Lernendenorientierung. Tobias Zimmermann
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Das Einzige, was nicht nach diesem lang gehegten Plan lief, ist, dass die junge Frau jetzt schon im Bachelor studiert. «Eigentlich wollte ich nach der Kanti zuerst das Vorstudium machen.» Trotzdem ging sie an die Aufnahmeprüfung zum Studium, um sich schon ein Bild zu machen, was sie im kommenden Jahr erwarten würde. Dementsprechend war Patrizia auch nicht optimal vorbereitet. «Das Klarinettenvorspiel war kein Problem, aber in der Theorie war ich grauenhaft.» Und doch: Das Prüfungsresultat reichte, um fürs Studium zugelassen zu werden. Die Studentin erinnert sich: «Ich war überrascht. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.» Natürlich freute sie sich trotzdem, vor allem, weil sie es an ihre präferierte Hochschule geschafft hatte. Obwohl der 19-Jährigen Luzern eigentlich besser gefällt, wollte sie unbedingt nach Zürich – wegen eines Dozenten. «Nachdem ich von ihm Musikaufnahmen gehört hatte, wollte ich unbedingt bei ihm studieren.»
Täglich übt die junge Musikerin vier bis fünf Stunden auf ihrer Klarinette. Während dies für andere oftmals eine Schwierigkeit darstellt, gibt es ihr einen enormen Antrieb für ihr Studium. «Es ist toll, die Fortschritte zu sehen, welche ich regelmässig mache.» Plötzlich klingt ein Stück, das Patrizia vor zwei Wochen von ihrem Lehrer erhalten hatte und das ihr nur schon durch den Anblick der Noten den Schweiss auf die Stirn trieb, ganz leicht und schön. Das Üben bietet ihr auch einen guten Ausgleich zu den Theoriestunden. «Ich könnte niemals so viel lernen wie die Studierenden an der ETH, viel lieber übe ich.»
Auch Patrizia wird oft vom typischen Studienstress geplagt. «Wir haben etwa alle vier Wochen ein Vorspiel, das ist echt hart.» Kurz gesagt, heisse das für sie, dass sie häufig innerhalb von drei Wochen ein Stück konzerttauglich beherrschen müsse. Da ist es nicht immer einfach, alles unter einen Hut zu bringen – vor allem, wenn auch noch Theorieprüfungen anstehen. «Seit dem Studium habe ich schon weniger Zeit für mein Privatleben», gibt die 19-Jährige zu.
Trotzdem hält sie weiterhin an ihrem Ziel fest, Musikerin zu werden. Dabei ist sich die junge Frau allerdings bewusst, dass sie sicher auch als Instrumentallehrerin wird arbeiten müssen, obwohl ihre Zukunftsvision eigentlich eine andere ist. «Mein absoluter Traum ist es, später einmal berufsmässig in einem Sinfonieorchester zu spielen.» Patrizia weiss, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, an welchem viele scheitern. Aber sie lässt sich davon nicht verunsichern. «Ich werde einfach mein Bestes geben», lächelt die Klarinettistin.
Isabelle Rüedi studiert an der Universität Zürich Germanistik und Anglistik im Bachelor. Seit 2011 ist sie zudem als studentische Mitarbeiterin am ZHE – Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich tätig.
1 Quellen für diesen Beitrag sind die Daten des Schweizerischen Hochschulinformationssystems SHIS des Bundesamtes für Statistik BFS, die in verschiedenen Publikationen aufbereitet werden, die Sozialerhebung des BFS bei den Studierenden der Schweiz, die periodisch durchgeführt wird, sowie eine Befragung der Neustudierenden der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, einer Mehrsparten-Fachhochschule, die zusammen mit der Zürcher Hochschule der Künste und der Pädagogischen Hochschule Zürich die Zürcher Fachhochschule bildet.
2 Die folgenden Angaben stammen alle aus der Sozialerhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS 2010a). Sie beziehen sich auf das Jahr 2009 und auf Studierende in Bachelor-, Master- und Diplomstudiengängen.
3 Zu erinnern ist hier an die erhebliche Quote von «anderen schweizerischen Ausweisen» unter den Zulassungsausweisen (vgl. Abbildung 2) und an die geplante Reform des Bundesgesetzes über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbereich (HFKG), die für den Zugang an die FH nicht mehr zwingend eine Maturität verlangt.
Franziska Zellweger
«Das Studium war schon immer anspruchsvoll»
Ein Interview mit Frau Dr. Johanna Margrethe Ammitzböll, Leiterin Beratungsstellen ZHAW
Im vorhergehenden Artikel weist Urs Kiener auf der Basis statistischer Daten auf eine starke Zunahme der Heterogenität der Studierenden an den Fachhochschulen hin. Im folgenden Gespräch mit Frau Ammitzböll wird der Versuch unternommen, den Auswirkungen dieser Entwicklung aus der Sicht der psychologischen Studienberatung auf den Grund zu gehen. Ihre präzisen Schilderungen geben spannende Hinweise − einerseits auf das Erleben einzelner Studierender, andererseits auf die gesellschaftlichen und organisatorischen Veränderungen im Bildungssystem. Eines sei vorweggenommen: In der Einschätzung von Frau Ammitzböll war das Studium schon immer anspruchsvoll. Allerdings liefert sie viele Hinweise auf den veränderten Leistungsdruck als eine zentrale Herausforderung für die Studierenden.
F. Zellweger (FZ): Frau Ammitzböll, welche Erfahrungen haben Sie in der Beratung von Studierenden?
J. Ammitzböll (JA): Ich bin seit dreissig Jahren am Technikum Winterthur (heute ZHAW) tätig. Zuerst war ich Dozentin für Psychologie und Lerntechnik. Im Laufe der Zeit entstand bei den Studierenden das Bedürfnis, auch persönliche Fragen zu besprechen. Daraus entwickelte sich die Beratungsstelle der Schule. Daran beteiligt war ein Team von Dozierenden − ich als externe Psychologin.
FZ: Sind Sie heute auch noch in der Lehre tätig?
JA: Ich bin bis heute im Rahmen eines Wahlfachs im Departement Technik (School of Engineering) in die Lehre involviert; ich hatte also während meiner ganzen Zeit an der heutigen ZHAW einen direkten Bezug zur Lehre und erlebte dadurch die Veränderungen der Schule über einen langen Zeitraum hinweg mit. In meinem Hauptberuf bin ich Psychotherapeutin. An der Fachhochschule bin ich denn auch hauptsächlich als unabhängige Psychologin tätig. Dabei habe ich mich im Laufe der 25 Jahre Beratungstätigkeit auf Lernstörungen und Studienprobleme spezialisiert.
FZ: Was sind aus Ihrer Sicht die konstanten Herausforderungen und Probleme der Studierenden, über 25 Jahre hinweg gesehen? Was ist gleich geblieben?
JA: Gleich geblieben sind all die Studienprobleme. Die Studierenden kommen mit dem Leistungsdruck nicht zurecht. Sie haben Schwierigkeiten, die gesetzten Lernziele zu erreichen. Prüfungsängste hindern sie, in Examenssituationen die erforderliche Leistung zu erbringen. In den Prüfungen erzielen sie dann ungenügende Noten. Gleich geblieben sind auch persönliche Problemstellungen und Kriseninterventionen.
FZ: Wann werden Kriseninterventionen nötig?
JA: Plötzlich auftretende schwierige Lebenssituationen können sie erforderlich machen. Das kann beispielsweise nach dem Ende einer Liebesbeziehung sein. Es kann sich auch um Depressionen oder Angstzustände handeln, die unmittelbar nach persönlichen Belastungssituationen auftreten. Es treten etwa akute Konflikte mit den Eltern auf, denn bei den Studierenden handelt es sich ja um Erwachsene, die vorwiegend aus finanziellen Gründen noch zu Hause wohnen. Dominant sind jedoch Leistungsprobleme – insbesondere während des Assessmentjahres, während dessen der grösste Teil der Selektion erfolgt. Die starke Konzentration der Prüfungen am Ende des Semesters kann bei Studierenden Versagensängste auslösen. Kriseninterventionen können auch bei akuten Problemen während der Ausarbeitung der Bachelorarbeit notwendig sein.
FZ: Das letzte Jahrzehnt hat viele Neuerungen gebracht. Was spüren Sie davon in Ihrem Alltag?
JA: Das Studium war schon zur Zeit des Technikums sehr anspruchsvoll. Die verschiedenen Reformen haben