Die Akademisierungsfalle. Rudolf H. Strahm
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Grafik 1.12
Die asiatischen Schwellen- und Transformationsländer gelten in der allgemeinen Wahrnehmung als die «gefährlichen», konkurrenzfähigen Newcomer auf den globalen Märkten. In Europa verdrängen sie mit ihren Exporten Millionen von Arbeitsplätzen in den traditionellen Industrien (wir werden in Kapitel 2 noch näher darauf eingehen). Dennoch ist die bilaterale Handelsbilanz des Hochlohnlandes Schweiz mit diesen wettbewerbsstarken, exportorientierten Niedriglohnländern Asiens und Südamerikas positiv: Mit allen Newcomern ausser mit China erwirtschaftet die Schweiz einen jährlichen Handelsbilanzüberschuss (► Grafik 1.13). Diese Länder benötigen auch Hochpreis-Industriegüter wie Textilmaschinen, Automaten, Roboter, Präzisions- und Messgeräte und Hochpreisuhren.
Hochpreisländer wie die Schweiz, Deutschland, Österreich, aber auch die Länder Skandinaviens haben auf den Weltmärkten nur einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie sich auf den Qualitätswettbewerb konzentrieren und sich aus dem reinen Preiswettbewerb von Massenkonsumgütern zurückziehen. Als Qualitätsmerkmale gelten zum Beispiel Präzision, Exaktheit, Innovation, Serviceleistungen, Termintreue oder Design – dies sind exakt jene Eigenschaften, die durch das Berufsbildungssystem in Kombination mit gutem, praxisorientiertem Management sichergestellt werden. Zusammengefasst heisst dies für uns: Nur der Qualitätswettbewerb und immer weniger der Preiswettbewerb garantieren die internationale Konkurrenzfähigkeit.
Die starke Performance der schweizerischen Wirtschaft zeigt sich allerdings nicht nur für den industriellen Bereich, sondern auch im Dienstleistungsbereich: global operierende Handels- und Logistikfirmen, Treuhand-, Vermögensberatungs- und Controlling-Dienstleistungen, Versicherungen, Banken.
Aber auch der Binnensektor mit dem teuren, aber hochstehenden Gesundheitswesen (Spitäler) und der öffentlichen Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur hat ein hohes Niveau an Qualität und sprichwörtlicher Zuverlässigkeit.
Die Lehre ist ein wichtiger Integrationsfaktor
«Dank der Lehre habe ich es geschafft, in der Schweiz Fuss zu fassen und mich zu integrieren. Darauf bin ich stolz», sagt Nexhmije Hoxha-Dauti. Stolz kann die 26-jährige Kosovarin in der Tat sein: Erst vor sieben Jahren kam die junge Frau ohne jegliche Deutschkenntnisse in die Schweiz. Inzwischen hat sie bereits erfolgreich eine dreijährige Lehre als Floristin absolviert, spricht Schweizerdeutsch und ist hier richtig gut angekommen. Doch was nach luftiger Leichtigkeit tönt, war in Tat und Wahrheit ein überaus hartes Stück Arbeit und hat viele Tränen, Anstrengung und Mühen gekostet.
Es war die Liebe, die Nexhmije Hoxha-Dauti in die Schweiz brachte. Die damals 18-Jährige besuchte im Kosovo das letzte Jahr des Gymnasiums, als sie ihren heutigen Mann kennenlernte – einen gebürtigen Kosovaren mit Schweizer Pass, der in seiner alten Heimat in den Ferien weilte. Nach einem Jahr Fernbeziehung und dem Schulabschluss entschloss sich Nexhmije Hoxha-Dauti, zu ihm in die Schweiz zu ziehen.
«Die ersten zwei Jahre waren extrem schwierig», erinnert sich Hoxha-Dauti. Sie habe nicht einmal alleine einkaufen gehen können, denn sie verstand kein Wort Deutsch und die Verkäuferinnen kaum Englisch. Ihr Mann habe sie zwar sehr unterstützt, ihr einen Deutschkurs nach dem anderen finanziert und zu Hause hätten sie bewusst nur deutsche Fernsehsender geschaut. «Aber das reichte einfach nicht», sagt Hoxha-Dauti. Alles war ihr fremd. Sie fühlte sich verloren und einsam. Ihr Mann, ein gelernter Bodenleger, arbeitete 100 Prozent und sie sass meist alleine zu Hause. Eine Zeitlang arbeitete sie als ungelernte Hilfskraft in einem Supermarkt. «Das war aber ganz schlecht für mein Selbstbewusstsein», erinnert sich die junge Frau. So hatte sie sich ihre Zukunft nicht vorgestellt. «Ich war drauf und dran, wieder in den Kosovo zurückzukehren», gesteht sie.
Doch dann die erlösende Wende: Nexhmije hörte vom Integrationsjahr, das Berufsfachschulen für fremdsprachige Jugendliche und junge Erwachsene anbieten. «Das Integrationsjahr war meine Rettung», erzählt die zierliche Frau mit leuchtenden Augen. Endlich lernte sie andere Leute kennen, denen es ähnlich ging wie ihr. «Wir sassen alle im selben Boot und hatten vergleichbare Schwierigkeiten.» Doch wie weiter nach diesem Spezialschuljahr? Der Beruf der Drogistin hätte Nexhmije Hoxha-Dauti sehr interessiert. Denn wenn sie im Kosovo geblieben wäre, hätte sie Pharmazie studiert. «Aber dazu reichten meine Deutschkenntnisse damals nicht aus.» Schliesslich konnte sie bei einer Floristin schnuppern gehen und erhielt gleich die Möglichkeit, eine einjährige Vorlehre zu absolvieren.
Der jungen Frau gefiel die Arbeit mit den Blumen und sie stellte sich geschickt an. So erhielt sie schliesslich einen Lehrvertrag für die dreijährige Ausbildung zur Floristin. Ein wichtiger Meilenstein für Nexhmije Hoxha-Dauti. «Ich spürte, dass ich auch in diesem Land etwas erreichen kann.» Das erste Lehrjahr sei sehr anstrengend gewesen. Sie habe immer alles zwei- oder gar dreimal lesen müssen, um wirklich zu verstehen. «Ich habe in jeder freien Minute gelernt.» Das hat sich gelohnt. «Nach und nach machte ich bessere Noten und mein Selbstwertgefühl stieg von Tag zu Tag», erzählt sie. Sie sei im Kosovo immer eine gute Schülerin gewesen, deshalb habe es sie belastet, dass sie in der Schweiz anfangs so unten durch musste, lacht sie. Im allgemeinbildenden Unterricht habe sie viel über die Schweiz, ihr politisches und gesellschaftliches System erfahren. «Das hat mich immer sehr interessiert.» Und es half, die Fremdheit zu vertrieben.
Im Sommer 2013 schliesslich konnte Nexhmije Hoxha-Dauti ihre Lehre erfolgreich abschliessen. Heute arbeitet sie 90 Prozent auf ihrem Beruf. Bereut sie nie, dass sie nicht im Kosovo Pharmazie studiert hat? «Nein», entgegnet sie energisch, «ich habe eine Sprache gelernt und es geschafft, mich in einer neuen Kultur heimisch zu fühlen. Das ist für mich so oder so ein Riesengewinn.»
Wie es für sie beruflich weitergeht, lässt die junge Frau offen. Sie kann sich gut vorstellen, eines Tages eine weitere Ausbildung in Angriff zu nehmen. Uhrmacherin würde sie interessieren oder eine Handelsschule. Sie schaut optimistisch in die Zukunft: «Mein Lehrabschluss ist meine Basis hier in der Schweiz. Darauf kann ich jetzt aufbauen.»
Grafik 1.13
Innovationskraft dank praxisorientiertem Bildungssystem
Das Ranking im europäischen Innovationsindex platzierte die Schweiz vor High-Tech-Ländern wie Schweden, Deutschland, Dänemark, Finnland und den Niederlanden an die erste Stelle (► Grafik 1.14). Das «Innovation Union Scoreboard» der EU, in welchem die Schweiz mit einbezogen ist, basiert auf einem Sammelindex mit 24 Einzelindikatoren. Es fällt auf, dass unter den ersten sechs Ländern wiederum vier Länder mit einem dualen Berufsbildungssystem stehen, zwei weitere Länder Skandinaviens verfügen über ein hohes Niveau an nichtdualer Technikausbildung. In Bezug