Mit allem rechnen (E-Book). Geri Thomann

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Mit allem rechnen (E-Book) - Geri Thomann Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

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handeln (auch) mit eingeübter Inkompetenz

      Ein erster Zugang zur Beantwortung der obigen Frage gelingt mit einem Konzept von Argyris. Er entwickelte die Vorstellung der «defensiven Routinen» und der «eingeübten Inkompetenz» (Argyris, 1997). Defensive Routinen sind Handlungen, die Menschen vor negativen Überraschungen, Gesichtsverlust oder Bedrohungen bewahren und gleichzeitig die Organisation daran hindern, die Ursachen für mögliche Pannen und Fehler zu reduzieren. Gleichzeitig bedeutet «Routine» aber, dass die Art und Weise, wie versucht wird, unerwünschte Handlungen zu unterbinden, einem gemeinsamen Muster folgen kann: Unterschiedliche Menschen greifen zum gleichen Mittel, um psychisch schwierige Situationen zu bearbeiten, etwa durch Schweigen, Rückzug, Gegenangriffe, Beschämungen, Themenwechsel, Racheaktionen oder Ausgrenzungen.

      Gelernte und fixierte Grundmuster im Umgang mit schwierigen oder neuartigen Situationen funktionieren häufig linear als single-loop learning in einem steten Kreislauf von Aktion und Reaktion. Dies geschieht, ohne die etablierte Vorgehensweise (Routine) grundsätzlich und reflexiv auf einer Metaebene infrage zu stellen (double-loop learning). Dabei entwickeln sich organisationale defensive Musterschlaufen, die eigentliches Lernen – als aktive Anpassung an veränderte Verhältnisse – verhindern.

      Organisationales Lernen findet laut Argyris und Schön (2002, S. 31 f. und S. 47) erst dann statt, wenn frühere Erfahrungen von Erfolg und Misserfolg analysiert und interpretiert werden, wenn auf Überraschungen – bei Nichtübereinstimmung von erwarteten und erfolgten Ergebnissen – mit Reflexion und veränderter Aktion geantwortet wird. Das Konzept der «defensiven Routinen» legt auch nahe, dass wir – insbesondere in institutionellen Zusammenhängen – eher dazu neigen, Stabilität und Beständigkeit anzunehmen und uns dadurch Organisationen irrtümlicherweise als stabile Gebilde erscheinen, obwohl wir wissen, dass sie sich fortlaufend verändern. Diese Annahme wird durch die psychologische Fehlerforschung, wie bereits oben angedeutet, unterstützt: Wehner und Mehl (2016) weisen nach, dass das kognitive System versucht, Mehrdeutigkeit zu disambiguieren, Instabilitäten aufzuheben und konsistente Interpretationen der Umwelt zu erzeugen. Der Fehler wäre demnach ein Indikator für den Zeitpunkt, zu welchem das kognitive System einen stabilen Zustand verlassen und eine neue Lage aufsuchen muss: «Ist jemals eine Organisation deshalb am Überleben gescheitert, weil sie etwas Wichtiges vergessen hat? Es ist wahrscheinlicher, dass Organisationen deshalb scheitern, weil sie zu vieles zu lange im Gedächtnis behalten und fortfahren so zu tun, wie sie es schon immer getan haben» (Weick, 1995, S. 320).

      Gespeicherte Informationen sind heilig

      Der Organisationswissenschaftler Karl Weick (1995, S. 321) führt aus, dass in den meisten Organisationen die gespeicherten Informationen als «heilig» betrachtet werden, sodass überliefertes Wissen nicht diskreditiert wird (über den Umgang mit «Heiligem» oder nicht Aussprechbarem, siehe auch den Beitrag von Honegger, S. 68). Eine solche Risikovermeidung führt nicht selten zu einem Absicherungsaufwand, welcher Sicherheit suggeriert.[8] Parallel dazu wissen aber alle Organisationsmitglieder insgeheim, dass sie gerade bei allgegenwärtigem Produktions- oder Leistungsdruck die sicherheitsgebietenden Regeln missachten, um gute Ergebnisse zu erzielen. Innovationen entstehen (auch in Bildungsorganisationen) in der Regel nicht über die tradierten Kaskaden von Linienentscheiden, sondern über das frische Wagnis der Erprobung. Die verbindliche Regelung von (Qualitäts-)Standards stellt in einer Welt sich beschleunigender Entwicklung plötzlich ein Innovationshemmnis dar, weil der Veränderungsbedarf den Standpunkt der Verbindlichkeit immer wieder überholt.

      Die formale Rhetorik der «Sicherheit» widerspricht hier der informellen Realität, dass ab und an die Sicherheitsregeln missachtet werden müssen, um im Nachhinein erfolgreich zu sein. Hinter Ersterer steckt die fatale Überzeugung, Risiken liessen sich verhindern, wenn professionell geplant und nicht situativ improvisierend vorgegangen wird. Dabei könnte die sichtbar gemachte Ambivalenz kurzfristig die Anpassung und langfristig das Überleben garantieren; Paradoxien könnten als Promotoren für Systembewegung verstanden werden und das Abwehrsystem sowie die Resilienz der Organisationen stärken (Weick, 1995, S. 346; Thomann, 2016). Etablierte Routinen dagegen stärken Organisationen und Mitarbeitende in der Annahme, sie hätten alles unter Kontrolle und die dazu gehörenden Pläne verleiten dazu, das Unerwartete auszublenden. Für Weick und Sutcliffe (2016, S. 72 ff.) geht es jedoch gerade in schwierigen Situationen nicht darum, das Unerwartete mit Routinen und Plänen einzudämmen, sondern situativ-reflexiv damit umzugehen; Voraussetzung hierfür ist es, resilient zu sein.

      Organisationale Resilienz

      In Krisensituationen (wie etwa in der zur Zeit des entstehenden Buches virulenten Corona-Pandemie) lässt sich grundsätzlich schlecht planen und antizipieren, jeder Moment kann noch so optional gedachte Pläne (sogenannte Szenarien) umstossen – situativ-reflexives Handeln und das Aushalten von Nichtplanbarkeit sind gefragt. Werden Krisensituationen jedoch, spätestens nachdem sie bewältigt wurden, systematisch ausgewertet, entwickeln sich nicht nur bei den beteiligten Individuen Widerstandskräfte. Resilienz entsteht ebenso auf der Ebene von Teams und Organisationen. Handlungscharakteristika von hoher organisationaler Resilienz haben Weick und Sutcliffe (2016) vor allem bei sogenannten high reliability-Organisationen herausgearbeitet;

      Kennzeichen von resilienten Handlungsmustern der Bewältigung sind dabei:

      ▸wiederkehrende und identitätsstiftende Handlungen beibehalten, Handlungsrepertoire ausdehnen, handlungsfähig bleiben und Improvisationsfähigkeit entwickeln (Strukturen aufrechterhalten, wo möglich, und modifizieren, wo nötig);

      ▸versuchen, neue Situationen einzuschätzen, gleichzeitig weiterhandeln und die Situationen (mit-)gestalten (nicht warten, bis die Krise vorbei ist);

      ▸den Berichten anderer vertrauen, ehrlich von eigenen Beobachtungen berichten, Präsenz zeigen und ansprechbar sein;

      ▸gemeinsam Konzepte mit (neuen) Wahrnehmungen verknüpfen und modifizieren;

      ▸Erwartungen (bezogen auf die aktuelle Situation) klarstellen, begrenzen, aktualisieren und dadurch die «disruptive Energie unerwarteter Ereignisse» reduzieren;

      ▸eher kuratieren als antizipieren, Sorge tragen in der Gegenwart (schnelle Feedbackprozesse einrichten) statt planen.

      Organisationale Resilienz ist damit eine Mischung aus Erfahrungen, fortlaufendem Handeln und intuitiver Neukombination – immer jedoch auf der Basis einer minimalen Grundstruktur.[9]

      Für die Führung in Organisationen bedeutet dies das Zur-Verfügung-Stellen von Strukturen und von (informellen und formalen) Gefässen der Reflexion, Zulassen von Zweifeln, Klären von Erwartungen sowie Pflegen einer sorgenden Haltung – dies alles in einer verantwortungsvollen und entscheidungsfreudigen Moderation.

      Improvisation und Organisation

      Spätestens seit dem 1995 in Vancouver von der Academy of Management ausgerichteten Kongress Jazz as a metaphor for organizing in the 21th century (Kamoche et al., 2002), wird Improvisation nicht mehr rein negativ – als Verlegenheitslösung und Planungsdefizit – konnotiert. Dell (2012, S. 129) spricht in der Folge dieser Diskussionen gar von einem improvisational turn in der Organisationstheorie. Auch für Weick[10] ist die Improvisation – als just in time strategy – eine «Geisteshaltung», die im manageriellen Handeln bedeutsam wird, als «gleichzeitiges Denken und Handeln, gleichzeitiges Aufstellen und Befolgen von Regeln […]. Handeln, das auf Codes basiert, permanenter Wechsel zwischen Erwartetem und Nicht-Erwartetem, und schliesslich eine grosse Abhängigkeit von intuitivem Erfassen» (Weick, 1998, zitiert in Rüsenberg, 2004, S. 206).

      Demnach ist in einer

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