Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden. Bernd Schmid

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Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden - Bernd Schmid EHP - Handbuch Systemische Professionalität und Beratung

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Menschen in Organisationen

      Es geht um den Menschen in Organisationsfunktionen, da Berufstätigkeit in der Regel mit Zugehörigkeiten zu und Funktionen in Organisationen verbunden ist. Die dort vorgefundene Organisationskultur berührt unmittelbar die Lebenskultur der darin wirkenden Menschen. Professionelle Persönlichkeitsentwicklung und Organisationskulturentwicklung stehen daher in einem engen Zusammenhang. Im Funktionsträger treffen Professionskultur und Organisationskultur aufeinander. Sie können sich im kritischen Dialog bereichern oder zu schwer erträglichen Konflikten führen. Beide können als eigene Dimensionen beschrieben werden: die Charakteristika des Berufsfeldes wie die Eigenschaften einer Organisation in ihren Umwelten.

      Zur Funktion kommt die Individualität des Menschen hinzu. Sie kann auch unabhängig von Beruf und Organisation beschrieben werden, da sie sich auch in anderen Bereichen in ihrer Unverwechselbarkeit zeigt. In jedem Fall betrachten wir Persönlichkeit immer im Zusammenhang mit konkreten Welten und Lebensvollzügen darin. Daher kann professionelle Persönlichkeitsentwicklung tiefer gehend nicht losgelöst von der Entwicklung der Professionen selbst, den professionellen Gemeinschaften und der Organisationen verstanden werden. Wer also den Menschen und seine Entwicklung im Beruf und in der Organisation verstehen will, muss sich um ein Verständnis von Professions- und Organisationswelten bemühen.

      Die Professionen und die sie vertretenden Gemeinschaften wiederum können kaum ohne die Entwicklung der Märkte für Arbeits- und Dienstleistungen verstanden werden. Und diese sind wiederum mit anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf schwer durchschaubare Weise vernetzt.

      Es muss also heute in der persönlichen und beruflichen Selbstverwirklichung eine Komplexität berücksichtigt werden, die privat unmittelbar einfühlbare Perspektiven überfordert. Wer mithalten will, muss lernen, irgendwie damit umzugehen. Mangelnde Kompetenz im Umgang mit dieser Komplexität führt zu Misserfolgen, die wiederum die professionelle Entwicklung, die Lebensgestaltung und das Lebensgefühl erheblich beeinträchtigen.

      Wer sich als Spielball der Entwicklungen blind und ohnmächtig fühlt, reagiert auf Dauer mit seelischen und sonstigen gesundheitlichen Belastungen. Fachleute beobachten eine dramatische Zunahme depressiver Erscheinungsbilder. Man kann sich leicht vorstellen, dass dies auch mit den erschwerten Anforderungen an berufliche Lebensgestaltung zu tun hat.

      Es geht damit auch um das Leben auf privaten und sonstigen gesellschaftlichen Bühnen. Entsteht Entwicklungsbedarf, stellt sich auch die Frage, welche Verfahren (z. B. Psychotherapie) oder multidisziplinäre Ansätze eher geeignet sind, Menschen bei ihrer Lebensgestaltung und ihrer persönlichen und beruflichen Selbstverwirklichung in einem derartig komplexen Bedingungsgeflecht zu unterstützen.

      Zwar lassen sich berufsbedingte psychische Störungen treffend in psychotherapeutischen Dimensionen beschreiben, jedoch ist Psychotherapie gesellschaftlich gesehen keine Lösung. Davon haben uns viele Jahre als Praktiker und Lehrer auf dem Gebiet der Psychotherapie überzeugt. Durch die Einseitigkeit der Ansätze dort, bei gleichzeitigem Anspruch auf umfassende Erklärung menschlicher Schicksale, sind Wirksamkeit und Anschlussfähigkeit der Psychotherapie begrenzt. Trotz einiger weiterführender Ansätze wird meist versucht, die individuelle Lebensgestaltung der Menschen auch im beruflichen und gesellschaftlichen Bereich aus der privaten Lebensentwicklung heraus zu verstehen und zu verändern. Die konkreten beruflichen und gesellschaftlichen Lebenswelten müssten in der Psychotherapie wesentlich mehr und besser berücksichtigt werden. Dies ist ohne eine umfassende Veränderung der Perspektiven, der Konzepte und Methoden der Psychotherapie kaum möglich.

      Wahrscheinlich funktioniert es umgekehrt: Eine gelungene multidisziplinäre Auseinandersetzung mit der Berufs- und Organisationswelt stellt den entscheidenden Beitrag auch zur Gesundheit des Einzelnen und der Gesellschaft dar. Für das Berufsleben und ein kompetentes Ausfüllen von Organisationsfunktionen sind psychotherapeutische Betrachtungen nur eine und oft nicht die entscheidende Perspektive. Dort, wo diese hilfreich sind, sind sie willkommen, sollten aber in Konzepten und Methoden kompetent mit den vielen anderen Perspektiven der Berufs- und Organisationswelt integriert werden.

      Warum unterscheiden wir zwischen Menschen im Beruf und Menschen in Organisationen?

      Menschen mit beruflichen Kompetenzen können in bestimmten Organisationen dennoch wenig erfolgreich sein beziehungsweise wenig Zufriedenheit erfahren. Dies kann damit zu tun haben, dass sie die Welt dieser Organisation nicht hinreichend verstehen oder nicht zu ihr passen. Umgekehrt gibt es Menschen, die in bestimmten Funktionen und Organisationen groß geworden sind, die jedoch kein eigenes professionelles Selbstverständnis entwickelt und sich in keiner professionellen Gemeinschaft beheimatet haben. Sie wissen dann oft nicht, wer sie beruflich sind, und geraten völlig aus dem Lot, wenn sie sich plötzlich auf dem Arbeitsmarkt neu orientieren müssen. Daher unterscheiden wir den beruflichen Lebensweg einerseits und bestimmte Funktionen in bzw. die Zugehörigkeit zu Organisationen andererseits. Die Perspektiven zu unterscheiden, schafft die Voraussetzung für getrennte Betrachtungen und für Fragen der Passung der Entwicklungen in beiden Sphären.

      Viele Menschen geraten in berufliche Tätigkeiten und Organisationsfunktionen, die sie nicht befriedigen und ausfüllen können. Das ist gar nicht so selten, wird jedoch oft eher unterschwellig empfunden. Sich dies einzugestehen, ist häufig mit Scham behaftet und wird leicht ausgeblendet, zum Beispiel wenn es nicht zum gewünschten Selbstbild passt. Unzureichende Passung wird dann als diffuses Unbehagen erlebt. Manchmal schwelt im Hintergrund stumme Verzweifelung (Berne 1964, Schmid 1989). Wenn man damit zu tun hat, ist es nicht einfach, angemessen zu beschreiben, wo die Diskrepanzen liegen und was zu tun wäre, um Abhilfe zu schaffen. Dazu bedarf es feinsinniger Gespräche.

      Kompetenz und Bereitschaft zu gemeinsamen Klärungen solcher Fragen sind in professionellen Gemeinschaften und Organisationen meist nicht sonderlich ausgeprägt. Daher leben die Menschen und die Organisationen oft viele Jahre mit Minderleistungen und persönlichen Belastungen. Diese könnten durchaus vermieden werden, wenn die differenzierte Klärung solcher Passungs-Fragen selbstverständlicher Bestandteil professioneller Kompetenz und Organisationskultur wäre. Hierzu bedarf es, neben Gesprächstechniken, eines differenzierten Verständnisses von Persönlichkeit bezogen auf Berufs-lebenswege und Organisationsfunktionen. Diese sind heute in komplexer gewordene Welten eingebettet und können immer weniger losgelöst von einer umfassenderen gesellschaftlichen Umwelt verstanden werden. Daher geht es um den Menschen als Mittelpunkt einer persönlichen Biografie und gleichzeitig als Mitglied einer sich zunehmend globalisierenden Gesellschaft.

      Stehen wir also wie David vor dem Goliath der Überkomplexität, mit der wir irgendwie zurechtkommen müssen? Antworten finden wir meist nicht mehr dadurch, dass wir uns auf einige Beschreibungen und Steuerungsebenen konzentrieren und die eigene Kompetenz dort perfektionieren. Dies käme einem Versuch der illusionären Beherrschung der Aufgabenstellungen gleich. Hingegen ist Der flexible Mensch (Sennett 1998; orig.: The Corrosion of Character) heute der Mensch, der lebenslang an möglichst kompetenten Varianten der prinzipiellen Unwissenheit arbeitet.

      Es geht also um Selbstverständnisse und Kompetenzen an den Knotenpunkten zwischen Persönlichkeitskultur, Professionskultur, Organisationskultur und der Kultur des Wirtschaftens unserer Gesellschaft.

      Die starke Betonung des Menschen könnte den Eindruck erwecken, dass hier von einem Gegensatz zwischen der Wohlfahrt

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