Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Группа авторов

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Gestalttherapie in der klinischen Praxis - Группа авторов EHP - Edition Humanistische Psychologie

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Kunst der GestalttherapeutIn ist deshalb sehr komplex: Sie anzuwenden ist ebenso schwierig wie sie weiterzugeben, weil die GestalttherapeutIn an einem Geist, an Prinzipien festhalten muss, ohne dabei die Kreativität zu verleugnen, die uns unsere Leidenschaft erlaubt.

      Bis vor zwanzig Jahren war es schwierig, in einer Beziehung zu bleiben. Heute ist es schwierig, sich in einer Beziehung selbst zu spüren. Bisweilen betrifft dieses Sich-nicht-Spüren sogar das Sexualleben: Die klinische Evidenz reicht von Ambiguität bei der Partnerwahl (Spagnuolo Lobb 2005d; Iaculo 2002) bis zur Unfähigkeit, sexuelles Verlangen im Körper wahrzunehmen. Das gestalttherapeutische Verständnis der »flüchtigen Angst« (liquid fear) (Bauman 2006) bezieht sich auf ein Gefühl, bei dem aus der Erregung, die zum Kontakt führen sollte, eine undefinierte Energie wird: gegenseitiges Spiegeln und das Containment der Beziehung, das Spüren der Anwesenheit des/der Anderen, die »Abgrenzung«, die uns erlaubt zu fühlen, wer wir sind – all das fehlt.

      Ich bin der Meinung, dass die Psychotherapie heute eine zweifache Aufgabe hat: den Körper zu re-sensiblisieren (Überwindung der Dichotomie virtuell/real) und Menschen Werkzeuge zur horizontalen Beziehungs-Unterstützung an die Hand zu geben, die ihnen dabei helfen, sich im Blick des/der gleichwertigen Anderen zu spüren (Überwindung der Dichotomie vertikal/horizontal in heilenden Kontakten).

      3. Grundprinzipien der Gestalttherapie in der klinischen Praxis

      Heutzutage scheinen bestimmte epistemologische Prinzipien der Gestalttherapie den Ansatz von anderen zu unterscheiden. Wenn mich heute jemand fragte, was an der Gestalttherapie besonders ist, würde ich Folgendes antworten.

      3.1 Vom intra-psychischen Paradigma zum Paradigma der ko-kreierten Zwischenheit

      Angesichts des heutigen kulturellen Trends mit seinem Fokus auf Beziehungen definiert die Gestalttherapie die ursprüngliche Eingebung der Begründer im Sinne der Ko-Kreation neu, die Erleben als ein Geschehen an der Kontaktgrenze, in der »Zwischenheit«, betrachtet, also zwischen dem Ich und dem Du (Spagnuolo Lobb 2003b).

      Auf dem Gebiet der klinischen psychologischen Praxis hat sich die Gestalttherapie, vor allem dank des Beitrags von Isadore From, von der Betrachtung der Interaktion zwischen Organismus und Umwelt, die auf die Befriedigung individueller Bedürfnisse abzielte (siehe Wheeler 2000a), hin zur Betrachtung des Organismus/Umwelt-Feldes entwickelt. Bei diesem Feld handelt es sich um ein ganzheitliches wahrnehmungsbezogenes Ereignis, aus dem Kontaktmodalitäten entstehen, die der/die PsychotherapeutIn begrüßt, um die klare Wahrnehmung und damit die Spontaneität des Selbst der PatientIn zu fördern.

      Ein klinisches Beispiel hierfür ist der Fall eines Patienten, der zur TherapeutIn sagt: »Ich war letzte Nacht in einem fürchterlichen Zustand und habe nicht geschlafen.« Nach dem Verständnis der heutigen Gestalttherapie drückt er damit nicht nur ein Erleben aus, das zu ihm gehört (»Ich möchte meinen fürchterlichen Zustand besser verstehen«). Er drückt auch etwas aus, das zum aktuellen Kontakt mit der TherapeutIn gehört, denn die Erwähnung des erinnerten »fürchterlichen Zustands« ist eine Möglichkeit, vom aktuellen Zustand zu sprechen. Es ist eine Frage der Gestalt/Hintergrund-Dynamik: Der Patient pickt bestimmte Anteile aus dem Erlebenshintergrund des Kontaktes mit der TherapeutIn heraus und lässt andere Anteile links liegen, in dem Moment, den er in der aktuellen Sitzung mit der TherapeutIn erlebt. Vielleicht möchte er ihr über eine Angst berichten, die mit der letzten oder der gerade beginnenden Sitzung zu tun hat. Er könnte zum Beispiel sagen wollen: »In der letzten Sitzung ist etwas passiert, das mir Angst gemacht hat. Ich hoffe, Sie merken jetzt, welche Auswirkungen das auf mich gehabt hat und können mich heute vor den negativen Folgen schützen.« Diese beziehungsorientierte Interpretation (korrekter wäre es, hier von »situationsorientiert« zu sprechen) erlaubt es der TherapeutIn, aus der traditionellen intrapsychischen Perspektive herauszutreten, sich bei ihrer Arbeit auf den »fürchterlichen Zustand« zu beziehen und zu sehen, was entsteht. Die TherapeutIn kann die Behandlung als Prozess sehen, der mit der Bewusstheit des Patienten für die Befriedigung (oder das Sublimieren) von Bedürfnissen verbunden ist. Und sie kann die postmoderne Position einnehmen, nach der die Behandlung ein Raum ist, der vom Patienten und der TherapeutIn ko-kreiert wird und in dem neue Kontaktmuster entstehen, die die Spontaneität des Selbst freisetzen.

      Die Wende vom intrapsychischen Paradigma hin zu dem der »Zwischenheit« impliziert, dass die TherapeutIn sich und die PatientIn nicht als separate Einheiten wahrnimmt, sondern als eine dialogische Gesamtheit –die PatientIn im Dialog mit der TherapeutIn / die TherapeutIn im Dialog mit der PatientIn (Yontef 2005). Jede Kommunikation seitens der PatientIn ist Teil der Gestalt der gegenseitigen Wahrnehmungen, durch die die beziehungsbezogene Intentionalität ausgedrückt wird, und erhält durch sie Bedeutung.

      Ein Beispiel soll den Unterschied veranschaulichen. Ein Patient sagt: »Ich spüre eine Anspannung im Bauch, ich weiß auch nicht … es ist, als ob ich wütend wäre.« Wenn die TherapeutIn einen »intrapsychischen« Ansatz hat, wird sie versuchen zu verstehen, von welchen vergangenen Erlebnissen diese Wut stammt, auf wen oder was der Patient wütend ist usw. Vermutlich sagt sie: »Konzentrieren Sie sich auf Ihren Körper und spüren Sie nach, an was Sie dieses Gefühl erinnert.« Wenn sie stattdessen das »Zwischenheit-Paradigma« nutzt, wird sie ihre Aufmerksamkeit auf das richten, was in der »Zwischenheit« dazu geführt hat, dass die Figur der Anspannung und der Wut im Bauch hat aufkommen lassen. Sie wird fragen: »Wie lässt das Mit-mir-Sein Anspannung und Wut entstehen? Was an mir macht Sie wütend? Und was halten Sie mir gegenüber zurück, das Anspannung in ihrem Bauch verursacht?« Wahrscheinlich ist der Patient zunächst etwas irritiert. Die TherapeutIn fordert ihn auf, sich Zeit zu lassen und zu atmen. Dann antwortet der Patient: »Wenn ich dran denke, dass Sie mich eine Viertelstunde lang haben warten lassen, bevor Sie mich hereingebeten haben, werde ich wütend.« An diesem Punkt bricht etwas auf, das die Heilung eines zuvor gestörten Beziehungsmusters erlaubt. Der Patient kann der TherapeutIn gegenüber spontan sein und die Retroflexion auflösen, die als gewohnheitsmäßig gewähltes Beziehungsmuster Anspannung im Bauch verursachte.

      Diese Art des therapeutischen Dialogs eröffnet dem Patienten die Möglichkeit, beziehungsbezogene Ängste zu überwinden, denen er durch eine Unterbrechung des Kontakts aus dem Weg gehen wollte (und die er dann vergessen hat). Wenn das aktuelle Beziehungsgeschehen erst einmal zurück an die Kontaktgrenze gebracht worden ist, kann die TherapeutIn eine ganze Reihe von gestalttherapeutischen Interventionen einsetzen, um die (inzwischen bewusste) Kontaktenergie zu unterstützen.

      3.2 Die therapeutische Beziehung als realer »Fakt«: die Vorherrschaft der Erfahrung

      Allgemein gesprochen betrachten psychotherapeutische Ansätze die therapeutische Beziehung als praktisches Werkzeug, mit deren Hilfe sich die realen Beziehungen im Leben der PatientIn verbessern lassen.8 Die Gestalttherapie hingegen misst der therapeutischen Beziehung den Charakter einer realen Erfahrung bei, die in dem Raum »zwischen« PatientIn und TherapeutIn geboren wird und ihre eigene Geschichte hat.

      Die therapeutische Beziehung wird tatsächlich weder als Ergebnis von Projektionen von Beziehungsmustern gesehen, die Teil der Vergangenheit der PatientIn sind, noch lediglich als Versuchsstation für das reale Leben, in dem »Tests« mit Beziehungsmustern durchgeführt werden, die sich in der Welt draußen als effektiver erweisen würden. Zwischen PatientIn und TherapeutIn entsteht eine einzigartige, nicht reproduzierbare Beziehung, in der die beiderseitigen Wahrnehmungen verändert werden. Die Arbeit an Mustern der Vergangenheit hat zum Ziel, diese Beziehung zu verbessern, nicht vergangene Beziehungen. Das, was zwischen dieser bestimmten TherapeutIn und dieser bestimmten PatientIn geschieht, konstituiert die Behandlung als eine der vielen möglichen Erfahrungen von Behandlung. Dies impliziert, dass die GestalttherapeutIn sich ganz auf die Beziehung einlässt, dass sie ihr eigenes Selbst nutzt.

      Die Behandlung baut tatsächlich auf zwei realen Menschen auf.

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