte, um die «gesamteuropäische Idee» zu fördern und pazifistische oder andere in Deutschland verbotene Literatur zu publizieren, entschwand bald gewissermassen die Grundlage.75 Namentlich Kulturschaffende, die wegen des Kriegs in Zürich waren, kehrten in ihre Heimat zurück oder zogen weiter. Andere blieben definitiv in Zürich, nicht zuletzt etliche, die – wie ursprünglich Alexander Schaichet – aus dem nun revolutionierten Russland stammten. Auch sonst gingen die Nachwirkungen jener Konstellation sicher über das «Kaffeehausleben»76 hinaus. Der Jurist Wladimir Rosenbaum (in Minsk geboren, 1902 nach Genf gekommen) und seine Frau, die Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Aline Valangin (Enkelin des Westschweizer Friedensnobelpreisträgers Elie Ducommun), die in der Dada-Szene wie auch im Psychologischen Club verkehrten, machten den 1926 erworbenen «Baumwollhof» ihrerseits zum Ort von Tanzfesten und Salongesprächen, in den 1930er-Jahren zudem, zusammen mit einem Haus im Tessin, zu einem Refugium für die neuen Emigranten.77

      Ein andersartiges Beispiel ist, was Thomas Mann später das «Genie-Hospiz» nannte: Während des Kriegs hatten Lily und Hermann Reiff-Sertorius begonnen, jeden Mittwoch zu einem Empfang und meistens einem Hauskonzert einzuladen.78 Ihr Haus an der Mythenstrasse (heute: Genferstrasse) wurde zu einem Treffpunkt von Musikern und Schriftstellern, Einheimischen und Gästen, Arrivierten und Nachwuchstalenten. Auch Alexander Schaichet gehörte zu diesem Kreis. Die Gastgeberin (1866–1958) war Musikerin aus Bamberg, ihr Mann (1856–1938), der Neigung nach Cellist, hatte die von seinem Vater gegründete Firma übernommen, die dann ein Teil der Schweizerischen Seidengaze-Fabrik AG wurde. Von 1907 bis 1935 war er Präsident der Tonhalle-Gesellschaft, zudem war er in der Einwohner-Armenpflege engagiert. Ragte diese kulturelle Gastfreundschaft heraus, so war sie im Bürgertum an sich nichts völlig Ungewöhnliches. So führten der spätere Stadtrat Hermann Häberlin und seine Frau ebenfalls in der Kriegszeit einen (monatlichen) «jour fixe» ein, an dem Musiker und Dichterinnen auftraten.79

image

      Das Ehepaar Irma und Alexander Schaichet traf sich ab 1918 immer wieder mit ihrem engen Freund und Cellisten Joachim Stutschewsky zum Klaviertrio.

image

      Alexander Schaichet pflegte eine enge Beziehung zu den Künstlern des Stadttheaters. 1930 unterstützte er es mit einem Benefizkonzert. Mitwirkende waren unter anderem Gregor Rabinovitch und Kurt Schwitters.

      Trotz bemerkenswerter Kontinuität gab es im kulturellen Leben der Nachkriegszeit auch Zeichen von Krise und Wandel. Zum einen gingen in den wirtschaftlich schwierigen Jahren die Einnahmen (von Besuchern und Gönnern) zurück. Zum anderen kamen längerfristig weitere, auch technisch neue Angebote auf, die Herkömmliches mindestens indirekt konkurrenzierten. Dazu gehörten der künstlerische Film, die kantonale Volkshochschule als Einrichtung der Erwachsenenbildung und das Radio – 1923 übertrug ein Versuchssender aus der Tonhalle das erste «Fernkonzert».80 Besonders der Lesezirkel Hottingen, der viel dem Engagement der Gründergeneration verdankte, bekam die Veränderungen allmählich zu spüren. Die grossen Institutionen erhielten hingegen zunehmende Unterstützung seitens der Stadt.81

      In einer Zeit von Knappheit, Grippe und Streiks, im September 1918, stimmte das Volk mit Zweidrittelmehr höheren Beiträgen an das Stadttheater zu. 130 000 der total 330 000 Franken pro Jahr waren für Schul- und Volksvorstellungen bestimmt. Die SP trug diese Politik mit, anerkannte somit wie der Stadtrat den «volkserzieherischen» Wert von Kunst und wollte breiten Kreisen den Zugang dazu erleichtern. 1901 hatte sie einen einmaligen Zustupf noch erfolgreich bekämpft, zumal das Stadttheater «keine wahre Volksbildungsstätte» sei, wie es das parteinahe Volksrecht gewiss nicht unzutreffend formulierte.

      Trotz Subvention geriet das Stadttheater 1920 in finanzielle Probleme. Der Verwaltungsrat beschloss daher im folgenden Jahr, sich von der Pfauenbühne zurückzuziehen, was wiederum den Ausschlag dafür gab, dass Alfred Reucker die nach seinen Worten «herrlichste Theaterstadt der Welt» verliess. Unter seinem Nachfolger Paul Trede stabilisierte sich die Lage (Erträge brachte auch der 1924 erstmals veranstaltete Ball). Auch Reuckers Idee von internationalen Festspielen in der Nachsaison wurde wieder aufgegriffen, es bildete sich dafür ein Komitee unter dem freisinnigen Stadtrat Adolf Streuli.82 Nach einer Absage wegen der «ungünstigen Zeitumstände» 1921 kamen vom folgenden Jahr an mehrmals besondere Programme von Bühnen- und Konzertaufführungen zustande. 1923 gastierte sogar Reucker mit der Staatsoper Dresden in Zürich.

      Die Stadt war als Gastspielort nicht zuletzt wegen der Währungsdifferenz attraktiv, sodass es manchmal zu einer unverhältnismässigen Präsenz ausländischer Ensembles kam, die – eine Kehrseite – einheimische Künstler in den Schatten stellten. Einen Gegenakzent setzten Veranstaltungen wie das Schweizerische Tonkünstlerfest, das inländischen Komponisten und Interpreten eine Plattform bot. Es fand – nach 1900 und 1910 – 1920 zum dritten Mal in Zürich statt.83

      Das spätere «Schauspielhaus» am Pfauen ging nach dem Rückzug des Stadttheaters in Pacht an den Berliner Theaterdirektor Franz Wenzler und wurde 1926 von Ferdinand Rieser gekauft. Anfänglich, 1922, rief eine offenbar sehr platte Boulevardproduktion Aufruhr im Saal und eine Boykotterklärung des schweizerischen Studentenverbandes hervor, doch das Programm enthielt auch künstlerisch hochstehende Aufführungen aus einem internationalen Repertoire und beschränkte sich keineswegs auf kommerzielle Unterhaltung.84

      Juden aus Osteuropa – Anfeindungen und Karrieren

      Zürichs Offenheit nach aussen, zumindest hin zum deutschsprachigen Raum, schloss xenophobe Tendenzen keineswegs aus. Dies zeigte sich besonders an der Stellung der Juden aus Osteuropa.85 Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert waren viele Juden, die Russland, Polen und Galizien wegen des Verfolgungsdrucks oder wegen der Bildungs- und Berufsmöglichkeiten im Westen verlassen hatten, in die Schweiz und vor allem nach Zürich gelangt, allenfalls auch nach einem Aufenthalt in Deutschland oder Österreich. Eine städtische Statistik verzeichnet für die Jahre 1911 bis 1917 insgesamt 8000 solcher Zuzüge.86 1920 waren 6500 Juden in Zürich niedergelassen, 2650 davon Ausländer aus Osteuropa. Sie wohnten mehrheitlich in Aussersihl und Wiedikon, auch in Oberstrass, in der Nähe von Universität und ETH, und waren als Handwerker, Händler und Geschäftsleute, später zunehmend akademisch oder künstlerisch tätig. Auch den schweizerischen und anderen westlichen Juden gegenüber grenzten sich viele ab, und es bildete sich als weitere Gemeinde die Agudas Achim, während andere – sofern nicht völlig säkularisiert – der Israelitischen Cultusgemeinde

Скачать книгу