Lernendenorientierung. Tobias Zimmermann

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Lernendenorientierung - Tobias Zimmermann Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

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Zum einen wurden mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses die Prüfungen ans Semesterende verlegt. Diese Verlagerung hat aus der Sicht der psychologischen Beratung die Situation der Studierenden in doppelter Weise verschärft: Zum einen ist der Prüfungsdruck heute deutlich höher, und zum anderen sind die Studierenden erst am Semesterende wirklich mit ihrer eigenen Leistungsfähigkeit konfrontiert.

      FZ: Was bedeutet diese Entwicklung für Ihre Beratungstätigkeit?

      JA: Heute kommen viele Studierende erst nach den ersten Modulendprüfungen in die Beratung, weil sie sich erst zu diesem Zeitpunkt eingestehen, dass sie den Anforderungen fachlich nicht entsprechen können. Diese Tatsache verschlechtert die Beratungssituation: Sie wird viel häufiger zur Krisenintervention.

      FZ: Welche weiteren Veränderungen sind erfolgt?

      JA: Zum Zweiten wurde im Zuge der Angleichung des Technikums an ein Hochschulstudium die Semesterwochenzahl deutlich verringert (von 19 auf 14 Wochen), ohne dass der Stoffumfang in den einzelnen Fächern wesentlich reduziert wurde. Weil im heutigen System die Module mit dem Ende des Semesters in der Regel abgeschlossen werden, fällt auch die unterrichtsfreie Zeit zwischen den Semestern als Lernzeit weg. Diese Konzentration des Lernprozesses auf eine deutlich geringere Zeitspanne führt für die Studierenden zu einem stärkeren Leistungsdruck. Nicht alle sind ihm gewachsen.

      Und als Drittes führt die Verlegung der Prüfungen ans Semesterende sowie ein höheres Mass an Selbststudium dazu, dass für den Erfolg der Studierenden auch ein stärkeres Selbst- und Zeitmanagement massgeblich wird. Viele Studierende sind nur unzureichend oder überhaupt nicht auf diese Lernsituation vorbereitet. Deshalb kommen sie in Schwierigkeiten. In der Beratung können diese Probleme gut bearbeitet werden – vorausgesetzt, dass die Studierenden frühzeitig in die Beratung kommen.

      FZ: Sie sprachen bisher in erster Linie vom Assessementjahr. Wie nehmen Sie die Situation im weiteren Studienverlauf wahr?

      JA: Diese Verschärfung der Studiensituation gilt hauptsächlich für das erste Studienjahr. Im zweiten und dritten Studienjahr kann gegenüber der Vor-Bologna-Zeit von einer Erleichterung gesprochen werden, da hier nicht mehr jedes Semester bestanden werden muss, sondern eine bestimmte Anzahl Module. Module können bis zu einem gewissen Grade wiederholt bzw. durch andere ersetzt werden.

      Eine Anmerkung sei hier noch angefügt: Es gibt ein Phänomen, das sich zu den dargelegten Punkten eher gegenläufig verhält. Ich stelle fest, dass im Vergleich zu früher mehr Studierende das Gefühl haben, dass sie neben dem Studium noch arbeiten können bzw. müssen. Das hängt zweifellos mit unzureichenden Fördermassnahmen für Studierende, aber auch mit einem neuen Selbstverständnis der jungen Erwachsenen zusammen. Jedenfalls führt diese Haltung zu Problemen, die die Studierenden dazu veranlassen, die Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Studierenden unterschätzen den psychischen und zeitlichen Aufwand für das Studium. Sie merken dann erst nach der Hälfte des Semesters, dass sie unter Druck geraten und die Stoffmenge nicht bewältigen können.

      FZ: Sie haben als Studienberaterin ursprünglich am Technikum Winterthur begonnen, also in einem traditionellen Fachhochschulbereich. Haben Sie inzwischen auch Berührungspunkte mit den neuen Fachhochschulbereichen?

      JA: Beim Übergang zur Fachhochschule sind sowohl durch Fusionen als auch durch die Akademisierung von Berufsgattungen neue Bereiche zur ZHAW hinzugekommen. In der Beratungsstelle der ZHAW bin ich auch für diese zuständig. So habe ich neu u. a. Kontakte mit Studierenden aus den Studiengängen Wirtschaft, Übersetzen, Journalismus und Organisationskommunikation, Life Sciences und Facility Management sowie Gesundheit.

      FZ: Stellen Sie grosse Unterschiede etwa zwischen Studierenden aus den Ingenieurwissenschaften und dem Gesundheitsbereich fest?

      JA: Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Studierenden dieser beiden Departemente besteht in der Tatsache, dass der Anteil derjenigen Studierenden, die über eine gymnasiale Maturität verfügen, im Bereich Gesundheit deutlich höher ist. Das gilt etwa auch für den Studiengang Journalismus und Organisationskommunikation. In diesen beiden Studiengängen kommt noch dazu, dass der Zugang zum Studium über eine Eintrittsprüfung führt. In den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Wirtschaft verstehen viele Studierende das Studium als eine zusätzliche Ausbildung bzw. eine Weiterbildung. Ein allfälliges Scheitern wird tendenziell nicht als Katastrophe betrachtet, weil man ja bereits über eine Ausbildung verfügt. Für Studierende mit einer gymnasialen Matur erscheint ein Scheitern verheerend zu sein, weil man dann ohne Berufsausbildung dasteht.

      FZ: Stehen in der Beratung dadurch andere Fragestellungen im Zentrum?

      JA: Bei Studierenden mit gymnasialer Matur stellt sich zuweilen nach einigen Wochen des Studiums die Frage, ob der eingeschlagene Weg der richtige sei oder ob nicht ein Wechsel des Studienfachs bzw. -orts sinnvoll wäre. Hier wird die Beratung tendenziell zur Berufsberatung. Die Beratungstätigkeit in den neuen Studienrichtungen wird auch dadurch verändert, dass bei diesen – im Unterschied zu denjenigen, die eine Lehre voraussetzen – längere Praktika zum Ausbildungsgang gehören. Der Praxistransfer stellt die Studierenden vor ganz neue Herausforderungen, die ebenfalls Anlass sein können, die Beratung aufzusuchen.

      FZ: Sie haben eingangs geschildert, dass die Herausforderungen für die Studierenden über die Zeit recht konstant geblieben sind, etwa der Umgang mit Stress, Leistungsdruck oder die Lebenssituation junger Erwachsener. Beobachten Sie auch gesellschaftliche Entwicklungen?

      JA: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Es kann wohl schon behauptet werden, dass bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen, so etwa der Trend zur Globalisierung, die geringere Sicherheit im Job, die hohe Mobilität oder die technische Spezialisierung, zur Folge haben, dass heute ein Lehrabschluss, z. B. im KV-Bereich, als Karrierestart nicht mehr ausreicht. Insbesondere dort, wo das Karrierebewusstsein oder der Wunsch, einmal international tätig zu werden, stärker ausgeprägt ist, scheint ein Bachelor- oder ein Masterabschluss notwendig. Falls bei den Studierenden tatsächlich ein Bewusstsein über diese Zusammenhänge vorhanden ist, steigt der Druck, im Studium erfolgreich zu sein. Zuweilen kommt dieser Druck vonseiten der Eltern. Das beobachte ich vor allem bei Studierenden mit einem Migrationshintergrund. Das grosse Ziel der Eltern ist es, dass ihre Kinder es dank einer höheren Ausbildung einmal besser haben werden, als sie es hatten. Diese Erwartungshaltung wirkt sich bewusst und unbewusst auf die Studierenden aus.

      FZ: Gelegentlich hört man, Studierende verstünden sich zunehmend als Kundinnen und Kunden. Spüren Sie dies in Ihrer Beratungspraxis?

      JA: Ich höre das von einzelnen Dozierenden. Im konkreten Kontakt mit den ratsuchenden Studierenden erlebe ich dies aber nicht so. Das hat wohl damit zu tun, dass diejenigen Studierenden, die die Beratung aufsuchen, zum einen wissen, dass bei ihnen eine Schwäche vorliegt, und zum anderen gerade selbst etwas dazu beitragen wollen, um die anstehenden Probleme zu bewältigen. Studierende mit einer ausgesprochenen Kundenhaltung fordern vor allem, dass die Dozierenden ihnen zu einem erfolgreichen Studium verhelfen. Von Erwartungen, dass die Dozierenden ihren Unterricht auch didaktisch angemessen gestalten sollen, höre ich in der Beratung auch. Doch schon vor dreissig Jahren waren Studierende mit der Unterrichtsweise gewisser Dozierender unzufrieden. Das war immer schon ein Thema.

      FZ: Sie begleiten Studierende seit Jahren in schwierigen Situationen. Welche Empfehlungen möchten Sie vor diesem Hintergrund Dozierenden mit auf den Weg geben?

      JA: Im Departement Technik habe ich immer eine humanistische Tradition erlebt – in dem Sinne, dass es sowohl der Leitung als auch den Dozierenden ein Anliegen war, dass möglichst viele

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