Mit allem rechnen (E-Book). Geri Thomann

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Mit allem rechnen (E-Book) - Geri Thomann Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

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(Strohschneider & von der Weth, 2002). Dieser Gedanke ist nicht neu. So findet sich in Kants «Prolegomena» (Kant, 1795, S. 4–10) eine wahrlich planungspessimistische und in Vergessenheit geratene Sentenz:

       Pläne machen ist mehrmalen eine üppige, prahlerische

       Geistesbeschäftigung,

       dadurch man sich nie ein Ansehen von schöpferischem Genie gibt,

       in dem man fordert, was man selbst nicht leisten kann,

       tadelt, was man doch nicht besser machen kann,

       und vorschlägt, wovon man selbst nicht weiss, wo es zu finden ist.

      Improvisiertes Handeln ist anschlussfähig

      Beim Verweis auf die handlungstheoretischen Ansätze blieb bis jetzt unerwähnt, dass anfangs die emotionalen, sinnlichen Anteile des Handelns zugunsten der rational-planbaren Regulationsaspekte ausgeblendet wurden. Auch wenn dies in späteren Arbeiten (vgl. Volpert, 1992) nachgeholt wurde, bildete sich parallel dazu eine handlungstheoretische Perspektive, die das «erfahrungsgeleitete Handeln» (Wehner & Waibel, 1997; Waibel-Fischer et al., 2004) und das «subjektivierende Handeln» (Böhle, 1989) in den Fokus rückte und in der betrieblichen Lebenswelt intensiv erforschte. Beide empirisch breit und gut untersuchten Perspektiven (Fischer et al., 2004; Böhle, 2017) sind durchaus anschlussfähig an das Konzept des improvisierenden Handelns. Das Konzept des subjektivierenden Handelns soll deshalb hier noch skizziert werden. Subjektivierendes Handeln wird in Böhle (2017, S. 27 ff.) durch besondere Umschreibungen der Vorgehensweise, der sinnlichen Wahrnehmung, des Denkens sowie der Beziehung zur Umwelt charakterisiert und vom objektivierenden Handeln abgegrenzt. Zu den genannten Charakteristika im Einzelnen, und zwar im Wortlaut:

      «Vorgehensweise: Planmässig-rationales Handeln verläuft nach dem Grundsatz ‹erst entscheiden, dann handeln›. Der praktische Vollzug des Handelns beruht demnach auf der Durch- und Ausführung von ex ante getroffenen Entscheidungen über Ziele und Mittel. Das subjektivierende Handeln beruht demgegenüber auf einem explorativ-dialogischem Vorgehen. Leitend sind Intentionen (Absichten), wobei die Ziele sowie insbesondere Mittel und Wege (erst) im praktischen Handeln und durch das praktische Handeln eruiert und festgelegt werden. Man tritt dementsprechend ‹in einen Dialog› mit den Dingen und wartet die ‹Antwort› des Gegenübers ab. Aktion und Reaktion, Entscheiden und praktisches Handeln sind unmittelbar verschränkt und in einem kontinuierlichen Fluss.»

      «Sinnliche Wahrnehmung: Das explorativ-dialogische Vorgehen ist mit einer besonderen Art der Wahrnehmung verbunden. Sie richtet sich beim Erkennen und Beurteilen der jeweiligen Gegebenheiten nicht nur auf exakte und eindeutig definierbare Informationen, sondern vor allem auf diffuse und nicht präzise beschreibbare Eigenschaften und Ausdrucksformen».

      «Denken: Mentale Prozesse sind unmittelbar ins praktische Handeln eingebunden. Sie sind solchermassen wahrnehmungs- und verhaltensnah. Sie erfolgen weniger in Begriffen und logisch schlussfolgernd, sondern in Bildern und Assoziationen. Konkrete Ereignisse und Abläufe werden ‹wie in einem Film› vergegenwärtigt. Dies bezieht sich auch auf akustische Vorgänge und Bewegungsabläufe. Assoziative Verknüpfungen entstehen dabei nicht beliebig, sondern ergeben sich aus ‹der Sache› und hiermit verbundenem subjektivem Erleben. […] Diese sinnliche Wahrnehmung ist verbunden mit einem subjektiven Empfinden, das sich in einem leiblichen Spüren äussert.»

      «Beziehung zur Umwelt: Die Beziehung zur Umwelt beruht beim subjektivierenden Handeln nicht auf Distanz und Trennung, sondern auf Nähe und Einheit sowie Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit. So werden auch materielle Gegebenheiten ‹als› beziehungsweise ‹wie› Subjekte wahrgenommen und behandelt. Ihr Verhalten wird als nicht vollständig berechenbar und determiniert, sondern als Ausdruck eines ‹Eigenlebens›, auf das man sich einstellen muss, betrachtet» (Böhle, 2017 S. 27 ff.).

      Zum subjektiven Erleben gehörte immer schon, dass ein Handlungsvorhaben mit Risiken, mit Unsicherheit und Unwägbarkeiten verbunden ist. Davon wird in diesem Band noch oft die Rede sein, vor allem auch im Beitrag von Thomann (S. 46). Wir widmen diesem Aspekt ein kurzes Kapitel und schliessen damit Teil I des Textes ab.

      Handeln in komplexen Situationen: Handeln unter Unsicherheit

      Bildungsinstitutionelles Führungshandeln, aber auch unterrichtliches Planen und die Durchführung von Lehrveranstaltungen sind häufig Handeln in einem komplexen System und damit immer auch Handeln unter Unsicherheit (Grote, 2009 oder der Beitrag von Thomann, S. 46). Dieser Hinweis hätte zwar auch als erster Satz des Textes stehen können – er dient uns nun für den Ausklang von Teil I und zur Überleitung zu Teil II des Textes.

      In komplexen Situationen bestehen dynamische Wechselwirkungen zwischen Innen- und Aussenwelt, es herrschen Un-Ordnung sowie Mehrdimensionalität und es fehlen strukturierte Verfahren, die Gewissheit bieten oder gar Richtigkeit versprechen. Was hier hilft, ist ein reflexiv-iteratives Handeln, dass die verschiedenen Sichtweisen – die sich durch das Handeln ergeben – zu stimulieren und zu koordinieren vermag. Komplexität erlaubt keine guten Prognosen und vorhersehbare Situationsbeschreibungen. Komplexität verlangt einerseits ein permanentes Beobachten der Umgebung, um Muster zu erkennen und zu prüfen, und andererseits ein zweckoffenes Experimentieren zur Erzeugung von Mustern, Routinen und Regeln. Beides dient nicht dazu, gesicherte Aussagen über die Zukunft zu machen, sondern es dient einem Stimulieren von Entwicklungspotenzial, um Anpassungsfähigkeit in der Gegenwart zu erzeugen. Die Pläne, Routinen oder Regeln – die auch in komplexen Kontexten sinnvoll sind – erhalten die Funktion, dass man sie diskutiert und sich als Handelnder positioniert – sie sind nicht dazu da, gehorsam umgesetzt zu werden. Um die innere Befindlichkeit in solchen Situationen zu beschreiben, sei auf die folgende Vierfeldertafel (Abb. 2) verwiesen.

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       Abbildung 2: Vorgehensweisen in einfachen versus komplexen Situationen (nach Wippermann, 2012)

      In einfachen Situationen, in denen beispielsweise Dozierende klare Entscheidungen treffen und sie routinierte Handlungsmuster zur Zielerreichung verwenden können, herrscht «produktive Ruhe». Treten in diesen Situationen allerdings Überraschungen (unerwartete Ereignisse) auf, dann wird «un-produktive Unruhe» erlebt; unproduktiv deshalb, weil vorderhand Handlungskompetenzen und -routinen fehlen und man sich irgendwie durchwursteln oder gar als gescheitert aufgeben muss. In komplexen Situationen, in denen schlecht strukturierbare Entscheidungssituationen vorliegen und dennoch mit routinierten Handlungsmustern und nicht etwa mit improvisierendem Handlungsvermögen vorgegangen wird, kommt es zu «un-produktiver Ruhe». Unproduktiv deshalb, weil das Vorgehen eher zum Scheitern als zur Bewältigung der situativen Anforderungen führt. Werden komplexe Situationen auch als solche wahrgenommen und das Vorgehen als unbekannt eingestuft, herrscht «produktive Unruhe»: die günstigste Voraussetzung für den Umgang mit Komplexität in Organisationen und auch für improvisierendes Handeln. Um dies nachvollziehen zu können, muss im Folgenden auf Charakteristika organisationalen Handelns eingegangen werden, da wir in Teil I primär individuelles Handeln beschrieben haben. Um das Handeln in Organisationen zu verstehen, sei folgende Ausgangsfrage formuliert:

      ▸Wie lässt sich auf organisationaler Ebene eine Handlungsform beschreiben, die von Sensibilität für den Umgang mit Unerwartetem, einer produktiv-reflexiven Haltung zu nicht antizipierten Ereignissen und einem Hinterfragen von organisationalen Routinen gekennzeichnet ist?

      Improvisation

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