Die wechselseitige Rezeption zwischen Ortskirche und Universalkirche. Группа авторов

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Die wechselseitige Rezeption zwischen Ortskirche und Universalkirche - Группа авторов Erfurter Theologische Schriften

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8. Dezember 1965 fand das II. Vatikanum seinen Abschluss. Ich befand mich im letzten Jahr der Ausbildung vor der Priesterweihe. Der Spiritual und spätere Regens des Priesterseminars Neuzelle, Erich Puzik, hat uns Diakone intensiv mit den schon vorliegenden Konzilstexten vertraut gemacht. Ich weiß, dass er uns auf das damals gerade erschienene Buch von Johann Baptist Metz, Christliche Anthropozentrik3, aufmerksam machte, das wir als hermeneutische Hilfe für die durch das Konzil eingeleiteten Horizontverschiebungen in der Theologie empfanden. Der Erfurter Dogmatiker Otfried Müller4 kam eigens zu Vorlesungen nach Neuzelle, um in die dogmatische Konstitution über die Kirche einzuführen und andere Grundentscheidungen des Konzils, etwa im Bereich der Ökumene oder zur Religionsfreiheit zu erläutern. Die Hinführung zum liturgischen Dienst war schon von der Liturgiekonstitution des Konzils geprägt, der ja bald die ersten konkreten Ausführungsbestimmungen folgten. Die Priesterweihe 1966 im Erfurter Dom durch Bischof Hugo Aufderbeck erfolgte schon nach dem neuen Ritus als Konzelebration mit dem Bischof.

      Im Raum der DDR konnten wir relativ schnell und unkompliziert das Konzilsgeschehen verfolgen und die entstehenden Texte nachlesen. Ab der 2. Sitzungsperiode (1963) durften die DDR-Ordinarien am Konzil persönlich teilnehmen. Otfried Müller hat schon bald eine erste kommentierte Sammlung der Beschlüsse des II. Vatikanums im Leipziger Benno-Verlag vorlegen können. Eine der Rahner-Vorgrimler-Ausgabe vergleichbare vollständige Edition der Konzilstexte erfolgte ebenfalls im St. Benno-Verlag im Jahr 19855, auch eine Auswahl an wichtigen Konzilsaussagen für die Gemeindearbeit, herausgegeben von Hans-Andreas Egenolf.6 Dazu kamen bald Aufsätze im Theologischen Jahrbuch Leipzig (eine Art Ersatz für eine fehlende theologische Zeitschrift, meistens mit Nachdrucken aus dem deutschen Sprachraum)7, ferner im sog. Theologischen Bulletin (kirchlicher Samisdatdruck)8 und in den pastoralen Aufsatzbänden, die Bischof Hugo Aufderbeck in den 70er Jahren herausgab.9 Dort wurden viele praktische Fragen der Konzilsrezeption angesprochen. Schließlich boten auch die Seelsorgeämter der östlichen Jurisdiktionsbezirke schnell Hilfen zur Weiterbildung an, um den Klerus und interessierte Laien mit dem Konzil und seiner Bedeutung vertraut zu machen. Man kann sagen: Klerus und Gemeinden hatten reichlich Möglichkeit, sich mit dem Konzil auseinanderzusetzen. Dazu trugen natürlich auch die von Bischof Otto Spülbeck (von 1958-1970 Diözesanbischof des Bistums Dresden-Meißen) angefangene und nicht vollendete Meißener Diözesansynode und die Dresdner Pastoralsynode aller Jurisdiktionsgebiete in der damaligen DDR (1973-1975) bei. Dort zeigten sich auch erste Kontroversen bei der Interpretation der Konzilstexte, etwa von Gaudium et spes, was natürlich teilweise auch dem gesellschaftlichen Kontext des kirchlichen Lebens in der DDR geschuldet war.

      Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, den konziliaren Anstößen und Gedankenimpulsen in meinem Dienst als Priester und Bischof im Detail nachzugehen. Ich hatte das Glück, mit dem gerade abgeschlossenen Konzil, das allgemein als Öffnung der Kirche und Freisetzung zu neuen Wegen in der Seelsorge empfunden wurde, meinen priesterlich-seelsorglichen Dienst zu beginnen. Eigentlich bis heute ist das Denken des Konzils, seine Neuansätze im Kirchenbild, in der Liturgie, in der Ökumene und in seiner Sicht des Verhältnisses des Christentums zu den anderen Religionen für mich die Folie meines theologischen und pastoralen Nachdenkens und Handelns.

       1. In der erneuerten Liturgie beheimatet

      Beispielhaft sei etwa auf die Impulse der vom Konzil angestoßenen Liturgiereform hingewiesen. Unsere Diasporakirchen waren für diese Neuansätze gut vorbereitet, zum einen durch das Wirken der Leipziger Oratorianer, die wie Josef Gülden, Theo Gunkel, natürlich mit vielen anderen, in Berlin etwa Johannes Pinsk, von der Liturgischen Bewegung inspiriert waren, zum anderen durch den Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck, der zusammen mit dem unvergessenen Berliner Bischof Wilhelm Weskamm schon in den 50er Jahren wichtige pastoral-liturgische Akzente setzte.

      So wurde in uns als jungen Theologen und dann als Priestern die Liebe zur Liturgie geweckt, genauer: zur gottesdienstlichen Versammlung, in der das Wort Gottes, die Heilige Schrift ihren ersten und wichtigsten Sitz im Leben hat. Die Erneuerung der Liturgie durch das Konzil wollte ja tiefer in das „Heilsmysterium“ – das Innerste der gottesdienstlichen Feier – hineinführen und zugleich ihr Äußeres so gestalten, dass ein wirkliches Hören und Verstehen des Wortes Gottes in seiner ganzen Breite und eine ganzheitliche Beteiligung aller an der Liturgie der Kirche möglich wurde.

      Für mich als jugendlichen Ministranten war ein prägendes Erlebnis, dass 1955 die „Große Woche“, speziell das Ostertriduum, die jährliche Feier des Pascha Domini, liturgisch neu geordnet wurde. Eine für die Hand der Gläubigen verbreitete Hilfe zur Mitfeier war, wie sich manche erinnern werden, das Büchlein „Pascha Domini“10 und für die Hand des Klerus das von Aufderbeck im Leipziger St. Benno-Verlag 1958 herausgegebene Werkbuch „Die Feier der vierzig und fünfzig Tage“ (der österlichen Festzeit)11. Solche und ähnliche liturgische Impulse, etwa die deutsche Komplet (herausgegeben von den Leipziger Oratorianern), von der katholischen Jugend gern übernommen, haben auf die Reformimpulse des Konzils gut vorbereitet.

      So wurde jenseits aller rechtlichen Verpflichtungen in unserer Generation das Gespür dafür wach, wie unverzichtbar für die christliche Gemeinde die wöchentliche „Versammlung“ am Herrentag ist. Dort sammelt der Erhöhte seine Gemeinde und stärkt sie mit seinem Wort. Dort zieht er sie mit hinein in seine Hingabe an den Vater, die mehr und mehr das Leben der Mitfeiernden prägen soll. Aus dem Bemühen um die sonntägliche Versammlung der Gemeinde auch in der priesterarmen Diaspora kommt auch die Anregung Hugo Aufderbecks zu den sogenannten Stationsgottesdiensten, eine Gottesdienstform, die noch in ihrer heutigen Form als Wort-Gottes-Feier ohne Priester seine Handschrift erkennen lässt.

      An diesen, vom Konzil her aufgegriffenen und legitimierten liturgischen Impulsen galt es immer wieder Maß zu nehmen, auch in kritischer Abwehr von Pseudoreformen und Fehlentwicklungen, wie etwa der Überbetonung des Pädagogischen und Belehrenden im Vollzug der Hl. Messe. Wir brauchen wieder neu – in einem veränderten geistigen und kulturellen Kontext – „Mystagogen“, die es verstehen, in die Tiefenschichten der liturgischen Feiern, speziell der Eucharistie, einzuführen und Menschen dort geistlich zu beheimaten. Das gilt zum einen in dem Sinn, die Feiern und ihre Elemente sachgerecht zu erschließen, zum andern auch als ein Bemühen, die geistliche Bedeutung des Lebens aus dem Wort Gottes und den liturgischen Zeichen auch für den heutigen Lebensalltag aufzuzeigen. Es geht um eine „ars celebrandi“, eine Kunst des Liturgen, den Innenraum des liturgischen Geschehens als eine Begegnung mit Christus zu öffnen. Wer einmal mit Bischof Aufderbeck im Hohen Chor des Erfurter Domes die Osternacht mitgefeiert hat, dürfte wissen, was damit gemeint ist.

      Es braucht in einer sich ins Subjektive und Beliebige weiter verlierenden Moderne eine Spiritualität, die dem einzelnen Christen Stehvermögen verleiht und ihm hilft, sich dennoch den Mitfeiernden gegenüber zu öffnen. Überhaupt gilt: Mehr und mehr werden „Wege erwachsenen Glaubens“ notwendig, die den Einzelnen, kleinen Gruppen und den Gemeinden insgesamt bei der Feier der Liturgie in ihren vielfältigen Formen helfen und nicht zuletzt dadurch in eine mündige, auskunftsfähige Form des Christseins einweisen.

      Noch heute kann uns das II. Vatikanische Konzil helfen, Antworten auf die Frage zu finden, wie eine biblische und liturgische Spiritualität für heute und morgen aussehen kann. Natürlich müssen wir immer neu die klassischen geistlichen Erfahrungen befragen. Es gilt, sich an der Heiligen Schrift und der Feier der Sakramente festzumachen, am Kirchenjahr, an geistlichen Orten, an Personen. Der Christ wird eine „Alltagsmystik“ zu entwickeln haben, die auch Erfahrungen der Verborgenheit Gottes auszuhalten weiß, und das alles in ganz unpathetischer, nüchterner Weise. Dankbar möchte ich in diesem Zusammenhang an meinen Lehrer Heinz Schürmann12 erinnern, der meiner Generation die Bibel nicht nur wissenschaftlich-exegetisch vorbildlich erschloss, sondern sie uns als Buch der Kirche und als Wort Gottes nahe brachte, aus dem man geistlich leben kann. Bei dieser spirituellen Durchdringung unseres „kirchlichen Alltagsbetriebes“ sehe ich übrigens auch ein Feld fruchtbringender ökumenischer Zusammenarbeit und des gemeinsamen Austausches mit anderen

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