Mehr ausbrüten, weniger gackern. Andreas Müller

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Mehr ausbrüten, weniger gackern - Andreas Müller

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dabei allgemein das Denken, Fühlen und Handeln sowie – in motivationaler Hinsicht – Zielsetzung, Anstrengung und Ausdauer eines Menschen. Eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit korrespondiert mit größerer Leistungsfreude und besserer Gesundheit. (Bandura 1997)

      Orientierung

      Wer nicht weiß, wohin er will, muss sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt.

      LRF 1:

       Orientierung bieten

      Angenommen, jemand fährt in dunkler Nacht auf Nebenwegen nach Paris. Plötzlich taucht im Scheinwerferlicht ein Ortsschild auf. Der Fahrer kennt den Ort nicht. Aber er nimmt die Karte hervor. Und er sieht: Ah, da liegt diese Ortschaft. Und er kann erkennen, wie weit es noch geht bis Paris. Und wo die Autobahn verläuft. Anders gesagt: Er kann sich orientieren. Das gibt Sicherheit.

      Orientierungslosigkeit dagegen schafft Unsicherheit. Unsicherheit macht Angst und führt zu Abhängigkeiten. Das gilt auch und gerade fürs Lernen. Denn lernen soll ja von der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit führen. Das beginnt beim Kleinkind. Und es sollte in der Schule weitergehen. Das heißt: Die Schule muss den Lernenden Orientierung bieten auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit.

       a u f g e p i c k t

      Wer in die falsche Richtung geht, dem hilft auch Rennen nichts.

      In tradierten schulischen Settings dreht sich die Orientierung um die Lehrperson. Sie ist die Orientierung. Sie sagt, wann was zu geschehen hat. Sie sagt, was gut ist und was nicht. Die zentrale Frage, die Lernende sich stellen müssen, ist einfach: Was will er oder sie da vorne unter der Wandtafel? Die entsprechenden Anpassungsleistungen werden honoriert. Unter anderem durch gute Noten.

      Folgende Szene: Ein Lernender erklärt, er hätte eine Fünf5 haben sollen. Er habe jetzt aber nur eine Vier geschafft. Deshalb reiche es ihm nicht für den Übertritt. Wird dieser Lernende gefragt, was er denn mehr gewusst oder gekonnt hätte mit einer Fünf, wird er die Antwort wohl schuldig bleiben. In der Schule (und in den Diskussionen um Schulleistungen in der Familie) geht es selten um Inhalte. Es geht fast ausschließlich um Stellvertreter von Inhalten – in Form von Zensuren.

      Für alle Fächer legt ein Lehrplan die Themen fest. Bestimmt wird aber das, was in der Schule »durchgenommen« wird, von den Lehrmitteln – Kapitel um Kapitel, Seite um Seite. Sie sind, zusammen mit den Vorlieben der Lehrpersonen, der heimliche Lehrplan. Verstärkt ist jetzt noch das Teaching-to-the-test im Hinblick auf die Standards aller möglichen Vergleichsarbeiten und Testverfahren dazugekommen. Lernende haben sich an externe Drehbücher zu halten. Sie haben nachzusingen, was andere vorgesungen haben – Karaoke-Lernen.

      Wer hat, dem wird gegeben

      Die Orientierung an Inhalten erleichtert den Wissensaufbau. Denn: »Wissen ist der entscheidende Schlüssel zum Können« (Stern 2007). Damit ist nicht eine Ansammlung lebloser Fakten gemeint. »Mit derartigem Wissen kann man mit etwas Glück einige Runden im Fernsehquiz überstehen. Ansonsten ist isoliertes Faktenwissen unbrauchbar. Zweifellos sieht ein Großteil des in der Schule erworbenen Wissens genau so aus: einige korrekte Fetzen aus einem wüsten Haufen Müll. (…) Es gibt intelligentes und weniger intelligentes Wissen. Die Redewendung ›Wissen vermitteln‹ ist, wenn es um intelligentes Wissen geht, unangemessen. Intelligentes Wissen kann nicht über eine Art Fotokopierprozess vom Kopf des Lehrers in den Kopf des Schülers übertragen werden. Es muss vom Lernenden konstruiert werden, indem er mit der neu eingegangenen Information an sein bereits bestehendes Wissen anknüpft. Je mehr Wissen er hat und je besser dieses strukturiert ist, umso leichter kann er neu eingehende Informationen aufnehmen« (Stern 2007). Oder wie heißt es in der Bibel: Wer hat, dem wird gegeben.

      Lernen ist also ein individueller Konstruktionsprozess. Lernende lernen selbst. Es geschieht einfach. Wer aber sein Lernen zielführend gestalten will, muss sich orientieren können. Und zwar an Inhalten! Lernende müssen wissen, was man können könnte. Sie müssen wissen, wo sie stehen. Sie müssen Ziele sehen. Und das alles auf der Basis von klaren und transparenten Inhaltsbeschreibungen.

      Denn kompetenzorientiertes und selbstwirksames Lernen braucht Orientierung in Form von Referenzwerten.

      Selbstwirksamkeit kann auch umschrieben werden als Gegenteil des Gefühls, ausgeliefert zu sein. Dieses Gefühl der Abhängigkeit kann leicht entstehen in einem System, in dem Lehrpersonen, unterstützt durch Lehrmittel, den Stoff und die Dosierung weitgehend bestimmen.

      Selbstwirksames Lernen verlangt indes nach anderen Arrangements. Lernende müssen ihr Lernen selbst in die Hand nehmen können. Ein methodischer Ansatz dabei: Referenzieren.

      Worum geht es? Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, individuelle Leistungen mit einem Referenzwert in Beziehung zu bringen. Diesen Referenzwert und damit die inhaltliche Basis bilden so genannte Kompetenzraster.

      »Unbestritten ist«, stellt Anton Strittmatter klar, »dass aus dem heutigen Nebel der überladenen Lehrpläne und diffusen sowie widersprüchlichen Ansprüche an Schule und Unterricht herausgefunden werden muss, dass der Bildungsauftrag stärker fokussiert werden muss, und dies in Form von Kompetenzbeschreibungen (in der Art des Europäischen Sprachenportfolios) und zugeordneten Standards des Erreichens durch die Lernenden der verschiedenen Bildungsstufen. Dieser Ansatz macht jedoch nur dann Sinn, wenn die Standards eben auch Standards des Erreichens sein dürfen, was eine Politik des ›Mastery Learning‹ voraussetzt« (Strittmatter 2006).

      Beispiel Kompetenzraster

      Solche Referenzwerte sind anschaulich beschrieben in Kompetenzrastern. Kompetenzraster definieren die Kriterien (was?) und die Qualifikationsstufen (wie gut?) in präzisen »Ichkann«-Formulierungen. Das heißt: Ein Fachgebiet (zum Beispiel Englisch) wird aufgegliedert in relevante Kompetenzkriterien. Das Europäische Sprachenportfolio liefert ein Muster dazu. Was für Englisch und für das Europäische Sprachenportfolio gilt, gilt für andere Fächer und Fachgebiete in gleicher Weise. Es geht letztlich darum, ein Curriculum in eine Matrixform zu bringen. Und in die einzelnen Felder dieser Matrix wird in ansteigendem Anspruchsniveau das beschrieben, was man können könnte. Seit PISA ruft alle Welt nach klaren und transparenten Standards. Voilà!

      Zu diesen Referenzwerten bringen die Lernenden ihre Leistungen in Beziehung und setzen farbige Punkte in die entsprechenden Felder der Kompetenzraster. Auf diese Weise entwickelt sich für jedes Fach ein individuelles und differenziertes Kompetenzprofil. Die Lernenden sehen immer, wo sie stehen. Sie können ihre Situation anschaulich vergleichen mit den Anforderungen weiterführender Ausbildungen. Und sie können ihr Programm entsprechend bedürfnisgerecht gestalten. Der Ausgangspunkt liegt immer beim Ich-kann. Auf den Kompetenzrastern werden diese archimedischen Punkte des Lernprozesses sichtbar gemacht. Kompetenzraster schaffen Orientierung für die Schülerinnen und Schüler. Damit wird das Fundament gelegt für ein individuelles Lernen, das nicht Gefahr läuft, irgendwo in Frust oder Beliebigkeit zu enden. Denn die Lernenden können erkennen, wo sie stehen. Und sie können sehen, was die nächsten Schritte sind. Die Ziele sind klar. Sie sind der individuellen Situation angepasst. Das wiederum erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.

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