Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Группа авторов

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Gestalttherapie in der klinischen Praxis - Группа авторов EHP - Edition Humanistische Psychologie

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sagt sie: »Es war, als ich vor Ihnen die Fassung verloren habe. In diesem Moment hätte ich Sie gern umarmt. Sie zeigten keine Regung. Ich habe mich so gefühlt wie mit meinem Vater, als ich klein war. Ich konnte ihm nie sagen, wenn ich ein Problem hatte oder wenn ich glücklich war. All meine Versuche, ihn zu erreichen, wurden von seiner Strenge abgeschmettert. Sein ernster Blick war wie ein Blitz, der mich erstarren ließ. Bei Ihnen hatte ich das Gefühl, aus dem Gleichgewicht zu sein: Ich wusste nicht, wo ich in diesem Moment hin sollte. Vielleicht ist es sinnlos, spontan sein zu wollen.«

      Die TherapeutIn: »Also war ich eine Mauer für Sie, als ich ihr Gefühl nicht akzeptiert habe. Danke, dass Sie mir die Gelegenheit geben, jetzt nicht so zu sein. Versuchen Sie, mir zu sagen, was Sie mir über ihr Gefühl in der letzten Sitzung nicht erzählt haben. Ich höre Ihnen zu.«

      PatientIn: »Ich schäme mich ein bisschen.«

      TherapeutIn: »Sie sind so daran gewöhnt, unüberwindbare Mauern vor sich zu haben, dass es Ihnen peinlich ist, wenn keine Mauer da ist.«

      PatientIn: »Stimmt, das ist etwas Neues für mich.«

      TherapeutIn: »Atmen Sie ein, sehen Sie mich an und erzählen Sie mir, wenn Sie bereit sind – beim Ausatmen – von Ihrem Gefühl. Ich höre Ihnen zu.«

      Die PatientIn holt tief Luft, sieht die TherapeutIn an und sagt langsam: »Sie sind wichtig für mich. Ich mag Ihre Geduld, die Wärme, die ich intuitiv bei Ihnen spüre, wenn ich Sie ansehe. Danke, dass Sie hier bei mir sind.«

      TherapeutIn: »Wie geht es Ihnen jetzt?«

      PatientIn: »Gut, ich habe das Gefühl, das getan zu haben, was ich tun wollte. Ich fühle mich leicht und ich weiß, wo ich hin will. Es war wichtig für mich, Ihnen das zu sagen.«

      Die TherapeutIn definiert die von der PatientIn eingebrachte Figur (die unüberwindbare Mauer) als eine sich herausbildende Eigenschaft der Figur/Hintergrund-Dynamik, die den therapeutischen Kontakt belebt. Dadurch kann sie die Kontaktintentionalität der PatientIn nachvollziehen und unterstützen, sodass sie sich im Kontakt zwischen ihnen entwickeln konnte. Man könnte fragen, wie wichtig es in diesem Fall gewesen wäre, mit einer tatsächlichen Umarmung den »Übergang« zu fördern. Meiner Meinung nach musste in diesem Fall die Unterstützung eher darauf gerichtet sein, den Wunsch nach einer Umarmung offenzulegen, sich selbst als jemand zu definieren, der eine Umarmung will, statt die physische Bewegung zu vollziehen: eine Unterstützung der Persönlichkeits-Funktion und nicht so sehr der Es-Funktion des Selbst (siehe Kapitel 2). Die konkrete Umarmung wird durch diese auf der Definition des Selbst basierende Unterstützung des Kontaktes mit dem/der anderen möglich. Es ist wichtig, dass die GestalttherapeutIn den Übergang nicht als Allheilmittel für die PatientIn betrachtet, sondern die Sensibilität entwickelt zu entscheiden, was tatsächlich nützlich für die PatientIn ist. Das Risiko besteht in der Retroflexion unausgesprochener Gefühle seitens der TherapeutIn selbst und seitens der PatientIn. Dieser Zustand würde Abhängigkeit und eine Desensibilisierung an der Kontaktgrenze zwischen ihnen schaffen. Angesichts der Verführung einer Umarmung von der TherapeutIn sagt die PatientIn dann nichts und bleibt mit einem verwirrten Nachgeschmack zurück (das war nicht wirklich das, was sie wollte), der möglicherweise außerhalb der Sitzung als Kritik an der TherapeutIn oder der Psychotherapie verbalisiert wird. Um nicht unkritisch in überholten, verallgemeinernden humanistischen Mustern stecken zu bleiben, muss eine GestalttherapeutIn in der Lage sein, die Kontaktintentionalität nachzuvollziehen, die eine Figur aus einem spezifischen Hintergrund des beziehungsorientierten Erlebens der PatientIn heraus entstehen lässt.

      3.7 Das Selbst als Prozess, Funktion und Kontaktereignis

      Eine Schwäche in der psychoanalytischen Theorie des Ich brachte die Begründer der Gestalttherapie dazu, eine neue Theorie des Selbst aufzustellen:

      In der psychoanalytischen Literatur ist die Theorie des Selbst oder des Ich jeweils das notorisch schwächste Kapitel. In diesem Buch wagen wir es, eine neue Theorie des Selbst oder Ich zu entwickeln, indem wir die große Wirkung der schöpferischen Anpassung nicht weiterhin auslöschen, sondern bestärken. (Perls / Hefferline / Goodman, 2006, Bd. I, 49 f.)

      Das Selbst, der Dreh- und Angelpunkt, auf dem alle psychotherapeutischen Ansätze basieren, wird in der Gestalt-Therapie als die Fähigkeit des Organismus betrachtet, spontan, absichtlich und kreativ in Kontakt mit seiner Umwelt zu treten. Das Selbst hat die Funktion, in Kontakt mit seiner Umwelt zu treten (in unserem Sprachgebrauch ist dies das »Wie« der menschlichen Natur).

      Das Verständnis vom »Selbst als Funktion« ist unter den psychotherapeutischen und den Persönlichkeitstheorien nach wie vor eine einzigartige Sichtweise. Die Theorie der Gestalttherapie erforscht das Selbst als Funktion des Organismus/Umwelt-Felds im Kontakt, nicht als Struktur oder Instanz. Dieser Ansatz gründet sich nicht so sehr auf der Ablehnung von Inhalten und Strukturen. Vielmehr basiert er auf der Überzeugung, dass jeder, der sich eingehend mit der menschlichen Natur befasst, die Kriterien untersuchen muss, die Spontaneität hervorrufen, und nicht die Kriterien, die eine Schematisierung menschlichen Verhaltens begünstigen.

      Was bedeutet die Aussage, dass das Selbst als Funktion eine Fähigkeit oder einen Prozess ausdrückt? Nehmen wir das Beispiel eines neugeborenes Babys, das Milch trinkt: Es weiß, wie man trinkt. Die Fähigkeit des Kindes zu trinken (und später zu beißen, zu kauen, zu sitzen, zu stehen, zu gehen usw.) bringt das Kind in Kontakt mit der Welt und fördert seine Spontaneität. Wenn man dem Kind das Trinken verbietet (das Beißen, Kauen, Stehen, Gehen usw.), muss es kompensieren, indem es den Kontakt auf andere Weise herstellt. Es sucht also nach einer kreativen Anpassung an die Situation.

      Wenn ein Kind zum Beispiel schlechte Milch zu trinken bekommt oder für seine Krabbel-, Steh- oder Gehversuche bestraft wird, wird es von dieser Erfahrung nachhaltig beeinflusst. Die Gestalttherapie ist jedoch nicht daran interessiert, die Qualität der Milch oder das Verhalten der Eltern zu beurteilen: Sie richtet ihr Augenmerk vielmehr auf die Reaktion des Kindes. Dadurch können wir beobachten, wie man den Organismus unterstützen kann, damit er sein spontanes Funktionieren wiedererlangt. Nach unserer Auffassung lebt der Organismus für und durch dieses spontane Funktionieren: Kontakt, der durch mehrere Fähigkeiten zustande kommt. PatientInnen entdecken ihre Spontaneität nicht nur dadurch wieder, dass sie herausfinden, was nicht gut für sie war, sondern auch dadurch, dass sie neue Möglichkeiten erleben, in Kontakt zu treten, oder neue Fähigkeiten erschließen, spontan neue kreative Anpassungen vorzunehmen. Kurz gesagt dadurch, dass sie das Erleben des Organismus/Umwelt-Felds neu organisieren.

      3.7.1. Die drei Funktionen des Selbst

      Nachdem sie das Selbst als komplexes System von Kontakten definiert hatten, die für die Anpassung in einem schwierigen Feld notwendig sind, beschrieben die Autoren des Standardwerkes zur Gestalttherapie bestimmte »besondere Strukturen«, die das Selbst für »spezielle Zwecke« hervorbringt (ebd., 218). Diese Strukturen sind Gruppen von Erfahrungen, um die herum bestimmte Aspekte des Selbst organisiert sind. Die drei Autoren benutzen in ihrem Buch zwar psychoanalytische Begriffe (vor allem das Es und das Ich), die sie von dem damals gebräuchlichen psychologischen Vokabular »entliehen« haben, wie sie selbst sagen. Allerdings beschreiben sie sie in erlebnisorientiertem und phänomenologischem Sinn als Fähigkeiten der integrierten Funktionsweise in dem ganzheitlichen Kontext der Erfahrung, aus dem das Selbst besteht.

      Dieser epistemologische Widerspruch sorgt für Verwirrung. Anstatt diese Begriffe durch andere, erlebnisorientierte zu ersetzen, versucht man in der aktuellen Entwicklung der gestalttherapeutischen Theorie, diese Teilstrukturen des Selbsterlebens zugunsten anderer Prozesse wie der Ko-Kreation der Kontaktgrenze in den Hintergrund zu stellen. Es, Ich und Persönlichkeit sind nur drei von vielen möglichen Erfahrungsstrukturen: Sie werden als Beispiele für die Fähigkeit eines Menschen verstanden, mit der

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