Die Akademisierungsfalle. Rudolf H. Strahm

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Die Akademisierungsfalle - Rudolf H. Strahm

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      Grafik 1.5

      Wir haben innerhalb der Schweiz eine recht grosse Kluft in der Berufsbildungsintensität zwischen den sprachregionalen Landesteilen: In der Deutschschweiz beginnen gegen 70 Prozent der Jugendlichen ihre nach­obligatorische Ausbildung mit einer Berufslehre (um dann höhere Bildungsstufen anzuhängen), während in der französischsprachigen Schweiz und im Tessin nur 40 bis 45 Prozent eines Jahrgangs eine duale Berufs­lehre durchlaufen (► Grafik 1.6). Vom Bodensee bis zum Genfersee besteht ein enormes Gefälle in der betrieblichen Berufsbildungskultur: Während in der Ostschweiz die Berufsbildungsintensität der Betriebe mit ca. 8 Lehrstellen auf 100 Vollzeitbeschäftigte markant hoch ist, beträgt sie im Tessin nur knapp 4 Prozent und in Genf gar nur etwa 2 Prozent. Der schweizerische Durchschnitt liegt bei 5,7 Prozent, also 5,7 Lehrstellen pro hundert (vollzeitäquivalente) Beschäftigte. Lange Jahre galt die ungeschriebene Regel für die Betriebe: Sechs Ausbildungsplätze pro 100 Vollzeitstellen ist der Sollstandard.

      Grafik 1.6

      Die Landeskarten in ► Grafik 1.7 machen deutlich, wie die lateinische Schweiz höhere Maturitätsquoten (oberer Grafikteil) und ebenso höhere Universitätsabschlussquoten (unterer Teil) als die deutsche Schweiz aufweist. Dies ist historisch durch die unterschiedlichen Bildungstraditionen bedingt (keine Zünfte in der Romandie und im Tessin) und markiert die Bevorzugung der vollschulischen Bildungsgänge durch die Bildungs­eliten in der lateinischen Schweiz.

      Grafik 1.7

      Der Trend zur Akademisierung hat allerdings eine Kehrseite, die in ► Grafik 1.8 augenfällig wird: Sowohl die Jugendarbeitslosigkeit als auch die Quote der Personen ohne nachobligatorische Ausbildung («Ungelernte») liegen in der Romandie und im Tessin signifikant höher als in den Deutschschweizer Kantonen.24 Die Kantone mit schwach ausgebildeter dualer Berufsbildungstradition «bezahlen» dieses Defizit durch ein generell höheres Arbeitslosigkeitsniveau in allen Altersstufen. Diese innerschweizerische Disparität wird allerdings durch die überall gleich hohen Ansätze der Arbeitslosenversicherungsleistungen des Bundes ausgeglichen und geglättet.

      Das Bild, das wir von den europaweiten Vergleichen kennen, wiederholt sich also innerhalb der Schweiz, die mit ihren unterschiedlichen Bildungskulturen und Ausbildungssystemen ähnlich gelagerte Diskrepanzen wie der europäische Kontinent aufweist. Der Vergleich zwischen den sprachlichen Landesteilen innerhalb der Schweiz ist insofern aussagekräftig, als die Sprachregionen sich in der längerfristigen Betrachtung bezüglich der Wirtschaftswachstumsraten (BIP-Wachstum) nicht wesentlich unterscheiden – in Bezug auf die Wirtschaftsstrukturentwicklung allerdings schon: Die Desindustrialisierung und «Monacoisierung» der Westschweiz ist ausgeprägter.

      Zusammenfassend heisst dies: Wo die duale Berufsbildung fehlt, gibt es mehr Arbeitslose und mehr Jugendliche, die die Integration in den Arbeitsmarkt nicht schaffen. Wir stellen im Kapitel 6 weitere Sozialindikatoren vor, die klar belegen, dass die berufliche Grundbildung die wichtigste Strategie zur Armutsprävention und zum Schutz vor Arbeitslosigkeit darstellt. Die berufsorientierte Bildungs- und Integrationsstrategie ist klar das wirksamere und nachhaltigere Instrument zur Verminderung von Ungleichheit als sekundäre Umverteilungsmassnahmen wie Sozialhilfe und Sozialtransfers!

      Grafik 1.8

      Berufsbildungssystem ist das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft

      Kommen wir etwas weg von der personenbezogenen Wirkungsanalyse des Berufsbildungssystems. Wir haben bisher die personellen Vorzüge der ­dualen Berufsbildung bezüglich der individuellen Arbeitsmarktfähigkeit dargestellt. Nun fragen wir nach der wirtschaftlichen Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft. In diesem Kapitel steht die Performance der Schweiz im Fokus, im Kapitel 2 erweitern wir diese Analyse anhand internationaler Vergleiche auf die fünf Berufsbildungsländer.

      Grafik 1.9

      Befragt man eine repräsentative Gruppe von 3000 internationalen Managern nach den positiven Schlüsselfaktoren für den Wirtschaftsstandort Schweiz, steht die Qualität der beruflich ausgebildeten Fachkräfte (der «Skilled Workforce») gleich an zweiter Stelle nach der politischen Stabilität der schweizerischen Institutionen; und dieser Fachkräftefaktor wird wichtiger eingeschätzt als die tiefen Steuern, die verlässliche Infrastruktur und das allgemein hohe Bildungsniveau der Schweiz. Die ► Grafik 1.9 zeigt die Reihenfolge der Attraktivitätsfaktoren des Standorts Schweiz, wie sie subjektiv von den global tätigen Managern beurteilt werden.

      Ein ganz anderer, ebenso aussagekräftiger Indikator für den hohen Ausbildungsstandard in der schweizerischen Berufsbildung ergibt sich aus dem Qualitätsvergleich mit den Weltbesten: Bei den alle zwei Jahre durchgeführten Berufsweltmeisterschaften «World Skills Competition» mit rund 40 geprüften Berufsfeldern figurieren die schweizerischen Berufsabsolventen regelmässig in der Spitzengruppe, meist gleich nach Korea und allenfalls Japan, aber stets an erster Stelle unter den europäischen Nationen. In ► Grafik 1.10 ist die Spitzenrangierung der letzten vier Berufsolympiaden dargestellt. An der World Skills Competition 2013 in Leipzig massen sich 1000 Berufsleute unter 24 Jahren aus 54 Nationen in 46 Berufen. Dabei erzielten die Schweizer 17 Medaillen und 18 Diplome. In der globalen Gesamtwertung figurierten sie hinter Korea auf dem 2. Rang – vor allen europäischen Ländern.25

      Grafik 1.10

      Die Schweiz ist im internationalen Vergleich sowohl ein Hochlohn- als auch ein Hochpreisland (der ehemalige Preisüberwacher spricht aus Erfahrung). Nach Lehrbuchmodell müsste eigentlich die internationale Konkurrenzfähigkeit ihrer Wirtschaft wegen der Hochpreissituation strukturell Schaden nehmen. Doch das Gegenteil ist der Fall: In Bezug auf die Industrieproduktion, gemessen an der industriellen Wertschöpfung in Euro pro Kopf der Bevölkerung, liegt die Schweiz an der Spitze aller Industriestaaten – sie ist sogar höher als jene Deutschlands und der skandinavischen Länder, und auch weit höher als jene der USA (► Grafik 1.11).

      Grafik 1.11

      Auch in der Exportkraft liegt die Schweiz an der Spitze der europäischen Länder. Gemessen am Wert der totalen Warenexporte

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