Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler
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Vor dem Hintergrund des Gesagten wird das Beten Edith Steins allerdings nur dann in einem wissenschaftlichen Sinne beschreibbar, wenn eine bleibende und unhintergehbare Begrenzung beachtet wird. Diese ist im Geschehen des Gebets selbst grundgelegt und hat mit einer fundamentalen Entzogenheit zu tun. Unsere Autorin kommt selbst darauf zu sprechen: „Was auf dem Grund einer Seele vorgeht, das kann die irdische Sprache nicht schildern.“5 Mit diesen Worten zitiert Edith Stein ihre Mitschwester Maria von der Heiligsten Dreifaltigkeit (Marie Antoinette de Geuser), deren Schrift „Briefe in den Karmel“ sie rezensiert. Folgt man der Einschätzung, die im Zitat zum Ausdruck kommt, dann gilt auch für ein suchendes Hingehen zum Gebet bei Edith Stein: Weil das auf dem Grund der Seele Edith Steins Verborgene überhaupt nicht angemessen beschrieben werden kann, deswegen muss anderes und kann eben nur dieses gesichtet und untersucht werden. Welche Sprachgeste wäre diesem Vorhaben angemessen?
In der Rezension gibt Edith Stein Hinweise, in welcher Richtung Antworten zu finden sind. Unsere Autorin lässt im Umgang mit geistlicher Lyrik Haltungen der einfühlenden Annäherung erkennen, die entlang der Grenze des Unsagbaren entstehen. Aus dieser Fühlungnahme heraus findet Edith Stein dann eigene, auslegende Worte. Sie zitiert zunächst ihre Mitschwester: „Die ganze letzte Zeit hindurch bin ich bei dem Wort geblieben: Nostra conversatio in coelis est, … aber was es enthält, das ist unsagbar: Me decet silentium.“6 In der gleichen Rezension von 1934 greift Edith Stein schließlich zu einem musikalischen Vergleich für das, was mit der Seele ihrer Mitschwester geschieht: „Und ihre Seele ist wie ein Instrument, wie eine Harfe, die von unsichtbaren Händen unentwegt gespielt wird, so daß sie sich in Lob und Dank und Anbetung verströmt.“7 Die Seele des Lesers dieser Briefe nimmt, so Edith Stein weiter, „mit Ergriffenheit und sehr stiller Freude“ wahr, „daß sie ganz und gar in die Atmosphäre des Heiligen, des Geweihten hineingehoben wird, durch die Berührung mit der Gnadenfülle eines wahrhaft gottliebenden Menschen“.8 Was Edith Stein hier von ihrem Umgang mit den Briefen einer Karmelitin schreibt und wie sie sich bei der Lektüre unmittelbar vom Text anrühren lässt, wäre das nicht die ideale Form, sich auch der geistlichen Literatur Edith Steins anzunähern? Spricht etwas dagegen, sich bei der Lektüre ihrer Texte einfach in entsprechender Weise unmittelbar anrühren zu lassen vom Lob, vom tiefen Dank, von der Freude, die sie lyrisch artikuliert? Bei dieser unbefangenen Weise von Textrezeption wäre der staunend-einfühlende Umgang Edith Steins mit einem geistlichen Text das Modell für eine heutige Rezeption ihrer geistlichen Texte.
Dagegen kann sich Zurückhaltung zu Wort melden. Diese ist begründet in der heutigen, gegenüber derjenigen der Edith Stein wesentlich veränderten Situation. Der theologisch andere Ort, vom dem aus ein heutiger Blick auf das Werk unserer Autorin blickt, ist derjenige einer Theologie „nach Auschwitz“, wie auch immer man diesen Ort theologisch näher qualifizieren und von seiner Bedeutung her situieren will.9 Sind die Worte, so kann man sich nachdenklich fragen, die Edith Stein unbefangen wählt, um vom Loben, Danken, Anbeten zu sprechen, von „sehr stiller Freude“, nach 1945 überhaupt noch in der Form ungebrochen zu verwenden? Sind sie noch stimmig? Es kann der Gedanke aufkommen, dass eine solche Diktion angesichts des brutalen Todes dieser Frau – und mit ihr10 der ungezählten11 Menschen, die zum Teil als Kinder12 ihr Leben lassen mussten – ein Ausweichen vor dem Unfassbaren wäre. Man kann sich fragen: Übertönt nicht dieser grauenhafte13 Tod gleichsam mit einem überlauten schrillen Ton und Schrei alles, was bei Edith Stein in leisen Tönen anklingen möchte? Ist somit jene Harfe der menschlichen Seele, von der Edith Stein in obiger Rezension bildhaft spricht, nicht doch eine grundlegend andere geworden in Auschwitz? Das Gedichts „Ein Lied vom letzten Juden“ von Jizchak Katzenelson rückt jedenfalls eine Harfe in den Blick, die gänzlich anders gestimmt ist. Entstanden ist die Lyrik des weißrussischen Dichters und Dramatikers vom 3.–5. Dezember 1943 im KZ Vittel. Ein Jahr vor seinem Tod im KZ Auschwitz formuliert er: „Sing, Nimm / die hohle, ausgehöhlte Harfe. Qual / Durchpulst / die dünnen Saiten. Wirf die Finger, bang / Wie Herzen schwer, / auf sie. Dann: sing ein letztes Mal. / Sing. Sing / des letzten Juden letzten Grabgesang.“14 Eine heutige Rede vom Gebet der Edith Stein wird vor dem Hintergrund des Dargelegten dann in einem unvermeidlichen Sinne falsch und insgesamt abwegig, wenn sie obigen, von Leid geprägten, schrillen Ton ausblendet und von ihm absieht. Denn er mischt sich für jeden heutigen Interpreten unabweisbar in das, was bei Edith Stein in den geistlichen Texten Ausdruck sucht und vor ihrem Tod in Auschwitz zu Papier gebracht wurde. In jedem Fall scheint dem Verfasser der vorliegenden Studie unmöglich, dass ein interpretierendes Interesse auf die geistliche Lyrik der Karmelitin hinblickt, ohne stets den geschichtlichen Kontext zu beachten, in dessen Licht sie dem heutigem Auge „nach Auschwitz“ unumgänglich erscheinen und zu Gesicht kommen muss. Daher wird den Bedingungen einer Gebetstheologie nach Auschwitz im Verlauf der Studie Augenmerk geschenkt. Vorblickend kann für die Studie insgesamt festgehalten werden: Das Beten Edith Steins in Worten darzustellen und auszulegen, das wird wesentlich und zuinnerst zurückhaltend geschehen müssen, in einer Sprachgeste diskreten Interesses. Gerade darin jedoch kann die sprachliche Darstellung sich als geschichtlich situiert und sensibilisiert erweisen. Überschwängliches Pathos ist dieser Sprachgeste fremd. Ein sprachlicher Duktus, der den geschichtlichen Standort vergisst, wird unmöglich. Was Paul Celan für die lyrische Rede formuliert, das bleibt auch für die in dieser Studie gesuchte theologische Rede beachtenswert: „Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache. Sie, die Sprache, blieb unverloren; ja, trotz allem. Aber sie musste hindurch gehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Antwort für das, was geschah; aber sie ging durch dieses Geschehen. Ging hindurch und durfte wieder zutage treten, ‚angereichert‘ von all dem.“15
Eine Gebetstheologie, die auf Edith Stein hinblickt, ist somit zu einer „verhaltenen“ Weise des Sprechens gerufen, die gerade darin geschichtlich „angereichert“ in Erscheinung tritt. In dieser Frage kann Bernhard Welte bezüglich der theologischen Diktion als Modell gelten. An seinem Werk fällt auf, dass in seiner philosophischtheologischen Rede das Moment der „Verhaltenheit“ das Arrangement seiner Worte und Gedanken wesentlich prägt. Dieses Moment scheint mir eine sprachliche Geste der Diskretion zu sein, die aus der Berührung mit der menschlichen Verfasstheit und deren Charakter eines Geheimnisses ebenso herrührt wie aus der Nähe zum Mehr- als-Menschlichen. Insofern ist es eine ursprünglich „fromme“, von Ehrfurcht orientierte Sprachform, die im Werk und Vortrag Bernhard Weltes erkennbar wird. Bernhard Casper bemerkt zu seinem Sprachstil: „Es ist sicher einer der wichtigsten Leistungen Bernhard Weltes, daß er einen neuen Stil des theologischen Denkens und Sprechens geschaffen hat. Wir können diesen Stil den Stil der Verhaltenheit nennen. Oder auch den Stil der Scheu. Sprechen geschieht hier so, daß es in dem, was es vorbringt, zugleich Zeugnis ablegt von dem Verhältnis des Sprechenden zu dem unendlichen und die Geschichte einfordernden Geheimnis, von dem der Sprechende zu sprechen hat.“16 Darin darf eine Entsprechung zu Edith Stein gesehen werden. In ihrem Kommentar zur geistlichen Lyrik ihres Ordensvaters Johannes vom Kreuz schreibt sie: „Die Seele ist der Nacht entronnen. Was nun in ihr vorgeht, das ist viel mächtiger, als alle Worte es sagen können.“17 Daraus ergibt sich für die Karmelitin: „So können auch wir nur mit heiliger Scheu diesen göttlichen Geheimnissen im Innersten einer Seele nahen.“18 Meine Studie versucht in allen Worten und Überlegungen dieser Scheu nicht im Wege zu stehen, sondern sie vielmehr zu artikulieren und einen Sinn für ihre wertfühlende Bedeutung und Angemessenheit zu wecken.
Dass eine noch