Mit allem rechnen (E-Book). Geri Thomann

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Mit allem rechnen (E-Book) - Geri Thomann Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

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einer begrenzten Anzahl einfacher Regeln und minimaler Strukturen eine grosse Anzahl Verhaltens-, Handlungs- oder Kommunikationsvarianten zu generieren (Dell, 2012, S. 22). Er charakterisiert Improvisation als Technologie des maximalen «Verschaltens vorhandener Strukturen und Ressourcen» (Dell, 2017, S. 135). Improvisationsvermögen wächst in diesem Verständnis mit der Variabilität der Erfahrungen, die sich in der Gegenwart nutzbar machen lassen. Dell sieht in Improvisation «eine Art Deterritorialisierungsprozess, der in seiner Rekonstruktion eine Reterritorialisierung erfährt» (Dell, 2012, S. 128). Übersetzt in die Alltagssprache: Improvisieren bedeutet, Regeln umzudeuten, mit den gegebenen Handlungsräumen zu spielen und diese zu erweitern. Ordnung wird für Dell übrigens nicht nur vor, sondern ebenso während des Prozesses hergestellt (Dell, 2012, S. 148). Improvisation beinhaltet stets auch «die Lage sondieren» und das «Potenzial der Situation orten» (Dell, 2012, S. 137). Zum in diesem Sinn emanzipierten Lernenden findet sich ein Beitrag von Dell in vorliegendem Band.

      D Improvisieren als das «mystifizierte Anders»

      Improvisation entspreche «einer Lebensform – und einer geistigen Form» und sei nicht lediglich das «Gegenbild von Komposition». So der Musikwissenschaftler Christian Kaden. Kaden umschreibt Improvisation als eine «spezifische Daseinsweise»: Ein Dasein des «So-und-auch-anders» (Kaden, 1993, S. 47). Wer sich improvisatorisch verhält, trifft eine Wahl, «aber er behält vor Augen und Ohren, dass es eine Wahl ist und dass er beim nächsten Mal andere Möglichkeiten ergreifen kann» (ebd., S. 51). Demgegenüber besitzt für Dell «Improvisation einen flüssigen Plan, der in die Navigation der Spielenden selbst als Matrix und Reservoir für Handlungsoptionen eingelagert ist» (Dell, 2012, S. 133). Im vorliegenden Band finden sich hierzu Gedanken in den Beiträgen von Kuhn, Kramer, Kröger, Suter sowie Tuma.

      E Improvisationskompetenz oder improvisierendes Lernen?

      Was bedeutet es, im alltäglichen beruflichen Handeln mit Unvorhersehbarem umzugehen und damit entsprechend Unvorhersehbares zu kreieren? Sollen wir lediglich besser planen, um den Plan verlassen zu können? Oder braucht es Pläne mit der Option des Scheiterns (Risikoanalyse), damit wir in der jeweiligen Situation flexibel sind, um Abweichungen in den Griff zu bekommen oder zu legitimieren? Fordern komplexe Arbeitskontexte eine erhöhte Flexibilität im Handeln? Falls diese Fragen bejaht werden, eine letzte Frage: Wie lässt sich eine spezifische Kompetenz für den Umgang mit Unvorhersehbarkeit und Mehrdeutigkeit herauskristallisieren, eine «Improvisationskompetenz»? (Vgl. den Beitrag von Suter, S. 134).

      Um Improvisationskompetenz zu generieren, wäre improvisierendes Lernen per se einerseits eine Bedingung, andererseits gibt es gewisse Lernformen, die sich als improvisierend bezeichnen lassen. Ausführungen hierzu in den Beiträgen von Honegger, Kröger und Kuhn.

      Überblick der Beiträge

      Vorliegender Band und seine Beiträge reflektieren, welche Funktionen improvisierendes Handeln im Kontext von Handeln, Lernen und Lehren an Hochschulen und in der Erwachsenenbildung einnimmt und einnehmen kann. Die Beiträge stammen von Expertinnen, Funktionstragenden sowie Dozierenden unterschiedlicher Disziplinen (unter anderem Arbeitspsychologie, Architektur, Cultural Studies, Diversity, Erwachsenenbildung, Lehrpersonenbildung, Linguistik, Organisationsentwicklung, Musik, Städtebau und Tanz).

      Eingangs erörtern Theo Wehner und Geri Thomann den Geltungsbereich von Improvisation. Wehner fokussiert auf Individuen, Thomann auf Organisation.

      Inwiefern Pädagogik per se als Sicherheitskonzept funktioniert, wird im Beitrag von Geri Thomann diskutiert.

      Ums Lerngeschehen an Hochschulen gehen die Ausführungen von Monique Honegger. Sie stellt dar, wie Lücken und Vielfalten einerseits Chancen für improvisierendes Lernen sind. Andererseits wird gezeigt, dass gewisse «gesellschaftspolitisch brisante Themen» an Hochschulen improvisierende Lernformen brauchen fürs Querdenken.

      Ursula Bertram fokussiert in ihrem Beitrag zu nonlinearem Denken das notwendige Zusammenspiel von Improvisationskraft, Erfindungsgabe und Probierbewegungen.

      Eine hochschuldidaktische Denkbewegung, die weg von bestehenden Curricula hin zu Formen für ein anderes Bildungsframework führt, das improvisierendem Lernen Raum eröffnet und dessen Relevanz aufzeigt, macht Wanja Kröger in seinem Essay.

      Die Studentin Natascha Kuhn beschreibt in ihrem Erfahrungsbericht aus Studierendenperspektive, wie Improvisieren Räume für hochschulisches Lernen eröffnen kann.

      Erinnerungen an improvisierende Lernerfahrungen an Hochschulen und mögliche Formen von Improvisieren aus Dozierendensicht reflektiert Mathis Kramer.

      Christopher Dell schliesslich stellt sich der Frage, welches emanzipatorische Potenzial Improvisation birgt.

      Improvisationskompetenz müsste sich charakterisieren und feststellen lassen können, so die Arbeitshypothese von Bernhard Suter. Mit seinem Impro-Spyder bietet er eine Möglichkeit an, das Unfassbare in sechs Dimensionen zu erfassen.

      Jazzagogik nennt Rolf Kuhn das von ihm unter anderem aus den Praxen des Jazz abgeleitete Verfahren, das Kreieren und eben auch Improvisieren in denkenden Gruppen ermöglicht.

      Sandra Wilhelm schliesslich rundet den Band als Leserin aller Beiträge ab und zieht ihre Folgerungen für ihre weitere Tätigkeit als Erwachsenenbildnerin und Dozentin und stellt sich neuen Fragen.

      Der Band fokussiert auf ergänzende Handlungsgrundlagen – auf den ersten Blick scheinbar konträr zum rational-logisch geplanten Vorgehen: situative Gefühle, das Antizipieren von Ereignissen, das Assoziieren vorangegangener Erfahrungen, das Spielen und Rütteln an vermeintlich Festgelegtem sowie die Fantasie als zentrale Komponenten der Handlungsregulation.

      Gegenstimmen und Contra-Argumente sollen es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in Ihrem «Hin- und Herdenken» ermöglichen, eine Position zu finden. Diese finden sich als kurze prägnante und kernige Sätze zwischen den jeweiligen Beiträgen. Auf unsere Bitte hin formulierten die folgenden Kolleginnen und Kollegen kurze Gegenpositionen, die nicht unbedingt ihrer persönlichen Überzeugung entsprechen: Daniel Ammann, Nadine Bieker, Matthias Briner, Dagmar Engfer, Anja Friderich, Erik Haberzeth, Simone Heller-Andrist, Walter Mahler, Jürg Schwarz und Katrina Welge.

      Die künstlerische Umsetzung des Themas «Improvisieren» in der Bildungsarbeit obliegt Sarah Burger. Ihre Grafiken (auch auf dem Titelbild) finden sich jeweils neben den Gegenstimmen («Weather, Words», 2020).

      Herzlichen Dank unserer Reflexions- und Begleitgruppe während unserer Jubiläumsaktivitäten im Jahre 2019 für etliche Anregungen: Tamara De Vito, Dagmar Engfer, Wanja Kröger, Mira Sack und Beni Suter.

      Literatur

      Arn, Christof (2016). Agile Hochschuldidaktik. Weinheim: Beltz Juventa.

      Bauman, Zygmunt (1995). Moderne und Ambivalenz. Frankfurt am Main: Hamburger Edition.

      Beck, Ulrich (2003). Risikogesellschaft – auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt: Suhrkamp.

      Bomann, Jennifer & Yeo, Michelle (2019). Exploring and learning from failure in facilitation. In: International Journal for academic development. Online: www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1360144X.2019.1700120.

      Bormann, Hans-Friedrich et al. (Hrsg.,

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