Der Glückskompass. Michael Kunze
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DAS RÄTSEL DER PHASEN
Noch etwas Bemerkenswertes zeigte sich in Eunkook Suhs Langzeitstudie. Einschneidende positive wie negative Lebensereignisse waren bei den Teilnehmern nicht etwa willkürlich über die vier Jahre verstreut. Stärkere positive und negative Lebensereignisse lagen vielmehr meist nahe aneinander. Wenn besonders schlimme Dinge passierten, passierten bald auch besonders gute, und umgekehrt. Dazwischen gab es längere Phasen, in denen den Teilnehmern weder besonders positive noch besonders negative Dinge wiederfuhren.
Warum das so ist, dafür gibt es noch keine rationale Erklärung. Die Forscher wissen es einfach nicht. Sie haben allerdings festgestellt, dass wir solche Verdichtungen normalerweise nicht wahrnehmen. Wir würden die Phasen nur wahrnehmen, wenn wir die Ereignisse, die uns prägen, über Jahre hinweg als Punkte auf einer Zeitachse eintragen. Da wir das nicht tun, glauben wir fälschlich, dass sich positive und negative Ereignisse ohne Plan und Muster über unsere ganze Lebenszeit verteilen.
Das Rätsel der Phasen sollten wir uns immer dann in Erinnerung rufen, wenn uns gerade etwas besonders Schlechtes oder etwas besonders Gutes widerfahren ist. War es etwas besonders Schlechtes, haben wir gute Chancen, dass bald etwas Gutes eintritt. War es etwas besonders Gutes, sollten wir eher bescheiden bleiben.
DIE GEOGRAFIE DES GLÜCKS
Die Frage, was Glück eigentlich ist, ist damit allerdings noch immer nicht beantwortet. Einstweilen wissen wir, dass jeder Mensch Glück und Unglück in jeder Lebenslage empfinden kann, egal ob Lottogewinner oder Unfallopfer. Deshalb scheint das Glück ein Phänomen der Gegenwart, des Moments zu sein. Wir fühlen Glück immer in der Situation, in der wir uns gerade befinden. Auch wenn wir von einer schönen Zukunft träumen, fühlen wir Glück nur im Hier und Jetzt. Ob die Zukunft wirklich so schön wie in unserem Traum wird, wird sich dann erst zeigen.
Dennoch scheint Glück mehr als nur ein flüchtiger Stoff zu sein, der von einem Moment zum anderen vergehen kann. Glück kann andauern, denn es vollzieht sich in Wellen, die mehrere Monate bis eineinhalb Jahre andauern können. Darüber hinaus kann Glück sogar ein anhaltendes Lebensgefühl sein, wenn wir lernen, unser Leben trotz Aufs und Abs als prinzipiell glücklich anzusehen.
Glück hat dabei unendlich viele Gesichter und Facetten. Der Rausch beim Erklimmen eines Berggipfels, Schokoladenkuchen mit Vanilleeis und Erdbeeren, der Moment einer wichtigen Erkenntnis, das Lachen mit Freunden, der tolle Urlaub, die Beförderung, die Pakete unter dem Weihnachtsbaum und die großen Kinderaugen – all das kann Glück sein. Gibt es angesichts dieser Vielfalt überhaupt eine Antwort auf die Frage, was Glück nun eigentlich ist?
Viele berühmte Menschen, Philosophen, Künstler und Politiker haben auf diese Fragen wohlklingende, in inspirierten Momenten entstandene Antworten gegeben. Wir haben einige davon zur Inspiration in kleinen Kästen über dieses Buch verteilt. Doch diese Antworten bleiben letztlich immer persönlich und subjektiv. Sie schenken uns das eine oder andere Aha-Erlebnis. Wenn wir darüber hinaus versuchen, das Glück zu begreifen und mehr für uns daraus machen wollen, geht das mit diesen kurzen Antworten meist nicht.
Wenn wir uns an die Glücksforschung halten, wird die Sache kaum einfacher. Das Phänomen Glück lässt sich wissenschaftlich schwer eingrenzen. Es entzieht sich sogar so pragmatischen Methoden wie standardisierten Fragebögen, die Studienteilnehmer ausfüllen müssen. Versuche in diese Richtung gibt es genug und die Fragen beziehen sich meist auf die drei gleichen Bereiche:
Erstens. Die Einschätzung des eigenen Glücks im Vergleich zu jenem der anderen
Zweitens. Konkrete Gefühle und Momente des Glücks oder Unglücks
Drittens. Hintergrund des Glücks: Sinn, Ziele und deren Erreichbarkeit, Zugehörigkeit, Autonomie, Selbstwertgefühl und so weiter
Eine Studie von der Psychologin Gwendolyn Gardiner an der University of California zeigte, dass mit diesen Fragebögen immer ein Problem verbunden ist. Sie messen nicht das Glück an sich. Sie messen bloß, was in der Kultur der jeweiligen Forscher und der Testpersonen als Glück gilt.
So etwa funktionieren amerikanische Fragebögen in Amerika und in Europa. In Asien hingegen führen die im Westen entwickelten Fragebögen zu mehrdeutigen Antworten. Dort funktionieren Fragebögen etwa aus Japan viel besser. Weder die japanischen noch die amerikanischen Fragebögen erzielen jedoch im arabischen und afrikanischen Raum brauchbare Ergebnisse. Dementsprechend gibt es keinen Fragebogen, mit dem sich messen ließe, wo in der Welt die Menschen am glücklichsten sind.
Fragebögen und andere Erhebungsmethoden der Glücksforschung sind also durch die jeweilige Kultur verzerrt. Der kulturell geprägte Diskurs über das Glück ermöglicht es, über das Glück nachzudenken, schränkt dieses Denken aber gleichzeitig ein.
Glück ist überall etwas anderes. Es gibt keinen global einheitlichen Maßstab für Glück, keine einheitlichen Fragebögen, mit denen sich Glück quantifizieren und regional vergleichen lässt. Was wir als Glück wahrnehmen, hängt also auch davon ab, in welche Kultur wir geboren sind.
So etwa sind die westlichen Länder durch eine protestantische Ethik geprägt, die Glück mit Erfolg gleichsetzt. Die Antworten der Testpersonen sind stets von diesem Diskurs gefärbt und verzerrt. Im Gegensatz dazu steht etwa das Glücksempfinden der Filipinos. Obwohl die Philippinen zu den ärmsten Ländern der Welt gehören und regelmäßig von Naturkatastrophen, Korruption und politischen Konflikten betroffen sind, erhielten sie beim World Value Survey den höchsten Platz Asiens im subjektiven Wohlbefinden. Anstelle von materiellen Gütern und Erfolg haben für die Einwohner nämlich familiärer Zusammenhalt und Gesundheit die höchste Priorität.
DIE BIOLOGIE DES GLÜCKS
Wenn wir die Sache biochemisch betrachten, wird es etwas einfacher. Glück ist dann schlicht die Ausschüttung größerer Mengen an bestimmten Botenstoffen im zentralen Nervensystem. Diese Ausschüttungen sind so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner des Glücks.
Biochemisch betrachtet sind wir glücklich, wenn unser Nervensystem für ein gutes Niveau an Glückshormonen sorgt.
Diesen natürlichen und eigentlich unwillkürlichen Vorgang können wir beeinflussen, und zwar ganz ohne Medikamente oder Drogen. Denn unser Glücksempfinden entsteht aus einer Kette komplexer Wechselwirkungen zwischen Reizen, Geist und Körper. Die Kette dieser Wechselwirkungen kann sich entweder in eine für uns gute, neutrale oder in eine für uns schlechte Richtung entwickeln. Sie kann auch zunächst eine Richtung einschlagen und später in eine andere abbiegen.
Entwickelt sich die Kette in die für uns gute Richtung, fühlen wir uns zunächst wohl. Das macht uns aufmerksam, weil sich das Wohlgefühl ja zu einem richtigen Glücksgefühl steigern lassen könnte. Also gehen wir den Reizen nach, die zu dem guten Gefühl geführt haben. Wir aktivieren also willentlich biochemische Systeme, die bestimmte Botenstoffe herstellen und ausschütten.
Diese Botenstoffe, auch Neurotransmitter genannt, dienen der Kommunikation zwischen den Nervenzellen. Zusätzlich zu den rein elektrischen Impulsen übermitteln sie chemische Informationen. Wenn alles gut läuft und uns nichts zwischendurch frustriert, schüttet unser Nervensystem immer mehr dieser Botenstoffe aus. Es handelt sich um Dopamin, Opioide und Oxytocin, die sogenannten Glückshormone. Sind genug davon in unseren Nervenbahnen,