Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden. Bernd Schmid

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Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden - Bernd Schmid EHP - Handbuch Systemische Professionalität und Beratung

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wenn mich Leute in der Hinsicht als gestört dargestellt haben, habe ich mich durchaus darin wiedergefunden. Was mich störte bzw. zunächst verunsicherte, war die Pathologisierung meiner Persönlichkeitsausprägung. Später haben mich Lehrer wie z. B. Theodor Seifert, der Jungianer, oder andere Autoritäten, die diese Pathologisierung nicht mitgemacht haben, eher be- und gestärkt, weiter meinen Weg zu gehen. Dieser Weg war natürlich nicht nur durch Einseitigkeiten, sondern auch durch viele Kompetenzen geprägt. Ich habe dadurch im Laufe der Jahre zu einem Okay-Gefühl gefunden. Wenn ich auch heute noch manchmal Defizite feststelle und merke, da fehlen mir Dinge, die andere Menschen haben, bedauere ich das, weil ich gerne diese menschliche Dimension mehr erleben würde. Aber es ist keine Frage mehr eines Okay-Seins und Nicht-okay-Seins.

      CG: Du konntest also die Nicht-okay-Gefühle loslassen und hast damit auch persönlich von der Auseinandersetzung mit deiner Berufsrolle profitiert. Und die Evaluationsstudie war eine der Möglichkeiten, die Frage deiner professionellen Wirksamkeit zu überprüfen.

      BS: Genau … Insgesamt haben sich meine Hoffnungen, dass ich durch die Art und Weise, wie ich arbeite, auch Menschen ganz verschiedenen Typs erreiche und etwas Relevantes für ihre Lebensentwicklung beitragen kann, durch diese Arbeit – soweit man dies auf diese Weise erforschen kann – sehr bestätigt. Ich habe mir, wenn man so will, mit dieser Untersuchung das Plazet der relevanten anderen geholt. Und damit war die Diskussion für mich eigentlich abgeschlossen.

      Resonanz und Wirkung waren gut bei dem ungewöhnlich geringen Ressourceneinsatz dieser Arbeitsform. Die meisten der TeilnehmerInnen haben die Seminare nur ein-, höchstens zweimal besucht. Und sie sind nicht deswegen nicht wiedergekommen, weil es ihnen nicht gefallen hat, sondern weil ihnen die vier intensiven Tage ausgereicht haben. Diese Ökonomie entspricht auch meiner ganzen Haltung, dass Menschen in ihrer Aufmerksamkeits- und Energiebesetzung durch Therapie und Beratung möglichst wenig aus ihren Lebenszusammenhängen abgezogen werden sollen. Vielmehr sehe ich beide Arbeitsformen als einen Boxenstopp, bei dem Klienten einen Kick bekommen, ansonsten aber in ihrem Leben bleiben, sodass Therapie und Beratung nicht zu Ersatzbühnen werden.

      CG: Nun sind ja die Ergebnisse solcher Evaluationsstudien – zumal wenn sie vom Behandler selbst durchgeführt werden – an sich kein objektiver Beweis und können strengen wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen.

      BS: Nein, natürlich nicht. Aber damals war ich mir unsicher, ob das, was mir persönlich plausibel war, auch für die betroffenen Menschen über den Augenblick hinaus relevant war. Man bildet sich ja gerne was ein und findet um sich herum dann auch die Menschen, die einen darin bestätigen, und darum ist man immer in Gefahr eine Sekte zu werden. Und deswegen habe ich Fragen, die mich bewegt haben, in einem Fragebogen gestellt, wie z. B.: Fühlen Sie sich emotional angenommen? Fühlen Sie sich richtig verstanden? Hat es Ihnen gut getan? Hat es Wirkungen auf ihren Alltag? usw. Dies waren die Fragen, vor denen meine Arbeit Bestand haben sollte.

      Heute brauche ich diese Absicherung in der Weiterbildung von kompetenten Professionellen nicht mehr. Unsere Teilnehmer sind erfolgreiche Professionelle, im Durchschnitt ca. 40 Jahre alt und in vielerlei Hinsicht ganz unterschiedlich (Rollen, Vorbildungen, Branchen, Organisationstypen, Zuständigkeiten und so weiter). Wenn Leute, die im Leben auf vielen Bühnen in der Bewährung stehen, öfter wiederkommen, obwohl sie stattdessen ihr beachtliches Ein- und Fortkommen mehren könnten, und wenn sie ihre Freunde, Partner, Mitarbeiter und Vorgesetzte schicken oder durch ihre Empfehlung das Vertrauen in ihre Urteilskraft riskieren, dann gibt es für mich heute keine bessere Bestätigung dafür, dass wir auf einem guten Weg sind.

      Resümee

      CG: Mein Resümee des Bisherigen ist: Im Grunde genommen geht es immer wieder um die Frage der Auseinandersetzung mit dem eigenen Werdegang und der Passung. Passungsklärung ist keine einmalige Aufgabe, sondern ein kontinuierlicher Prozess, in dem ein lebendiges und labiles System immer wieder ausbalanciert werden muss. Antworten auf Passungsfragen werden daher immer situations- und kontextbezogen bleiben. Sie ändern sich mit den Bedingungen: ein Halbtagsjob mag solange erfüllen, solange man in der anderen Hälfte des Tages durch andere Aufgaben gefordert ist. Fallen diese weg, ändert sich möglicherweise auch die Passung. Ein bisher eher schüchtern auftretender Mensch, der seine dominante Seite entdeckt, wird in seiner Firma vielleicht eine andere Funktion wahrnehmen wollen. Die Lebensform eines Freiberuflers, die bisher gepasst hat, kann ihren Reiz durch private Veränderungen verlieren usw. Die Variationsmöglichkeiten, die zu einer Unpässlichkeit führen, sind komplex und vielfältig, die Anzahl möglicher Passungen jedoch begrenzt: Ich kann mich nicht überall anpassen, ohne meine seelische Lebendigkeit zu verlieren, und institutionelle und organisatorische Bedingungen haben ebenfalls ihre begrenzte Veränderungskapazität. Das Spielfeld dazwischen jedoch erscheint mir recht groß. Um die Spielräume wahrnehmen zu können, scheint es mir wichtig zu sein, mich selbst wesentlich wahrnehmen zu können. Dazu brauche ich relevante andere, die mich spiegeln, mir notfalls dysfunktionale Anpassungen aufzeigen, mir aber auch neue Passungsmöglichkeiten aufzeigen.

      Und ich brauche den Mut, Veränderungen vorzunehmen, wenn ich spüre, dass mir als Zeichen mangelnder Passung meine seelische Lebendigkeit abhanden zu kommen droht.

      3. Mensch und Beruf – ein Überblick

      Haben Sie schon einmal einen größeren französischen Supermarché besucht? Es gibt fast alles, aber Sie finden nichts. Ähnlich mag es Ungeübten ergehen, wenn sie sich im Berufsleben zu orientieren versuchen. Welche Betrachtungen sind für eine geklärte Professionalität von Belang? Augenfällig sind Fachkenntnisse aller Art. Aber wie viele Professionelle (z. B. Lehrer) scheitern an fehlenden Fachkenntnissen? In einer breit angelegten Studie zu Coaching-Weiterbildung scheinen Inhalte nur zu ungefähr zehn Prozent deren Qualität auszumachen. Schwerer beschreibbare sonstige Kulturkomponenten solcher Weiterbildungen sind viel entscheidender. Für Professionalität sind die Komponenten, die traditionell als hintergründig angesehen werden, so entscheidend wie Ober- und Untertöne für Musik. Sie bestimmen den unverwechselbaren Sound, der charakteristisch bleibt, auch wenn Melodien wechseln. Wie in der Einleitung beschrieben, sind die zu einer geläuterten Professionalität gehörenden Hintergründe vielschichtig und vielfältig. Sich mit ihnen auseinanderzusetzen ist ein lebenslanger Prozess und letztlich viel spannender als Inhalte.

      Wir werden jetzt einen kleinen Überblick geben, aus welchen unterschiedlichen Wirklichkeitsbereichen (Denk-)Angebote in diesem Buch zu finden sind.

      Es geht um den Menschen, der im Beruf nicht nur einen Job oder eine Einnahmequelle sieht, sondern der sich in einem Berufsleben mit seiner professionellen Persönlichkeit, mit seinen Talenten und seiner Wertorientierung verwirklichen möchte.

      Es geht um den Menschen, der sich im professionellen Selbstverständnis selbst erfahren, sich in seinem gesellschaftlichen Engagement selbst verwirklichen will. Es geht also um den Menschen, der die Gestaltung seines Berufslebens als wesentlichen Bestandteil seiner Lebensgestaltung

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