Die wechselseitige Rezeption zwischen Ortskirche und Universalkirche. Группа авторов

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Die wechselseitige Rezeption zwischen Ortskirche und Universalkirche - Группа авторов Erfurter Theologische Schriften

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stimmt nicht, wenn dem Konzilsdokument nachgesagt wird, es vernachlässige die Glaubenserfahrung, dass auch das Kreuz zur christlichen Existenz in dieser Welt gehört. Ohne Zweifel ist die Pastoralkonstitution von einem gewissen Optimismus erfüllt, der Chancen und Möglichkeiten der Verkündigung des Evangeliums auch an die Menschen von heute sieht. Aber zum einen weiß das Dokument auch um die Aufgabe jedes Gläubigen, „gegen das Böse durch viele Anfechtungen hindurch anzukämpfen und auch den Tod zu ertragen“ (GS 22), es weiß um das durch die Sünde verderbte menschliche Handeln und die Notwendigkeit, dass dieses „Elend“ „durch Christi Kreuz und Auferstehung gereinigt“ und „alles Tun des Menschen, das durch Stolz und ungeordnete Selbstliebe täglich gefährdet ist“, durch Christi Heilswerk „zur Vollendung gebracht werden muß“ (GS 37). Zum anderen betonen die Konzilsväter, dass sie mit der Pastoralkonstitution keine letztgültige Lehre über den Weltauftrag der Kirche verfasst haben. Das geht von der Sache her auch gar nicht, weil die Dinge dieser Welt immer in Entwicklung sind. Was sie intendierten war „die Schleifung der Bastionen“ (so der Titel einer wichtigen Streitschrift von Hans Urs von Balthasar aus dem Jahr 195216). Sie wollten die Bereitschaft der Kirche signalisieren, sich für das Gespräch mit der Welt zu öffnen und nicht in einer kirchlichen „Festungsmentalität“ zu verharren.

      Es ist noch lange nicht ausgemacht, welche Früchte aus diesem Gesprächsangebot wachsen. Vermutlich wird die Öffnung der Kirche für die Welt von heute, die Gaudium et spes angestoßen hat, ihre Bedeutung erst voll im gerade angebrochenen Jahrhundert entfalten. Denn dieses Jahrhundert wird zeigen, ob die großen Weltreligionen und unter ihnen das Christentum einen entscheidenden Beitrag für die Sicherung einer humanen Zukunft der Welt zu leisten vermögen, auch in Gesellschaften, die dabei sind, zumindest weithin im Westen, sich von den eigenen Quellen einer universal verpflichtenden Ethik zu verabschieden.

      Wenn ich persönlich meine Erfahrungen mit den Ereignissen der friedlichen Revolution von 1989/90 reflektiere, so muss ich sagen: Ich bin auch im Blick auf die seelsorglich-kirchliche Arbeit dankbar, dass die alte DDR aufhörte zu bestehen. In Kurzfassung: Wir leben jetzt auch kirchlich ehrlicher als früher. Anpassung und Leisetreterei sind in einem repressiven Staat nichts Unnormales, aber eben auch nichts Gutes. Was Kirchen und christlicher Glaube an geistiger Widerstandskraft gegen die alte Ideologie mobilisiert haben, muss sehr gewürdigt werden. Aber auch das Leben in einem geistigen Gefängnis macht „blind“. Zwar hat die DDR-Zeit viel zwischenmenschliche und kirchliche Grundsolidarität unter den Menschen erzeugt, aber die vom Staat gezielt herbeigeführte gesellschaftliche Isolierung der Kirche hat ihr nicht gutgetan. Es ist gut, wenn nun die Kirchen und jeder einzelne Christ positiv, und nicht nur durch Verweigerung, zeigen kann, was der christliche Glaube zur humanen Gestaltung eines Gemeinwesens beiträgt. Eine solche Einstellung kann sich mit Recht auf das Konzil berufen, das zu einem solchen „Welteinsatz“ ermunterte.

      Mein Blick in meine Dienstbiographie zeigt mir, dass wir im Osten letztlich noch zu zögerlich die Impulse des Konzils aufgegriffen haben. Wir waren zu wenig oder kaum ausgerichtet auf eine geistige und geistliche Präsenz, die angriffig ist, die anregen will, die auf andere abzielt, die mehr bewegen als bewahren will. Wir stellten zu wenig „das Licht auf den Leuchter“ (so ein pastorales Schwerpunktthema vor einigen Jahren im Bistum Erfurt)17. Damit meine ich nicht unser eigenes Licht, sondern das Licht eines Gottesglaubens, den auch wir geschenkt bekommen haben und der allen – Gläubige wie Ungläubige – gemeinsam Wegweisung geben will.

      Im Osten wird sich exemplarisch entscheiden, ob es eine neue Zuversicht, einen neuen Aufbruch in der Verkündigung des Evangeliums in ganz Deutschland geben wird oder nicht. Hier wird die Kirche zeigen müssen, wie das Evangelium auch in der Gesellschaft von morgen neuen Glanz gewinnen kann. Ob wir die Konzilstexte nicht doch noch einmal nachdenklich neu lesen sollten, etwa was in Gaudium et spes zum Atheismus und Agnostizismus so vieler Zeitgenossen gesagt ist (vgl. GS 19-21)?

      Dass es derzeit keine, zumindest keine schlüssigen „Pastoralrezepte“ gibt, macht mich weniger besorgt. Das ist ja ein Kennzeichen von Umbruchzeiten, in denen alte Horizonte versinken, aber die neuen noch nicht voll erkennbar sind. Was mich besorgt sein lässt, ist vielmehr die Ahnung der Möglichkeit, dass das religiöse Fragen überhaupt verstummt. Friedrich Nietzsche ist heute wohl aktueller als am Ende des vorigen Jahrhunderts, zumindest radikaler als der Marxismus, der letztlich noch eine Zukunftsvision hatte, freilich eine rein innerweltliche, eine Art „Christentum ohne Gott“. Nietzsche dagegen sah schon den „blinzelnden“ Menschen, der alles durchschaut – bis dieser am Ende überhaupt nichts mehr sieht. Er sah den Menschen, der sich seine Lebenswohnung so mit den Produkten seiner Hände und seines Geistes vollgestellt hat, dass er Gottes nicht mehr ansichtig wird.

      Darum ist die wahre Herausforderung unserer Kirche in der Tat die Gottesfrage. Wir sind gehalten, wieder das Evangelium völlig neu zu entdecken, an der Hand des Lehrers Jesus selbst, im Rückgriff auf die Ursprünge über alle kirchlichen Traditionen hinweg – die wir als Korrektive brauchen, die aber so nicht mehr Glaubensleben wecken können.

      Wenn ich das so formuliere, wird klar, dass es die von uns machbaren Chancen für die christliche Botschaft gar nicht gibt. Es gibt nur jenen kairos, jenen Gnadenzeitpunkt, den Gott jeder Zeit neu schenkt. Was wir tun können ist, noch redlicher die geistige Situation der Zeit wahrzunehmen, keinen Illusionen nachzujagen, uns zu konzentrieren auf das Wesentliche und Zentrale dessen, warum es Kirche überhaupt gibt. Das wollte das Konzil. Aber das Konzil bleibt toter Buchstabe, wenn es nicht Glaubende gibt, die heute das neu in ihr Leben übersetzen, was damals Johannes XXIII. wollte: dem Geist Gottes in ihrem je eigenen Leben und im Leben der Kirche neuen Raum und Einfluss zu verschaffen.

      Worauf ich immer wieder Hinweise: Ich spüre bei den Leuten speziell hier im Osten eine tiefe Sehnsucht nach gelingenden „Beziehungen“, nach menschlicher Nähe und nach „Angenommen-Sein“. Wenn es irgendwie gelingt, das erste Misstrauen gegenüber Kirche zu zerstreuen, wirklich absichtslose Nähe zum anderen glaubhaft zu machen, dann öffnen sich oftmals sehr bald die Herzen. Es gehört zu den schönsten Erfahrungen im Leben eines Priesters, wenn er bei einem Hausbesuch gesagt bekommt: „Das ist aber schön, Herr Pfarrer, dass die Kirche (!) einmal nach mir schaut!“ Übrigens sagen das manche auch zu einem aus dem Pfarrgemeinderat, der im Namen der Gemeinde einen Besuch macht.

      Die Chance kirchlich-pastoralen Wirkens besteht heute darin, in der zunehmenden Vereinzelung der Menschen Beziehungsnetze zu knüpfen. Ich gebe zu: Wir erfahren in diesem Bemühen auch Ablehnung, wir begegnen Vorbehalten und Misstrauen. Doch sehe ich auch, dass es in unserer Leistungsgesellschaft, vielleicht gerade wegen ihrer oft unerbittlichen Härte und Stressigkeit, Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Annahme gibt. „Du bist angenommen!“ Diese Grundbotschaft des Evangeliums hat auch heute ihren kairos. Das Elisabethjahr 2007, die Feier von Elisabeths 800. Geburtstag, die weit über den kirchlichen Raum hinein in die Öffentlichkeit ausstrahlte, hat mir das eindrucksvoll gezeigt: Das Evangelium hat mehr Sympathisanten als wir meinen. Diese Botschaft, diese „Barmherzigkeits-Melodie“ soll durch uns das Herz der Menschen erreichen.

      Begleiten erfordert die Bereitschaft, die Buntheit und Unterschiedlichkeit menschlicher Biographien auszuhalten. Ich sage gern: Wir müssen lernen, auch mit den kirchlich nicht ganz „Stubenreinen“ umzugehen. Hier tun wir uns bekanntlich sehr schwer. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie in der Kirche „willkommen“ sind. Zeichen des Willkommen-Seins sind ja nicht nur die Sakramente. Der ganze Bereich der vorsakramentalen Seelsorge, in dem die Kirche an sich doch reiche Erfahrung hat, wird zunehmend Bedeutung erlangen. Ich denke an die vielen Nichtgläubigen und „Halbgläubigen“, die punktuell Berührung mit der Kirche suchen, etwa beim festlichen Weihnachtsgottesdienst, bei der Einschulung ihrer Kinder, bei der Beerdigung eines Angehörigen, in eigener Krankheit oder anderen Notsituationen usw. Die Kirche, das Pfarrhaus, die eine oder andere Gruppe von Gläubigen muss als Ort des Erbarmens, des Angenommen-Seins, der mitmenschlichen Nähe bekannt sein. Derzeit ist die Kirche mehr im Verdacht, die Menschen zu verschrecken und ihnen das Leben zu vermiesen, als sie für Gott und füreinander freizusetzen. Diesem Grundverdacht muss energisch entgegengewirkt

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